"Sollte Frankreich wegen Verletzung der EU-Grundwerte, insbesondere des Grundwertes der Demokratie aus der EU ausgeschlossen werden ?"

Das ist die Frage, die sich nach dem äußerst dubiosen Wahlsieg von Francois Macron bzw. seiner Partei stellt.

Die von Macron geführte brandneue und inhaltlich-unbekannte Partei "Le Republic en Marche" erreichte mit lediglich 14% der Wahlberechtigten und 31% der Wähler 62% der Mandate, was selbst für Mehrheitswahlverhältnisse eine extreme Verzerrung des Wählerwillens darstellt.

Die Wahlbeteiligung fiel erstmals in der Geschichte Frankreichs unter 50% und auf einem mit Abstand unerreichten Tiefstwert.

Anders, als es das französische Einerwahlkreissystem nahelegt, könnten die Wahlen in Frankreich zu einer diktatorischen Machtkonzentration für Macron führen, die niemand in der Geschichte Frankreichs jemals zuvor hatte, auch De Gaulle oder Mitterrand nicht. (Francois Mitterrand hatte übrigens in den 1980er Jahren IIRC das Verhältniswahlrecht eingeführt, das später wieder abgeschafft wurde; besonders problematisch und als ein mögliches Einfallstor für Totalitarismus erscheint die in der Geschichte Frankreichs völlig neue zeitliche Fast-Zusammenlegung von Präsidentenwahl und Parlamentswahl)

Eigentlich lautet die These in der Politikwissenschaft ja, dass Einerwahlkreissysteme den einzelnen Abgeordneten stärken, das freie Mandat, hingegen den Parteivorsitzenden, die Parteizentrale und den Spitzenkandidaten schwächen.

Die einseitige und völlig falsche Berichterstattung französischer und internationaler Medien, die nicht die einzelnen Abgeordneten bzw. die einzelnen Kandidaten thematisierten, sondern alles auf Macron zuspitzten, hat das Wesen des Einerwahlkreissystems völlig pervertiert. Und sie hat offensichtlich dazu beigetragen, dass es in LREM viele speichelleckerische Abgeordnete gibt. Auch das Argument, dass man alle Mängel der französischen Wahlen ignorieren müsse, weil sich der Frauenanteil im französischen Parlament erhöht habe, überzeugt nicht ganz.

Auch die Berichterstattung der Medien, die absolute Mehrheit stünde fest und man brauche sozusagen gar nicht mehr wählen gehen, ist demokratiepolitisch äußerst problematisch und sollte eigentlich verboten werden.

Frankreich hat ähnlich wie Österreich nicht nur ein problematisches Präsidentenwahlsystem, sondern auch ein problematisches Parlamentswahlsystem.

Man kann wohl nicht anders als Marine Le Pen zuzustimmen, dass ein Parlamentswahlsystem wie das französische, das einer Partei wie dem Front National mit 8 Millionen Wählern Fraktionsstatus verweigert, demokratiepolitisch fragwürdig ist und ein möglicher Verstoss gegen EU-Grundwerte.

Diese extrem problematischen französischen Wahlen und die extrem problematische Berichterstattung nationaler und internationaler Medien wirft die Frage auch, die auch bei den österreichischen Bundespräsidentenwahl eine möglicherweise wahlentscheidende Rolle spielten: sollten Meinungsumfragen und ihre Veröffentlichung in der letzten Phase vor der Wahl verboten werden, weil sie einen so stark beeinflussenden und wahlmanipulativen Effekt haben ?

Gegen angeblich autoritären Putin und Russland wurden Sanktionen verhängt wegen angeblichen Demokratiemängeln.

Aber über die potenziellen postdemokratischen Wahlmanipulationen in EU-Staaten wird geschwiegen und vertuscht, was das Zeug hält. Nicht zuletzt ist ja Frankreich ein katholisches Land, und "Hände falten, Gosch´n halten" ist ein zutiefst katholische Devise, die auch in Frankreich Zugkraft hat. (Für unsere bundesdeutschen Leser und -innen: "Gosch´n" ist der Wienerische, vielleicht auch im weiteren österreichische oder bayrische Ausdruck für "Mund" oder "Maul" )

Dass die europäische Linke über Viktor Orban wegen seines 60%-Wahlsieges in Ungarn einen Bannstrahl verhängt hat und Vergleiche zwischen Orban und Totalitarismen zieht, aber beim ganz ähnlich gearteten Wahlsieg von Macron den Mantel des Schweigens breitet, weil Macron entgegen seiner angeblichen Neuheit aus der PS (Sozialistischen Partei) kommt, hat schon ein gerüttelt Maß an Doppelmoral.

Auch die Frage, ob die extrem niedrige Wahlbeteiligung ein Resultat der Medienberichterstattung und der Umfragepublikationen ist, die nahelegten, dass das Ergebnis sowieso feststeht, bleibt offen und wirft ein schlechtes Licht auf Frankreich und das französische System.

Laut Medienberichten soll Macron von den Abgeordneten "seiner" Partei absoluten Gehorsam als Dankbarkeit für den Mandatserhalt und kritiklose Zustimmung zu allen Regierungsvorlagen verlangt haben.

Das sähe eher nach Totalitarismus aus und weniger nach Demokratie.

Allerdings ist es noch zu früh, um diesbezüglich ein abschliessendes Urteil zu fällen.

Die Meinungsumfrageinstitute sind auch bei den französischen Wahlen ähnlich wie beim ersten Wahlgang der österreichischen Bundespräsidentenwahl wieder weit daneben gelegen: statt der prognostizierten bis zu 480 Mandaten wurden es "nur" 300 bis 350 für LREM. Eine Fehlprognose von 130 bis 180 Mandaten ist sehr problematisch, und Medienfreiheit ist keine Narrenfreiheit.

Ebenso wie beim ersten Wahlgang der österreichischen Präsidentenwahl besteht im Falle der französischen Parlamentswahl der Verdacht der Wahlmanipulation durch irreführende Umfragen bzw. deren Publikation durch Medien. Die relevante strafgesetzliche Handhabe wäre in Österreich §263 Strafgesetzbuch "Täuschung bei einer Wahl".

copyleft/wikipedia

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