Am 25. September fand - überschattet von der Deutschland-Wahl - in der Kurdenregion des Nordirak ein Referendum statt, das auf eine Abspaltung vom Rest-Irak und die Bildung eines unabhängigen Staates abzielt, der von den nordirakischen Kurden dominiert ist.
Damit könnten sich meine früheren Prognosen, dass der Irak mit hoher Wahrscheinlichkeit in drei Teile zerfallen wird, nämlich einen Kurdenstaat im Norden, einen Sunniten-Staat in der Mitte und einen Schiitenstaat im Süden, zumindest teilweise erfüllen.
Mit dem Zerfall des Irak in zwei oder drei Staaten wäre auch die von Großbritannien und Frankreich nach dem ersten Weltkrieg geschaffene Staaten- und Grenzenstruktur aufgehoben.
Und dieser Zerfall des Irak in mehrere Staaten könnte auch den Zerfall anderer vergleichbarer Staaten zur Folge haben.
Alleine die Kurdenfrage könnte zum Zerfall der Türkei und zum Zerfall des Iran in jeweils mehrere Staaten führen, weshalb auch die Türkei und der Iran teilweise sehr heftig auf die nordirakische Abstimmung reagierten.
Diese Abstimmung ist übrigens gemessen an der irakischen Verfassung verfassungswidrig und erfolgte entgegen der Ablehnung der irakischen Zentralregierung.
Somit stünde eine etwaige Abspaltung des Nordirak entgegen den Entscheidung der irakischen Zentralregierung in einer Reihe mit der etwaigen Abspaltung Kataloniens entgegen den Entscheidungen der spanischen Zentralregierung oder der Abspaltung der Krim entgegen den Entscheidungen der ukrainischen Zentralregierung oder der Abspaltung des Kosovo entgegen den Entscheidungen der serbischen Zentralregierung.
Wie die europäische Politik darauf regieren würde, ist schwer vorherzusagen, weil die EU bzw. die EU-Staaten die Abspaltung der Krim und Kataloniens scharf ablehnten, hingegen die Abspaltung des Kosovo massiv förderten und anerkannten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unabh%C3%A4ngigkeitsreferendum_in_Irakisch-Kurdistan_2017
All das ist eine Folgewirkung des Irakkrieges 2003 und des Sturzes von Saddam Hussein durch die in Österreich und Deutschland zumindest weitgehend verfemten und zu Unpersonen erklärten George W. Bush (US-Präsident) und Tony Blair (britischer Premierminister), die die treibenden Kräfte des Irakkrieges waren.
Ein freier, unabhängiger demokratischer Nordirak wäre unter Saddam Hussein unmöglich gewesen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Saddam_Hussein
https://de.wikipedia.org/wiki/Irakkrieg
Ich unterstütze die These der deutschsprachigen Wikipedia, es habe sich beim Irakkrieg um einen eindeutig völkerrechtswidrigen Krieg gehandelt, übrigens nicht, sondern ich vertrete die These, der Irakkrieg habe eine mangelhafte bzw. zweifelhafte völkerrechtliche Legitimation gehabt, weil sich die Staaten der Koalition der Willigen (darunter die Hälfte der EU-Staaten) auf zum Teil alte UNO-Resolutionen beriefen. Diese ganze Debatte rund um Unilateralismus und unter welchen Bedingungen er erlaubt sein kann, ist eine heikle insbesondere in Anbetracht der problematischen Vetorechtsprivilegien der Großen Fünf des UNO-Sicherheitsrats, das eine schlechte Grundlage für das Völkerrecht ist. Wenn auch die Einzige derzeit existente. Aber gerade diese problematische Struktur der UNO bzw. des UNO-Sicherheitsrats ist - wie sich in den letzten 70 Jahren gezeigt hat - eine problematische insofern, als sie diese ganzen 70 Jahren unreformierbar war, trotz massiver Änderungen (Zerfall des britischen und französischen Kolonialreichs sowie Zerfall der Sowjetunion).
Die englischsprachige Wikipedia zum "Iraq War" ist viel länger und detailreicher und auch in vielerlei Hinsicht interessanter:
sie enthält zum Beispiel den Satz ´Sen. Jim Webb wrote shortly before the vote "Those who are pushing for a unilateral war in Iraq know full well that there is no exit strategy if we invade."[110]´.
Was soll denn das heissen ? Bei einer multilateralen Intervention mit Unterstützung der Großen Fünf (USA, GB, F, China, Russl) kann mehr sehr leicht auf halbem oder viertel-Weg umdrehen, bloß wegen einigen wenigen Toten, und sich darauf rausreden, die Chinesen oder Russen hätten halt ihre Meinung geändert und man habe einen Rückzieher machen müssen, während man mit einer unilateralen Intervention zum Erfolg verdammt ist, dazu, sie trotz Todesopfern durchzuziehen ?
Wenn Multilateralismus Unentschlossenheit, Halbherzigkeit und Ähnliches bedeuten sollte, dann könnte das tatsächlich ein Argument für Unilateralismus sein.
https://en.wikipedia.org/wiki/Iraq_War
Der Irakkrieg war - insbesondere aufgrund der Art und Weise, in der er durchgezogen wurde, mutmaßlich ohne dass George W. Bush China oder Russland eine Besatzungszone im Irak angeboten hätte - sicherlich eine Belastung der Beziehung zwischen USA/GB einerseits und Russland und China andererseits. Aber bei weitem nicht die einzige. Auch die Abspaltung des Kosovo vom traditionell russland-sympathischen und wie Russland christlich-orthodoxen Serbien war eine massive Belastung der Beziehungen zu Russland.
Die (z.B. im deutschsprachigen Raum offensichtlich dominierenden) Theorien von Juristen, Politikwissenschaftern und Historikern, die dem Irakkrieg 2003 die Alleinschuld an den zerrütteten Beziehungen zu Russland geben, sind daher auf jeden Fall falsch, weil alle anderen Streitthemen (wie der Streit um die Abspaltung des Kosovo und viele andere Streitthemen mehr) ausgeblendet wurden.
Es stellt sich auch die Frage, inwieweit die offensichtlich im deutschsprachigen Raum dominierenden und gleichzeitig falschen Theorien, die Bush und Blair, also USA und GB die Alleinschuld an den kaputten Beziehungen zu Russland zuschrieben, eine Rolle beim BREXIT, also dem Aussteigen Großbritanniens aus der EU, spielten.