Sowohl in der ZIB 2 vom 10.1.2017 als auch in der ganzen Debatte seit dem ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahlen spielen immer wieder die Wahrscheinlichkeitsrechnungen eine Rolle, die einige Mathematiker angestellt haben, und die belegen sollen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Wahlwiederholung das Ergebnis tatsächlich verändert, bei ca. 0,00000000013% oder so liegen dürfte.

In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder der Vergleich zwischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen bei Wahlen und Wahrscheinlichkeitsrechnungen bei Vaterschaftsfeststellungsverfahren gezogen, beispielsweise in der ZIB 2 vom 10.1.2017.

Allerdings ist der große Unterschied zwischen Wahrscheinlichkeitrechnungen bei Wahlüberprüfungen, die auf stichprobenhafter Kontrolle beruhen wie im gegenständlichen VfGH-Verfahren und den Vaterschaftsverfahren, dass die DNA eines Menschen immer haargenau dieselbe ist, egal, ob man die DNA-Probe z.B. von der Fußhaut oder von Kopfhaut entnimmt, während bei Wahlen in unterschiedlichen Bezirken bzw. Wahlkreisen völlig unterschiedliche Bedingungen vorkommen können.

Die Problematik, dass eine nicht-repräsentative Stichprobenziehung die ganze Wahrscheinlichkeitsrechnung über den Haufen wirft und ungültig macht, kann daher nur bei Wahlen, nicht aber bei Vaterschaftsfeststellungen durch DNA passieren.

Und ein wesentliches Detail der VfGH-Überprüfung des ersten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl ist, dass kein einziger der Wiener Wahlbezirke, bzw. der Wiener Wahlkreise geprüft wurde, also genau jener Wahlkreise, in denen eine Manipulation zugunsten von Van der Bellen am wahrscheinlichsten gewesen wäre.

Jede Hochrechnung und Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf einer nicht-repräsentativen Stichprobe beruht, ist daher äußerst fragwürdig.

Im Übrigen kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, die ganze Debatte sei ein Ablenkungsmanöver, die vom eigentlich wichtigen ablenken soll.

Der VfGH hat aufgrund des Verfassungsgerichtshofsgesetzes einen sehr kleinen Prüfungsbereich, der nur das staatliche Wahlverfahren im engeren Sinn umfasst.

In seinem Urteil kam der VfGH zur Entscheidung, dass Vorveröffentlichung von Wahlergebnissen in einzelnen Wahlsprengeln, bevor alle Wahllokale geschlossen haben, äußerst problematisch sei, weil es die "Reinheit der Wahl" verletze, und weil es zu taktischem Wählen führen kann.

Allerdings ist taktisches Wählen, beruhend auf Vorveröffentlichung von Wahlergebnissen einzelner Sprengel mit frühem Wahlschluß die bei diesen Wahlen auftretende weit harmlosere Prolematik.

Im Vergleich zu taktischem Wählen, beruhend auf (egal, ob absichtlich oder unabsichtlich) irreführenden Umfragen vor dem ersten Wahlgang.

Allerdings sind diese Umfragen vor dem ersten Wahlgang, die zu irrendem taktischen Wählen führen und äußerst problematisch in Hinblick auf §263 StGB "Täuschung bei einer Wahl" sind, außerhalb der Prüfkompetenz des VfGH.

Was mich viel mehr interessieren würde als Wahrscheinlichkeitsrechnungen, wie wahrscheinlich ein verändertes Wahlergebnis aufgrund einer nicht-representativen Stichprobe:

1.) Wie wahrscheinlich wäre ein völlig anderer Wahlausgang gewesen, wenn es wie in anderen Demokratien Meinungsumfragepublikationsverbote in den letzten ein bis drei Monaten vor der Wahl gegeben hätte, insbesondere in Bezug auf den ersten Wahlgang ?

2.) Wie wahrscheinlich wäre ein völlig anderer Wahlausgang gewesen, wenn statt des irrtums- und manipulations- anfälligen Bundespräsidentenwahlgesetzes ein Reihungswahlrecht verwendet worden wäre, z.B. a la Condorcet, Schulze oder Borda, das je nach Ausführung entweder völlig oder fast völlig immun gegen taktisches Wählen und die damit verbundene Wahlmanipulationsmöglichkeit gewesen wäre ?

Links:

http://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/13902526/Signation-Headlines/13951470

(nur mehr 5 Tage lang abrufbar)

P.S.: ganz abgesehen davon folgte der VfGH alten Judikaturlinien aus den 1920er Jahren.

Allerdings besteht der große Unterschied zu den Fällen aus den 1920er Jahren, dass damals auch und insbesondere Wiener Wahlbezirke bzw. Wiener Wahlkreise geprügft wurden.

Zur Repräsentativität von Stichproben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Repr%C3%A4sentativit%C3%A4t

Zitat: "Als Repräsentativität versteht man in der Empirie die Eigenschaft von Erhebungen, dass diese Aussagen über eine Grundgesamtheit zulassen."

Zu Condorcet, Schulze und Borda:

https://de.wikipedia.org/wiki/Schulze-Methode

https://de.wikipedia.org/wiki/Condorcet-Methode

https://de.wikipedia.org/wiki/Borda-Wahl

Zum Verfassungsgerichtshofgesetz:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000245

Zitat: "§ 67. (1) Die Wahl des Bundespräsidenten, die Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, zum Europäischen Parlament und zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen, die Wahlen in die Landesregierung und in die mit der Vollziehung betrauten Organe einer Gemeinde (im Folgenden Gemeindevorstand genannt) und die Ergebnisse von Volksbegehren, Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Europäischen Bürgerinitiativen können wegen jeder behaupteten Rechtswidrigkeit des Verfahrens (im Folgenden Wahlverfahren genannt) angefochten werden. Eine solche Anfechtung (im Folgenden Wahlanfechtung genannt) hat den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines bestimmten Teiles desselben zu enthalten."

Hier ist nur vom "Wahlverfahren" die Rede, und dieser Begriff des Wahlverfahrens umfasst laut herrschender Lehre nicht die Publikation von Wahl-Umfragen durch staatsunabhängige Medien vor einer Wahl, d.h. wenn eine "Irrtumsbewirkung" gemäß §263 Strafgesetzbuch vorliegt, die Wähler durch falsche Umfragen in die Irre führt, so ist dies kein ausreichender Grund für eine Wahlanfechtung !!!!!

Zum Strafgesetzbuch:

http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296

Zitat: "Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung

§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer durch Täuschung über einen die Durchführung der Wahl oder Volksabstimmung betreffenden Umstand bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer die Stimmabgabe unterläßt."

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