Zum Nicht-Duell Hofer-Van der Bellen - Scheindebatten in Zeiten der Postdemokratie

Ich habe mir gerade das sogenannte "Duell um die Präsidentschaft - Hofer gegen Van der Bellen" angeschaut. Und ich muß sagen, es hat mich in vielerlei Hinsicht verwundert.

Erstens einmal ging es über weite Strecken gar nicht um die Kandidaten oder um die Politik, für die sie stehen.

Von den ca. zwei Stunden Sendezeit war ein großer Teil "Vorgespräch", z.B. zwischen Stenzel und Schneyder, ein großer Teil Werbung, ein großer Teil Geplänkel, ein großer Teil Nebensächlichkeiten. Generell war die Debatte erstaunlich unpolitisch.

Ein überraschend großer Teil der Debatte ging um Dinge, die überhaupt nichts mit den Kandidaten oder ihren Positionen zu tun hatten, z.B. ging es um einen Kapfenberger FPÖ-Bürgermeister bzw. die FPÖ Kapfenberg, der einen Van der Bellen-Hitler-Vergleich getätigt hatte, um eine Grünpolitikerin, die einen Strache-Hitler-Vergleich getätigt hatte.

Typisch für die z.B. von Thomas Chorherr behauptete offensichtliche rot-grüne Medienhegemonie in Österreich, als deren Teil man auch Corinna Milborn betrachten kann, war, dass zwar über die Fehler von Trump diskutiert werden mußte, aber nicht über die Fehler von Hillary Clinton, die Donald Trumps Wahlsieg erst ermöglicht hatten.

Dass beide Kandidaten mehr oder weniger nichtssagend agierten und die Debatte sich um alles mögliche und unmögliche andere, aber nicht um genuin politische Themen, drehte, ergibt sich auch daraus, dass beide Kandidaten eine absolute Mehrheit erreichen müssen und daher gezwungen sind, sich mittiger zu geben, als sie wirklich sind.

Eine sogenannte "Debatte", bei der beide Kandidaten Selbstverständlichkeiten von sich geben wie: "Nicht alle Moslems sind Dschihadisten !" und der andere antwortet: "Aber manche Moslems sind Dschihadisten !", ist eigentlich ein Witz.

Konkrete Positionen, konkrete Thesen, konkrete Lösungsvorschläge gab es in dieser total diffusen, postdemokratischen Debatte so gut wie überhaupt nicht. Wenn bei Wahlen gar keine Themen mehr pointiert diskutiert werden, sondern nur mehr um den heissen Brei herumgeredet wird, dann hat die Demokratie wohl ihren Sinn verloren.

So nichtssagend und unpolitisch verlaufen wohl Wahlkämpfe im Zeitalter der Postdemokratie, wenn Spin Doctoren die Positionen vorabglätten und den Kandidaten in Coachings einschärfen, was sie alles nicht sagen dürfen, um nur ja keine Wähler zu verlieren.

Ein Kollektivorgan Staatsoberhaupt ohne diesen ins Zentrum und damit in die Nichtssagendheit strebenden Wahlkampf wäre wohl einfacher und wohl auch politischer.

Van der Bellen war erstaunlich unpräsidenziell offensiv, was zwar der Rolle der Grünen als Oppositionspartei entspricht, aber bei einem Wahlkampf um die Präsidentschaft möglicherweise die völlig falsche Strategie ist.

Auch Hofer war irgendwie seltsam: oft ging es gar nicht um seine eigene Position, sondern darum, dass seine Positionen doch irgendwie gar nicht wichtig seien, weil er doch einen ÖVP-Politiker zum Kabinettschef machen wolle. Hier zeichnet sich vielleicht eine neue Zwei-Lager-Bildung ab: FPÖ-ÖVP gegen SPÖ-Grüne.

Allerdings zweifle ich, ob die Österreicher den gegenständlichen Peterlik genügend kennen.

Beide Kandidaten waren irgendwie stellenweise konterschwach.

Eine große Schwäche von Van der Bellen war mMn, dass er nicht erklären konnte, wie Hofer als Bundespräsident einen Öxit bewerkstelligen solle. Ein Bundespräsident hat gar nicht die verfassungsrechtlichen Kompetenzen dazu, zumindest nicht alleine, und dass zu einem etwaigen Präsidenten Hofer eine absolute FPÖ-Mehrheit bei der nächsten Nationalratswahl dazukomme, darf bezweifelt werden.

Das mit dem "Kreide fressen" ist eine Theorie. Wenn Van der Bellen nur die Behauptung hat, aber keine stichhaltigen Beweise dafür, dass Hofer den Öxit durchsetzen wird, dann ist das dünn. Aber vielleicht ist eben das Zeitalter der Unterstellungen, der Vermutungen: Falls Van der Bellen gewinnt, werden wir nie erfahren, ob und welche Akzente Hofer in Richtung Öxit setzen würde. Es geht vielleicht nicht um den Wahrheitsgehalt der Aussage, sondern nur um den Effekt.

Da sehr viel Zeit für Facebook-Follower oder für dritte oder vierte Personen, die mit dem einem oder anderem Kandidaten in einem mehr-oder-weniger nahen Verhältnis stehen, verbraten wurde, wurde über zahlreiche wichtige Themen nicht diskutiert, z.B. über die Frage der Neutralität. Beide Kandidaten wollen die EU irgendwie verbessern, Hofer vielleicht irgendwie mehr subsidiär, Van der Bellen eher in Richtung zentrale Entscheidungsbefugnisse.

Dass diese zentralen und einheitlichen Entscheidungen (GASP) zu den bisher völlig erfolglosen Russland-Sanktionen (Putin ist noch immer russischer Präsident) passen, blieb in der Debatte unerwähnt. Weder Hofer noch Milborn haben das erwähnt. Aber das ist wohl Postdemokratie. Themen und Position werden mit Hilfe von Agenda Setting vorgekaut, vorselektiert.

Auch das Neutralitätsthema blieb ausgespart. Der Bundespräsident ist militärischer Oberbefehlshaber. Aber militärische Themen blieben absolut unerwähnt. Verfassungsrechtliche Kompetenzen - unerwähnt, wie sie als Präsidenten von ihren Rechten Gebrauch machen würden - unerwähnt (vielleicht deswegen, weil sie beide in dieser Frage schon zu oft gleichsam ihre Meinung änderten und daher jede Debatte das Präsidentenamt vielleicht beschädigt hätte, völlig egal, wer von den Beiden gewinnt).

Vielleicht ist es in Zukunft besser, Präsidentschaftsduelle völlig ohne Kandidaten abzuhalten. Die Kommentatoren (wie beispielsweise Thomas Hofer) sind oft viel interessanter und aussagekräftiger als die Kandidaten.

Ich zweifle daran, ob die für die Grünen üblichen Rechtsextremismus-Vorwürfe an die FPÖ gezogen haben. Wenn man das Umfrageergebnis hernimmt, dass 49% in Hofer den Debattensieger sahen, aber nur 41% in Van der Bellen, dann sieht es so aus, als ob eher nicht.

Auch dass Van der Bellen sich über Stenzels Vermutung aufregte, dass seine Eltern Nazisympathien gehabt haben könnten, war meines Erachtens überzogen, weil Sympathien sehr punktuell sein können und damals vielfach auch waren, und Zeitverschwendung. Auch die Nahelegung, dass man gegenüber Lebenden üble Nachrede betreiben dürfe, aber gegenüber Toten nicht, weil diese sich nicht mehr wehren können, ist kurios. Und ganz besonders kurios ist das, wenn es von einem Grünen kommt, wo doch die Grünen über den toten Jörg Haider sehr oft nach seinem Tod negativ geredet haben, und weder er noch sonst jemand ihn (medial) verteidigen konnte.

Umgang mit dem Brexit ? Fehlanzeige. Kein Thema. China und Indien ? Fehlanzeige. Kein Thema. UNO ? Kein Thema. Dabei ist Aussenpolitik (Vertretung nach Aussen) eine der Hauptaufgaben des Bundespräsidenten. Dafür ging es auch um Kleidungsfragen, um die Frage, wer den höheren akademischen Titel hat, etc.

Was für eine absurde Debatte !

Irgendwie erinnert die Debatte oder die Scheindebatte an das Buch "Postdemokratie" von Colin Crouch.

Trotz zahlreicher Vorbehalte gegenüber diesem Buch und zahlreichen Kritikpunkte daran empfehle ich dieses Buch in Anbetracht dieser Debatte.

https://de.wikipedia.org/wiki/Colin_Crouch

(Colin Crouch, Bild-Copyright-Wikipedia)

Zitat aus Wikipedia: ´Unter einem idealtypischen postdemokratischen politischen System versteht er „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, daß Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“[4]

Zur Beruhigung der Massen werde eine Scheindemokratie als Showveranstaltung inszeniert.[5]´

Auch die sogenannte "Duell"-Bezeichnung unterstreicht den reinen Show-Charakter: es geht gar nicht mehr um Wahlen, sondern nur mehr um Einschaltquoten.

Es geht gar nicht mehr um inhaltliche Positionen, sondern darum, dass zwei Kandidaten sich möglichst spektakulär bekriegen. Dann ist das Duellieren, dass Erschiessen des anderen Kandidaten am ehesten erfüllt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Duell

Zitat aus Wikipedia zum Thema "Duell": "Ein Duell (lat. duellum ‚Zweikampf‘) ist ein freiwilliger Zweikampf mit gleichen, potenziell tödlichen Waffen, der von den Kontrahenten vereinbart wird, um eine Ehrenstreitigkeit auszutragen. Das Duell unterliegt traditionell festgelegten Regeln. Duelle sind heute in den meisten Ländern verboten."

Alles in allem glaube ich, dass das Amt des Bundespräsidenten unter diesen Bedingungen und unter dieser vielfältigen Parteienlandschaft eine Fehlkonstruktion ist, und das Schweizer Modell des konsensdemokratischen Kollektivorgans Staatsoberhaupt die bessere Lösung ist.

In diesem Zusammenhang rufe ich zum Ungültigwählen bzw. zum Weißwählen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen auf.

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