Vorweg, der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion bedeutet nicht, dass das Land aus der Europäische Union fällt. Aber wie helfen wir Griechenland am besten?
Grexit jetzt, später oder auch gar nicht bedeutet nicht, dass wir nicht weitere Hilfspakete verabschieden werden müssen. Solch massive strukturelle Defizite lassen sich nicht wegzaubern. In keinem anderen Land sind die Reallöhne seit Einführung des Euro so stark gestiegen wie in Griechenland. Darunter hat die Produktivität gelitten. Es war beispielsweise billiger Getreide zu importieren, als es selbst zu produzieren. Als dann die ersten Hilfspakete notwendig wurden, hat es die Troika verabsäumt Kontrollmechanismen einzuführen um sicherzustellen, dass unsere Milliarden auch beim Volk, also in der Realwirtschaft, ankommen. Dies war leider nicht der Fall. Zum Teil flossen Gelder der Hauptfinanziers Deutschland und Frankreich in Gegengeschäfte der Rüstungsindustrie, ein weiterer Grossteil wurde verwendet um Kreditrückzahlungen an nicht-institutionelle europäische Geldgeber zu bedienen, und der Rest fiel wohl der lokalen Korruption zum Opfer. Die griechische Oberschicht hat nicht nur ihre heimischen Villenviertel aufgewertet und ausgebaut, sie haben ihr Geld auch massiv in Realitäten in London, Paris und Berlin angelegt.
Während die Ursache der Misere darin liegt, dass der Staat jahrzehntelang mehr ausgeben als über Steuern eingenommen hat, hat nun genau jene Partei gewonnen, die den Wählern am meisten Wohltaten und Gegenleistungen versprochen hat. Ein selbstbewusstes Auftreten gegen das Dikat des IWF und er EZB hat Tispras ins Amt gehoben. Und seine Argumente für einen Schuldenschnitt sind nicht von der Hand zu weisen, hoch überschuldeten Unternehmen wird ein Kokurs ja auch ermöglicht, weil ein Neustart beiden Seiten hilft. Aber Effekte erzielt man nur, wenn grundlegend etwas geändert wird. Tispras Weigerung der schlechten Steuermoral der Oberschicht den Garaus zu machen, seine Weigerung den Erdölschmuggel zu bekämpfen deutet aber eher darauf hin, dass er jenen irgendwie in der Pflicht steht. Mit fadenscheinigen Argumenten, beispielsweise seien Steuern von Reedereien nicht eintreibbar, weil diese ja mobil seien und ihre Boote auch in einem anderen Land anmelden könnten, erinnert er die EU an eigene Defizite: wir haben keine transparente, faire und homologierte Besteuerungssysteme im gemeinsamen Wirtschaftsraum. Ein Junker wurde genau deshalb zum Präsidenten der EU-Kommission, weil er in Luxemburg international agierenden Konzernen einen Einkommensteuersatz von nur 0,5% gewährte. Und jetzt sitzt der kleine Grieche da rechts unten und sagt seine Boote würden dasselbe machen?! (Ganz abgesehen davon, dass man ein Boot auch beim Anlegen im Hafen besteuern könnte).
So oder so, der Ausweg wird fürs Volk hart. Auch nach dem Bankrott Argentiniens 2001 sank das Pro-Kopf-Einkommen innerhalb eines Jahres um satte 15 Prozent, die Hälfte der Bevölkerung rutschte in massive Armutsnöte, es kam zu sozialen Unruhen und Tumulten. Auch von Hungersnöten und Engpässen in der medizinischen Grundversorgung wurde berichtet. Dies werden unsere europäischen Regierungen aber nicht zulassen, es wird wohl so etwas ähnliches wie einen Marshall-Plan geben müssen. Also weitere Hilfszahlungen, so oder so. Und Griechenland hat den Tourismus, devisentechnisch also exportorientiert, der sich schon heuer extrem positiv entwickelt, auch wenn "Die Presse" in ihrer heutigen Ausgabe das Gegenteil behauptet. Ich denke in fünf Jahren könnte die Krise überwunden sein.
Wirtschaft ist Psychologie. Und der Grexit ist noch nicht beschlossen, weil manche Entscheider Angst vor Kettenreationen haben. Was werden jene Länder sagen, die ebenso insolvenzgefährdet waren, sich dann aber doch harten Strukturreformen unterworfen haben? Ganz einfach, sie werden froh sein rechtzeitig reagiert zu haben. Schnee von gestern. Aber vor gut zwei Wochen hat die britische Regierung sich verpflichtet ein bindendes Referendum über den Verbleib in der EU bis längstens Ende 2017 abzuhalten. Letzten repräsentativen Umfragen zufolge ist das Land gespalten, 41% pro und 41% contra EU-Austritt, bei 18% Unentschlossenen. Füttern wir die Griechen jetzt ohne Reformzusagen munter weiter, so wird die Solidaritätsbereitschaft bei jenen Unentschlossenen in den nächsten Monaten wohl noch weiter sinken. Während Griechenland nur für 2% des EU-BIP verantwortlich ist, also strukturell vernachlässigbar, so repräsentiert Great Britain den global zweitstärksten Finanzmarkt und die drittstärkste Binnenwirtschaft der EU. England zu verlieren - das ist unser Damoklesschwert! Geht dieses Referendum negativ aus, so ist dies das Ende der EU.
Deshalb Grexit jetzt, zum Wohl der Griechen - und zur Rettung der EU!
Dieter Krassnig