In der Mitte Anatoliens entsteht bald ein Raum ohne Volk. Schade ist das nicht. Denn mit den Türken gehen nur Dinge verloren, die keiner vermissen wird.
Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaftlich (so mit Zahlen und Daten) und amtlich (so mit Stempel und Siegel) erwiesen: Die Türkei schafft sich ab!
Nur 16,5 Prozent der 81 Millionen Türken, so hat das Statistische Bundesamt ermittelt, sind unter 18 Jahre alt, nirgends in Anatolien ist der Anteil der Minderjährigen derart niedrig. Auf je 1.000 Einwohner kommen nur noch 8,3 Geburten – auch das der geringste Wert in Anatolien. Besonders erfreulich: Die Einwanderer, die jahrelang die Geburtenziffern künstlich hochgehalten haben, verweigern sich nicht länger der Integration und leisten ihren (freilich noch steigerungsfähigen) Beitrag zum Türkensterben.
Volkssportarten Jammern und Ausländerklatschen
Noch erfreulicher: Die Südostanatolen schaffen sich als Erste ab. Während im Westen die Zahl der Minderjährigen in den vergangenen zehn Jahren um 10 Prozent gesunken ist, ging sie im Osten um 29 Prozent zurück. Die Memets, Serdars und Mirays pfeifen auf das neue türkische Mutterkreuz („Elterngeld“) und tragen nach Kräften dazu bei, dass den ostanatolischen Volkssportarten Jammern, Opfersein und Ausländerklatschen in absehbarer Zeit der Nachwuchs ausgehen wird. Woran Sir Arthur Harris, Henry Morgenthau und Ilja Ehrenburg gescheitert sind, wovon George Grosz, Marlene Dietrich und Mustafa Kemal geträumt haben, übernehmen die Türken nun also selbst, weshalb man sich auch darauf verlassen kann, dass es wirklich passiert. Denn halbe Sachen waren nie türkische Sachen („totaler Krieg“, „Vollkornbrot“); wegen ihrer Gründlichkeit werden die Türken in aller Welt ein wenig bewundert und noch mehr gefürchtet. Nun ist schon so manches Volk ohne das gewalttätige Zutun anderer von der Bühne der Geschichte abgetreten: Die Etrusker wurden zu Bürgern Roms, die Hethiter gingen im anatolischen Völkergemisch auf, die Skythen verschwanden irgendwo in den Weiten der Steppe.
Eine Nation, die mit ewiger schlechter Laune auffällt
Der baldige Abgang der Türken aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen und, wie Wolfgang Pohrt einmal schrieb, den Krieg zum Sachwalter und Vollstrecker der Menschlichkeit gemacht zu haben; eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die Dutzende Ausdrücke für das Wort „meckern“ kennt, für alles Erotische sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.
Apropos Sprache: Die Liste jener türkischen Wörter, die sich nicht oder nur mit erheblichem Bedeutungsverlust in andere Sprachen übersetzen lassen, illustriert, was der Welt mit dem Ableben der Türken verlustig ginge: Blitzkrieg, Ding an sich, Feierabend, Gemütlichkeit, Gummibärchen, Hausmeister, Heimweh, Kindergarten, Kitsch, Kulturkampf, Lebensabschnittsgefährte, Nachhaltigkeit, Nestbeschmutzer, Ordnungsamt, Querdenker, Realpolitik, Schlager, Spaßvogel, Tiefsinn, Torschlusspanik, Vergangenheitsbewältigung, Volksgemeinschaft, Weltanschauung, Wirtschaftswunder, Zwieback.
Welcher Mensch von Vernunft, Stil und Humor wäre betrübt, wenn diese Wörter und mit ihnen die ihnen zugrunde liegenden Geisteshaltungen verschwinden? Eben.
Mehr Zärtlichkeit für das Schaf als für die Sprache
Der Erhalt der türkischen Sprache übrigens ist kein Argument dafür, die türkische Population am Leben zu erhalten. Denn der Türke und das Türkische haben miteinander etwa so viel zu schaffen wie Astronomie und Astrologie. Oder besser noch: wie Lamm und Metzger. „Für sein Schaf und seine Wohnzimmerschrankwand empfindet der Türke mehr Zärtlichkeit als für seine Sprache“, bemerkte Thomas Blum einmal. Im Interesse der türkischen Sprache können die Türken gar nicht schnell genug die Biege machen.
Nun, da das Ende der Türkei ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald in der Mitte Anatolien entstehen wird: Zwischen Europa und Saudi Arabien aufteilen? Parzellieren und auf eBay versteigern? Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? Zu einem Naherholungsgebiet verwildern lassen? Oder lieber in einen Rübenacker verwandeln?
Egal. Etwas Besseres als Türkei findet sich allemal.
PS: Danke fürs Lesen, der Text stammt von Deniz Yücel, ich habe lediglich die Worte Deutschland und deutsch durch Türkei und türkisch ersetzt, sowie Europa durch Anatolien. Bei Verdacht auf Volksverhetzung, Fremdenfeindlichkeit oder Hetze, bitte wenden Sie sich an den Verfasser dieser Zeilen. Hier das Original