Meine Tochter geht jetzt in die erste Klasse einer Waldorfschule – ja: da wird sie lernen wie sie ihren Namen tanzt, das finde ich aber auch überhaupt nicht schlimm. Eurythmie nennt man das – die Kunst der Bewegung - an jeder Waldorfschule Unterrichtsfach, auch schon ab dem ersten Schuljahr.
Apropos Namen tanzen: Spart Euch die Witze über Waldorfschüler und –schülerinnen ! Ich kenne sie längst alle. Da muss ich nur noch gähnen. Und wer über Eurythmie Witze macht, hat sie selber nicht ausprobiert. Der oder die würde sich wundern, wieviel Konzentration und persönliche Sammlung das erfordert und einübt.
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Gehen wir mal ein bisschen der Reihe nach vor: wie kommen wir auf eine derartig „abgehobene“ oder sagen wir mal „alternative“ Idee?
Das Konzept Waldorfschule überzeugt uns aus verschiedenen Gründen. Es ist ein ganzheitliches Schulkonzept. Rudolf Steiner – der Begründer der Waldorfschule - wollte eine Bildung an Herz, Hirn und Hand. Intellektuelles, akademisches Können und Wissen steht gleichberechtigt neben künstlerischer Aktivität (Kunst, Musik, Theater) und praktischem Handwerk (Schreinern, Tischlern, Metallbearbeitung, Schmieden, Schneidern). Nach der Auffassung einer Waldorfschule ist all das erforderlich, um den Menschen zu entwickeln und zu sich selbst zu bringen. Ziel ist es, eine menschliche Persönlichkeit mit eigenem Urteilsvermögen heranzubilden.
Entscheidendes Merkmal von Waldorfpädagogik ist ebenfalls die Spiritualität. Die spirituelle Existenz des Menschen hat in der Waldorfschule seinen Ursprung in einem Schöpfergott. Waldorfschulen sind in jedem Fall explizit christliche Schulen. Der christlichen Religion begegnet man in der Waldorfschule. Es gibt auf jeden Fall Religionsunterrricht (muss aber nicht der konfessionelle sein) als Pflicht für alle.
Ein weiteres Merkmal ist das Gesamtschulprinzip. Die Kinder werden nicht in verschiedene Leistungsgruppen auseinanderdividiert. Jeder kann von Jedem lernen. „Jedes Kind ein Könner“ ist das Motto. Kinder werden für das respektiert, was sie besonders gut können und nicht immer nur auf das gestoßen, wo sie Defizite haben. Es gibt übrigens auch kein „Sitzenbleiben“ an der Waldorfschule. Jedes Kind muss individuell mitgenommen werden, so dass es auch bei Schwierigkeiten die Lernziele erreicht. Bei der Einschätzung der Leistungen von Schülern kommt man ohne Noten aus.
Unterricht und Stundenplan: Waldorfschule durchbricht zum Teil das gewohnte Prinzip der 45minütigen Schulstunden, Waldorfschulen nennen es: Epochenunterricht. Eine Doppelstunde pro Tag ist reserviert für den sogenannten Hauptunterricht. Im Hauptunterricht wird immer eine bestimmte Epoche über mehrere Wochen unterrichtet. Man kennt beispielsweise Epochen in Formenzeichnen, Gartenbau, Tierkunde, Pflanzenkunde, Gesteinskunde, aber eben auch Mathematik- und Fremdsprachenepochen. Der Vorteil dieses Epochenunterrichts liegt auf der Hand: man hat mehr Zeit für einen bestimmten Unterrichtsinhalt, konzentriert sich stark und übt die Dinge gut ein. Nach dem Epochenunterricht folgen Fachunterrichte in allen üblichen Schulfächern, zusätzlich Eurythmie, wie schon erwähnt.
Der Klassenlehrer ist die bestimmende Figur für alle Waldorfschüler und –schülerinnen. Der Klassenlehrer bzw. die Klassenlehrerin führt die Klasse vom ersten bis zum achten Schuljahr. Der Klassenlehrer erteilt viele der Epochenunterrichte und – je nach Qualifikation - auch Fachunterrichte, wobei je nach Höhe der Klassenstufe dann aber auch immer mehr ausgebildete Fachlehrer zum Einsatz kommen.
Die Waldorfschule ist eine Schule, die die Kinder vom ersten Schuljahr bis zum 13. unterrichtet. Es wird kein G8-Abitur durchgeführt. Zumeist bietet sie alle Schulabschlüsse an. Gute Chancen für alle „Spätstarter“ vielleicht doch noch zu Abitur und Studium zu kommen. Die Bildungswege sind nicht so fest fixiert.
Waldorfschulen sind freie Schulen. Die Schule verwaltet sich selbst. Es gibt keine Hierarchie und keinen Direktor. Schulangelegenheiten werden von verschiedenen Gremien gemeinschaftlich geregelt.
Das 12. Schuljahr an der Waldorfschule ist etwas ganz besonderes. Nach 12 Schuljahren an einer Waldorfschule machen die Schülerinnen und Schüler den Waldorfabschluss. Im Mittelpunkt steht dabei ein selbstgewähltes Projekt , die Jahresarbeit und ein künstlerischer Abschluss mit der ganzen Klasse. Außerdem gibt es meist nochmals ein großes Klassenspiel. Theater ist wichtig an der Waldorfschule, jeder spielt mit seiner Klasse auf der Bühne und führt im Laufe seiner Schullaufbahn mindestens drei Stücke auf.
Waldorfschule ist stark praxisbezogen. Die Schüler haben – neben Unterricht in Handwerkstechniken - drei große mehrwöchige Praktika: eines in einem landwirtschaftlichen Betrieb, eines in einem Unternehmen der Wirtschaft und eines im sozialen Bereich (Krankenhaus, Altersheim, Kindergarten).
Apropos sozialer Bereich: Was werden Absolventen von Waldorfschulen so beruflich? Alles! Es gibt keinen Unterschied zu Absolventen von staatlichen Schulen, außer einen: soziale Berufe sind deutlich häufiger vertreten als bei anderen Schulen.
Soweit dieser kurze Abriss einiger Eckpunkte der Waldorfschule. All das sind in meinen Augen schwerwiegende Argumente, die mich überzeugt haben, mein Kind in einer Waldorfschule einschulen zu lassen.
Allerdings ist mir bewusst, dass auch die Waldorfschule nicht die Insel der Seligen darstellt und sicherlich ebenfalls nicht für alle Eltern und Lehrer, möglicherweise auch nicht für alle Kinder geeignet ist.
Die Vorteile dieser Schulform können eben genauso gut zum Problem werden. Ob das passiert, hängt in hohem Maße von allen Aktiven ab.
Waldorfschule ist für alle Beteiligten anstrengend! Der Anspruch der Waldorfschule ist schon hoch. Hohe Ansprüche können zu tollen Ergebnissen führen, jedoch kann man auch immer an hohen Ansprüchen scheitern.
Das gilt insbesondere für den Klassenlehrer/ die Klassenlehrerin. Er/Sie muss acht Jahre lang eine Klasse führen. Das ist anspruchsvoll. Er/Sie muss mit den verschiedensten Altersstufen der Kinder gleich gut umgehen können. Er/Sie hat in der Leistungseinschätzung der Schülerinnen und Schüler das Instrument der Noten nie zur Verfügung (auch nicht in höheren Klassen), d.h. die Beurteilungen sind schwieriger, weil sie individueller aufgesetzt werden müssen. Es ist tagtäglich jedes Kind persönlich wahrzunehmen in seiner momentanen Befindlichkeit und ihm gerecht zu werden.
Waldorfklassen sind häufig sehr groß, die Klasse meiner Tochter umfasst z.B. 36 Schülerinnen und Schüler. Zwar wird die Klasse immer auch in zwei Gruppen geteilt. In der Gesamtgruppe findet eigentlich nur der Hauptunterricht statt, für die Fachunterrichte in z.B. Eurythmie oder Handarbeiten wird die Klasse geteilt. D.h. die einen sind bei der Handarbeit, die anderen bei Eurythmie. Zusätzlich verfügt unsere Klasse noch über eine Klassenhelferin. Trotzdem muss man aber zugeben: die Herausforderung für Klassenlehrerin oder Klassenlehrer wird dadurch nicht kleiner.
Klassenlehrerin oder Klassenlehrer an einer Waldorfschule zu sein, ist eine Herausforderung. Wenn man die Person kennenlernt, darf man nicht die leisesten Zweifel haben, dass diese Person das eigene Kind und alle anderen über lange Zeit gut betreuen kann. Was die Klassenlehrerin meiner Tochter angeht, hatte ich solche Zweifel zum Glück nie. Sie erscheint mir absolut erfahren und gefestigt, die ganze Klasse bis zum achten Schuljahr zu führen.
Waldorfschule steht und fällt mit dem Engagement der Eltern aber gleichermaßen. Es ist halt eine selbstverwaltete Schule. Eltern sind zwingend nötig in den Selbstverwaltungsgremien der Schule, in diversen Arbeitskreisen, wie zum Beispiel Gartenarbeitskreis, Festkreis, usw. . Da ist halt kein Lehrerkollegium und kein Direktor, die einfach sagen, wo es langgeht. Es eröffnet zwar wesentlich mehr Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten als auf Regelschulen, ist aber für die Elternseite auch deutlich mühsamer. Diskussionen in Gruppen und Gremien können auch schon mal langwierig werden. Dazu kommt noch Engagement für die eigene Klasse (z.B. mal die Klasse aufräumen, putzen, Tische abschleifen und einölen, oder ähnliches). Elternabende sind viel häufiger als an Regelschulen, etwa alle sechs Wochen. Bei dem Ausmaß erforderlichen Elternengagements muss man sich ´reinhängen. Anders geht es nicht. Da sollte sich jeder überlegen, ob man in dieser Form zu Engagement bereit ist.
Die spirituelle, christliche Ausrichtung einer Waldorfschule ist sicherlich auch nicht jedermanns Sache. Vielen ist das sicherlich viel zu esoterisch. Wer das als Erziehungsbestandteil ablehnt, für den ist das sicherlich die falsche Schulform.
Die ganzheitliche Ausrichtung der Waldorfschule ist für viele positiv, jedoch mag ja gerade das für manche auch ein rotes Tuch darstellen, nämlich für die die für ihre Kinder eine ausschließlich wissenschaftlich- akademische Schulbildung wollen. Die werden sich wahrscheinlich immer fragen, warum man denn jetzt unbedingt Korbflechten oder Tischlerei machen muss. Also: Wer im Kindergarten schon weiß, dass seine Kinder mal an einer renomierten Business School ihren MBA machen werden, der hat an einer Waldorfschule auch keine große Freude.
IT-Freaks kann ich die Waldorfschule auch nicht wirklich empfehlen. I-Pad-Klassen wird man vergeblich suchen. Es herrscht eine (meiner Meinung nach) gesunde Skepsis gegenüber modernen Medien als Unterrichtswerkzeug. Das gilt zumindest für die jüngsten Schüler. Unter Unterricht stellt man sich an Waldorfschulen eben das unmittelbare eigene Erleben oder die Vermittlung durch einen Menschen vor. Schüler sollen Inhalte lieber selbst begreifen (im wahrsten Sinne des Wortes) anstatt sie nur mittelbar anhand irgendwelcher Medien zu konsumieren.
Waldorfschule lehrt in besonderem Maße soziales Bewusstsein. Das erkennt man nicht zuletzt an der Berufswahl von Waldorfschülern, ich hatte es erwähnt. Wer aber meint, Schule müsse in erster Linie zu Konkurrenzfähigkeit, Aggressivität, Stärke und Dominanz gegenüber anderen erziehen, für den ist diese Schulform ebenfalls ungeeignet.
Waldorfschule erzieht bewusst zum eigenständigen Denken. Wer glaubt, dass ein Kind in erster Linie angepasst und gehorsam werden sollte, der wird auch nicht ernsthaft an den Besuch einer Waldorfschule denken.
Noch eine ausdrückliche Warnung: Waldorfschule ist wenig kompatibel mit dem herkömmlichen staatlichen Schulsystem. Die Waldorfpädagogik hat ein völlig anderes Verständnis davon, was ein Kind wann und warum lernen sollte (in meinen Augen ein sehr viel kindgerechteres). Die Abschlüsse sind zwar die gleichen wie auf den staatlichen Schulen, aber der Weg dorthin ist ein anderer. Manche Dinge werden früher vermittelt (z.B. Bruchrechnen ab der dritten Klasse), aber anderes kommt viel später dran. Es wird daher häufig oft schwierig werden, ein Kind von der Waldorfschule herunterzunehmen und stattdessen in eine staatliche Schule zu schicken. Die Fälle gibt es leider immer wieder: Eltern bekommen „kalte Füße“. Sie machen sich plötzlich Gedanken, dass „das Kind nicht genug lernt“ und schicken es auf ein staatliches Gymnasium. Ich würde grundsätzlich dazu raten: einmal Waldorfschule, immer Waldorfschule.
Waldorfschulbesuch ist dann undenkbar, wenn sich nicht beide Eltern darauf uneingeschränkt einlassen können. Meiner Frau bereitet das sowieso keine Probleme, da sie selber Waldorfschülerin war. Sie weiß also genau, worauf sich meine Tochter dabei einlässt. Sie hat aber trotzdem nie darauf bestanden oder verlangt, dass nur die Waldorfschule für unsere Tochter in Frage kommen könne. Meine Befürwortung hat letztlich den Ausschlag dafür gegeben. Ich habe mich , wie ich meine , mehr als hinreichend mit der Schulform auseinandergesetzt. Das staatliche Schulwesen kenne ich aus eigener Erfahrung mit Grundschule und weiterführender Schule, ich habe selber keine Waldorfschule besucht. D.h. ich bin eher als meine Frau zu einem Systemvergleich in der Lage. Der viel für mich klar pro Waldorfschule aus.
Ich habe mein Abitur auf einem staatlichen Gymnasium gemacht. Ich bin meiner Schule sehr dankbar, ich habe meist sehr gute Lehrer gehabt, die mir viel mitgegeben haben, allen voran mein Lehrer aus dem Leistungskurs Englisch. Das war besonders da ein unheimlich dichtes Lernen, das nicht nur in der Sprache allein bestand , sondern in vielem anderen zusätzlich: Theater, Musik, Literatur und warum das alles so wertvoll ist. Aber nicht nur da fand ich den Unterricht meistens gut. Auch wenn es mir wenig so recht glauben, ich bin dankbar für meine Schulbildung, ich kann sie auch anwenden. Ich bin nicht der Meinung, dass ich irgendetwas unnützes gelernt habe.
Ich würde sagen, dass ich dort im schönsten Sinne bürgerliche Bildung genießen durfte. Das habe ich sehr gern getan.
Aber mit dem Abstand und meiner fortschreitenden Lebenserfahrung schärft sich andererseits auch der kritische Blick. Da wäre zunächst einmal der Unterricht im musisch/künstlerischen Bereich. Kunst und Musik konnten mir auf dem Gymnasium nicht näher gebracht werden. Das musste ich mühsam nachholen, weil ich spürte, dass mir da was fehlt. Ganz geschafft hab ich das dann bis heute nicht. Insbesondere meine Musiklehrerin ist mir da in unangenehmer Erinnerung. Für sie ist nach dem Jazz keine wertvolle Musik mehr entstanden. Popmusik ist in Gänze nur Schund, weil sie nicht komplex genug ist. Als ob „Satisfaction“ von den Stones nicht genial wäre, nur weil es einfach gestrickt ist. Extrem arrogant, hochnäsig und überheblich. Von der Waldorfschule meiner Tochter erwarte ich da was anderes
Wobei ich zu einem entscheidenden Kritikpunkt an meiner alten Schule komme: sie ist nicht nur im positiven Sinne bürgerlich gewesen. Man hat da seine Nase gern sehr hoch getragen und sich für was Besseres gehalten, nur weil man ein Gymnasium war. Bürgerlich-elitäres Gehabe war weit verbreitet. Den ganzen Anspruch des Gymnasiums, die „Wissenschaftspropädeutik“ (hat mein Deutschlehrer immer so schön gesagt) halte ich für verfehlt, übertrieben und lächerlich. Warum bereitet eine Schule ausschließlich auf Wissenschaft vor? Die wenigsten Schüler werden wirklich Wissenschaftler (ich bin selbst keiner geworden), auch dann nicht, wenn sie ein Hochschulstudium erfolgreich absolviert haben. Ein paar praktische Inhalte hätten mir sicher viel weiter geholfen. So habe ich heute zwei linke Hände, manuell kann ich kaum was. Aber das bürgerliche Gymnasium ist so eine heilige Kuh, da traut sich keiner ran.
Schwächeren Schülern wurde unmissverständlich klar gemacht, dass sie auf dieser tollen Schule nichts verloren haben. Wer nicht mitkommt, der könne ja `runtergehen zur Realschule. Das war durchaus topographisch zu verstehen, denn das Gymnasium befindet sich auf einem Hügel, die Realschule hingegen am Fuße desselben. Ja, da sind die Herrschaftsverhältnisse klar! Ich empfinde das diesen Schülern gegenüber im Nachhinein als persönlich demütigend, sowas ist in keiner Schule angebracht. Das hat für mich mit Pädagogik nichts zu tun, das ist nur noch darwinistische Selektion.
Für mich ist das Schulwesen ein Spiegelbild der Gesellschaft: man möchte Hierarchien haben, man möchte gerne von oben herab sehen. Für meine Tochter stelle ich mir etwas anderes vor, als solche Geisteshaltungen.
Somit bin ich sehr dankbar, dass meine Tochter die Chance zu einer Waldorferziehung bekommen hat, obwohl ich mir als Elternteil das Leben nicht unbedingt leichter mache, dessen bin ich mir vollkommen bewusst. Nach reiflicher Überlegung betrachte ich aber die Schule meiner Tochter als die regional beste Schule und ich würde mir sicherlich immer Vorwürfe machen, wenn ich ihr nur aus Bequemlichkeit diesen Schulbesuch nicht ermöglicht hätte.
P.S:
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