Aus dem Interview mit der Berliner Morgenpost am 7./8.9.2024:
"Heute haben wir die blühenden Landschaftenim Osten. Brandenburg ist – so wie der ganze Osten – eine der wohlhabendsten Regionen in Europa. Das muss man immer wieder betonen.Wenn man das ganze Gejammere hört, kann man ja den Eindruck gewinnen,man lebt in einer Quasi-Diktatur, die im sozialen Abstieg begriffen ist. Alles totaler Kokolores. Also muss man nach anderen Ursachen für den Aufstieg der Extremisten suchen. ... Es gibt in Ostdeutschland eine Kontinuität von illiberalen Einstellungen und von autoritären Staats- und Gesellschaftsvorstellungen. Das ist die Klammer, die BSW und AfD zusammenhält. Dafür werden die gewählt. Und solch eine paternalistische Politik verkörperte eben früher ein Typ wie Stolpe. ... Ich werde auch nie diese Euphorie von ‘89 vergessen. Deswegen habe ich kein Recht es hinzunehmen, dass Freiheit und Demokratie den Bach heruntergehen. ... Im Osten ist es zum Volkssport geworden, die DDR schöner zu reden, als sie jemals war. Viele sehnen sich nach Verhältnissen wie in der DDR, auch wenn kurioserweise niemand die mörderische Diktatur und die Mauer selbst zurück will. Unter diesem Schirm wird das blutrünstige Regime aber von vielen in rosaroten Farben gezeichnet. Dagegen schreibe ich an und sage: Habt ihr sie noch alle?! ... Im Osten gibt es besonders stark den Gegensatz zwischen „die da oben“ und „wir hier unten“. „Oben“ ist dabei immer der Westen. Das Kuriose ist: Gegen diese wahrgenommene Überwölbung soll nun ein noch autoritärer Staat helfen. ... Viele Ostdeutsche träumen von einer „Diktatur der Mehrheit“. Das wäre der klassische Gegensatz zur repräsentativen Demokratie. Die Mehrheit allein würde entscheiden, was zu tun ist, Minderheitenrechte würden keine Rolle mehr spielen. Dieser Wunsch erklärt übrigens auch den Satz, den ich immer wieder höre: „Ja, wir haben zwar die Meinungsfreiheit, aber ändern wird sich ja doch nichts.“ Am liebsten würde ich da immer antworten: „Wie doof bist du eigentlich? Geh doch mal zu deiner Familienfeier, da sind dann sechs Leute und sechs Meinungen. Jetzt erklär mir mal, wie die alle gleichzeitig umgesetzt werden sollen.“ Das Wesen der Demokratie ist eben der Kompromiss. Der ist vielen Menschen aber zu anstrengend. Und es wäre ja auch wirklich viel einfacher, in einer Diktatur zu leben. ... Nehmen wir mal das Thema Frieden. Man hört ja noch heute: Die DDR war doch ein friedlicher Staat. Aber ein Staat, der seine Gesellschaft präventiv einmauert und jeden, der abhauen will, wie einen räudigen Köter abknallt,der führt Tag für Tag Krieg gegen seine eigene Gesellschaft. Dass heute im Osten wieder so viele nach einem schnellen Frieden in der Ukraine rufen, ist eine dieser Diktaturschädigungen. Ohne Freiheit gibt es aber keinen Frieden. ... die weit verbreitete Ostdeutschtümelei. Dass zum Beispiel noch heute so getan wird, als sei das Schicksal des Ostens einzigartig. Dahinter steckt eine Ignoranz gegenüber der Welt und eine Egomanie. ... Ich hatte nicht vor, mich mein ganzes Leben lang mit der DDR zubeschäftigen. Das hat viele Gründe, einer ist aber ganz sicher: Ich komme von diesem Drecksstaat nicht weg."