Als Franziska 2017 zur Young Leaders-Konferenz nach Sotschi fuhr, freute sich die junge Frau auf internationale Diskussionen. Aber es kam alles völlig anders. In Erinnerung blieben der Juristin vor allem bizarre Erlebnisse: Wie Frauen und Männer in bayerischem Dirndl neben Männern im Stalin-Kostüm im russischen Olympiapark von Sotschi posieren. Wie später die russische Nationalhymne auf einem Berggipfel mit der Hand auf dem Herz gesungen wurde. Und spätabends alle zu einer Disko gefahren wurden, wo „unendlich viel Champagner und Wodka“ getrunken wurde.
„Es war das seltsamste Erlebnis meines Lebens“, sagt Franziska, die eigentlich anders heißt. Sie hat sich nach der Recherche von CORRECTIV und Policy Network Analytics zur Gazprom-Lobby bei der Redaktion gemeldet – wie noch weitere Teilnehmer, die Ähnliches berichten. Sie möchten anonym bleiben, aber dennoch transparent machen, was sie selbst als „russische Propaganda“ bezeichnen.
Bei den „German-Russian Young Leaders“-Konferenzen saß die Wirtschaftselite und auch Politprominenz auf der Bühne. Jedes Jahr feierten mehr als 200 Nachwuchstalente deutscher und russischer Firmen rauschende Partys: Kinder bekannter deutscher Unternehmerfamilien und aus dem Hochadel waren dabei; Konzerne wie Gazprom oder Metro sponserten ihrem Nachwuchs ausschweifende Tage. McKinsey schickte Dutzende Mitarbeiter; der russische Botschafter lud in seine Villa nach Berlin; Olaf Scholz, damals noch Hamburger Bürgermeister, in seinen Festsaal. Selbst der russische Geheimdienst soll unter den Gästen gewesen sein.
Wer dabei war, fühlte sich als Teil einer jungen deutsch-russischen Elite; es war die nächste Lobby-Generation, die auf deutsch-russische Geschäfte setzte. Lange Jahre gab es hier nur Sieger: Konzerne vernetzten aktuelle und künftige Mitarbeiter. Die Teilnehmenden schwelgten nur so im Luxus. Den steigenden Einfluss Russlands auf den deutschen Energiemarkt nahm man hin, auch die „Krimkrise“ änderte nichts an der Konferenz. Es lief wie geschmiert.
2022 war Deutschland abhängig von Gazprom und russischem Öl. Als Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, musste die deutsche Regierung mit Hunderten Milliarden dafür sorgen, dass das Heizen noch irgendwie bezahlbar bleibt.
Dass es längst Zeit war, die Party zu verlassen, wollte niemand wahrhaben. Selbst nach der Krim-Annexion 2014 nicht. Heute wollen viele ihr Engagement bei den Partys herunter spielen oder verschweigen: Keiner will sich erinnern können, wer die pompösen Events einst bezahlte. Die Sponsoren geben keine Summen an, ausrichtende Städte und die Organisatoren widersprechen sich.
Anhand dieser Treffen lässt sich zeigen, wie Deutschland aus einer Mischung von Naivität und Selbstüberschätzung in die Abhängigkeit von Russland geriet. CORRECTIV hat mit Teilnehmenden und Organisatoren gesprochen sowie in Kooperation mit der Rechercheinitiative Policy Network Analytics Hintergründe zu dem dichten Netzwerk, den Sponsoren und dem Verein zusammengetragen, auf den die Konferenzen zurückgehen.