Ab in den Wahlkampf
Wien wählt. Ganz Wien? Nein, nur der zweite Bezirk. Zu verdanken haben wir Leopoldstädter dass der mittlerweile en vogue gewordenen (kostspieligen) Wahlanfechtung; der Demokratie zur Liebe.
Wir erleben Wahlkampf im Kleinformat, hochkonzentriert auf den zweiten Bezirk. Von Wiens Bürgermeister Häupl wissen wir: "Wahlkampf ist Zeit fokussierter Unintelligenz".
Bereits am 18. September entscheiden wir (wieder) wer unsere Interessen als Bewohner dieses schönen Bezirks wohl am besten vertreten könnte. Für alle Parteien heißt es daher: Zurück an den Start und ab in den Wahlkampfmodus.
Neben dem Dauerbrenner "Wohnen" und der "Problemzone Praterstern" dominiert vor allem das Thema Verkehr und Mobilität den hiesigen Wahlkampf. Ein Thema welches mir als Großstädter und vermutlichen vielen weiteren immer wichtiger wird. Ich habe mich in den vergangenen Jahren daher immer intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt. Umso aufdringlicher wirken daher Absurditäten wie man sie nun auf Dreiecksständern oder in Diskussionen in den Sozialen Medien findet.
Wie sich Leopoldstädter fortbewegen
Der zweite Bezirk grenzt, wie die Bezirksnummer bereits vermuten lässt, unmittelbar an den Ersten, dem absoluten Zentrum der österreichischen Donaumetropole. Der Bezirk ist also geographisch besonders nahe am urbanen Geschehen.
Es ist aber nicht nur die örtliche Nähe, auch die Anbindung ist gut im Bezirk. Mit der U1 und der U2 durchqueren zwei besonders wichtige öffentliche Verkehrswege große Teile dieses Bezirks. Viele Straßenbahnen und Busse gibt es obendrauf. Klar: Es könnte natürlich noch besser sein (zum Beispiel der ständig überfüllte 11A), aber man jammert hier schon auf hohem Niveau.
Radfahrer finden hier schnell Radwege die sie halbwegs sicher von A nach B geleiten. Die besonders flache Topographie, die Nähe zum Zentrum und viele schattige Baumalleen machen diesen Teil der Stadt für Fahrradreisende besonders attraktiv. Aber auch hier gibt es viel Verbesserungspotential.
Als Fußgänger findet man hier teils großzügig angelegte Gehsteige. Ein Spaziergang ins Zentrum ist auch in einer vertretbaren Zeit machbar.
Als Autofahrer findet man in weiten Teilen des Bezirks meist recht rasch in der Nähe einen Parkplatz. Etwas schwieriger ist es im alten Kern des Bezirks rund um den Karmelitermarkt. Ganz anders in den neuen Teilen des Bezirks, wie zum Beispiel auf dem ehemaligen Nordbahnhofgelände: Was früher galt - pro Wohnung einen Kfz-Stellplatz - ist hier lange nicht mehr der Fall. Bauprojekte wie die "Bike City" oder "Bike & Swim" verzichten ganz bewusst auf viele Garagen oder Parkplätze.
Man könnte meinen, die Mieter streiten regelrecht um die wenigen verfügbaren Plätze! Die Realität ist aber eine andere: Man wirbt mit freien Stellplätzen, sogar mit Sonderaktionen.
Im Bezirk sind inklusive Firmenfahrzeuge 32.561 Pkw gemeldet (Quelle: Stadt Wien, Stand 2014), bei 101.702 Einwohnern. Obwohl dieser Bezirk, gemessen an der Anzahl der Bewohner, der Viertgrößte ist, gibt es mit 32,0% gemeldeten Pkws im Vergleich zum Rest der Stadt (der Durchschnitt liegt bei 40%) deutlich weniger Autos. Die Kfz-Anmeldungen sind hier übrigens rückläufig. Die Ursachen hierfür sind die bereits vorhin beschriebenen guten Alternativen und die Nähe zum Zentrum.
Gibt es aber doch mal Bedarf an einem KfZ und man besitzt selbst keines: Der Bezirk ist großteils im Geschäftsgebiet der CarSharing Anbieter wie Car2go oder DriveNow. ZipCar hat hier aktuell fünf Standorte.
Der Modal-Split, jene Kennzahl welche misst, wie Menschen ihre täglichen Wege zurücklegen weist für Wien im Jahr 2015 folgende Werte aus:
- 39% Öffentlichen Verkehr
- 27% zu Fuß
- 27% mit dem Auto
- 7% mit Fahrrad
Leider konnte ich keine Modal-Split-Daten für die Leopoldstadt finden. Es ist aber davon auszugehen, dass alleine schon aufgrund der unterdurchschnittlichen Pkw Anzahl im Bezirk, der Anteil an Autofahrern deutlich geringer ist, bzw. entsprechend der Anteil an Öffi-Nutzern wegen des guten Ausbaus, Fußgängern wegen der Nähe zum Zentrum und Radfahrer aufgrund der Infrastruktur und Topographie deutlich höher.
Bezirksdaten: https://www.wien.gv.at/statistik/bezirksdaten.html
Modal-Split-Wien: https://www.fahrradwien.at/2016/01/28/modal-split-2015-aktive-mobilitaet-auf-dem-vormarsch/
Wege die Verbinden, Straßen die Trennen
Neben dem Handelskai (Bundesstraße B14) im Nordosten und der Oberen Donaustraße bzw. Schüttelstraße im Südwesten ist die Praterstraße bzw. Lassallestraße die wohl wichtigste Verbindung neben der A23 für den motorisierten Individualverkehr für alle Wege von Nordosten in den Südwesten bzw. umgekehrt.
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Die Lassallestraße umfasst sechs Spuren und führt mitten durch den zweiten Bezirk. Sie zu überqueren klappt für Weniger-Flotte nur in Etappen. Nicht viel anders sieht die Situation auf der anderen Seite des Pratersterns, der Praterstraße, aus: vier Spuren plus zwei Parkstreifen entzweien den Zweiten.
Die Straßen dienen als Einfallsstraßen für den Pendlerverkehr und verbinden das Zentrum mit dem Norden Wiens.
Für die Bewohner der Leopoldstadt stellt sie jedoch eine fast unüberwindbare Barriere dar, um von einem Teil des Zweiten, in den anderen zu gelangen. Lediglich Ampelanlagen oder Unterführungen bieten einen sicheren Korridor für Fußgänger oder Radfahrer an.
Aufhorchen ließen die Grünen der Leopoldstadt mit einer Studie zur "Verkehrsberuhigung Praterstraße" in der sie forderten die Straße auf eine Spur rückzubauen und in eine Flaniermeile umzugestalten.
Die Bezirksvorstehung übte sich in Kampfrhetorik: "Das ist eine Kriegserklärung" lies Karlheinz Hora im April über die Boulevardmedien postwendend ausrichten.
Link "Verkehrsberuhigung Praterstraße": https://leopoldstadt.gruene.at/praterstrasse/studie-praterstrasse.pdf
Abbiegen in die Vorgartenstraße - Die Büchse der Pandora
Besonders morgens und abends führt die Reichsbrücke in der Dimension einer Autobahn Autopendler von auswärts in die inneren Bezirke Wiens und zurück, sie kreuzen dabei als erste Straße die Vorgartenstraße.
Unbestätigten Informationen nach, kam es in der Vergangenheit hier besonders häufig zu Unfällen, wesswegen das Rechtsabbiegen untersagt wurde.
Die unscheinbar wirkende Abzweigung noch vor der Vorgartenstraße auf den Handelskai ist somit die einzig sinnvolle Möglichkeit für den Durchzugsverkehr in Richtung des 20. Bezirks.
Ginge es nach dem Wünschen der derzeitigen Bezirksvertretung soll jedoch das Rechtsabbiegen wieder erlaubt werden. Was damals keine Option war, soll es nun jetzt wieder sein: Eine "bessere" Ampelschaltung soll die Unfälle in den Griff bekommen.
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Noch ist die rechte Spur so gut wie ungenutzt, man erkennt noch den weggefrästen Rechtsabbiegepfeil. Doch bald könnte hier der Durchzugsverkehr wieder rollen, ganz ohne Umwege direkt durch das Wohngebiet geleitet werden.
Laut Argumentation der Bezirksvorstehung wünschen sich das (zumindest einige) Anrainer, denn es käme durch die kürzeren Wege zu weniger Verkehr.
Klingt doch logisch oder? Doch stimmt das wirklich? Richtig und unbestritten ist: Wer von der Lassallestraße in die Parallelstraße (Walcherstraße) will, der muss einen Umweg in Kauf nehmen.
Worauf man hier aber vergisst sind alle anderen Autofahrer. Es mag zwar Paradox wirken, dass direktere und kürzere Wege zu einer Mehrbelastung führen, aber genau das ist der Fall. Man nennt es das Braess-Paradoxon. Es ist übrigens nicht neu, denn es wurde schon 1968 vom deutschen Mathematiker Dietrich Braess beschrieben. (Details https://de.wikipedia.org/wiki/Braess-Paradoxon)
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Die völlig geradverlaufende und vor allem (noch) sehr leere Vorgartenstraße könnte sich für den Durchzugsverkehr als attraktive Alternative zum verkehrsreichen Handelskai etablieren, wenn erst die Möglichkeit dafür geschaffen wird.
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Weiter in Richtung Brigittenau (20. Bezirk) erreicht man die Kreuzung mit der Walcherstraße. Hier haben die Autofahrer die Wahl es dem Autobus 11A gleich zu tun und in Richtung Engerthstraße zu fahren oder in die beiden 30er Zonen links bzw. gerade zu fahren. Beide 30er Zonen sollen unattraktiv sein für den Durchzugsverkehr, so heißt es.
Sind die Straßen wirklich unattraktiv? Man kann es als Autofahrer vermutlich leicht selbst beurteilen:
Walcherstraße: 30er Zone, hindernisfrei, kurvenfrei, weitläufig:
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Vorgartenstraße: 30er Zone, hindernisfrei, kurvenfrei, weitläufig:
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Aufgrund zahlreicher Anrainerbeschwerden gibt es punktuell Geschwindigkeitskontrollen durch die Polizei.
Diese punktuellen Kontrollen sind aber nur Tropfen auf den heißen Stein. Man muss nicht lange warten um hier Autofahrer zu sehen die deutlich jenseits der 50km/h durch das Wohngebiet rasen.
Öffnet man (wieder) das Rechtsabbiegen von der Reichsbrücke auf die Vorgartenstraße, öffnet man damit vielleicht die Büchse der Pandora: Man wird alte Probleme wie die (schweren) Unfälle wieder bekommen, zusätzlich aber auch neue Probleme schaffen: Mehrbelastung wie Lärm, Abgase und Unfallgefahr durch den intensiveren Durchzugsverkehr im Wohngebiet. Denn: Die Alternativen zum Handelskai sind, 30er-Zonen zum Trotz, einfach viel zu attraktiv.
Wen kümmert's, was Leopoldstädter wollen?
Dominik Amon http://www.dominikamon.com/
Eine wahlwerbende Partei plaktiert mit "Auf dem schnellsten Weg nach Hause - auch mit dem Auto! Freie Fahrt auf der Praterstraße"
Schnell nach Hause will wohl jeder nach der Arbeit, also "Na no, na ned" kann man sich hier denken. Der Appendix "auch mit dem Auto" sowie "Freie Fahrt auf der Praterstraße" finde ich dann schon etwas gewagt. Hat die Partei hier die Interessen der Einwohner wirklich verstanden? Wollen Leopoldstädter wirklich, dass Autofahrer möglichst "schnell" durch "ihre" Straßen fahren? Freie Fahrt hat wohl jeder gern, ebenso ein "Na no, na ned"-Argument. Aber zu welchem Preis? Will man weiterhin "Autobahnen" durch das Wohngebiet führen oder doch lieber Flaniermeilen? Kurzum: Will man Straßen die Verbinden oder Straßen die Trennen?
Große und weitläufige Straßen durch den Zweiten sind sicher im Interesse von Pendlern aus den Wiener Außenbezirken oder Niederösterreich die nach der Arbeit möglichst schnell zurück wollen zu ihrem "Haus im Grünen" abseits vom Verkehr und der Hektik der Großstadt. Doch genau sie sind es, die überhaupt Hektik und Verkehr in die Stadt bringen.
Wenn man weiß, wie sich der Großteil der Leopoldstädter fortbewegt (siehe oben), muss man sich schon fragen, was man mit solch einer Politik überhaupt will: Will man den Bezirk möglichst autofreundlich gestalten um noch mehr Pendler einzuladen durch unseren Bezirk zu fahren? Will man das wirklich?
Autofahrer gibt es hier auch. Ich gehöre dazu. Es ist aber nicht in meinem Interesse den Bezirk attraktiver für den Autoverkehr zu gestalten, denn schließlich wohne ich auch hier. Lieber fahre ich vielleicht fünf Minuten mehr verkehrsberuhigt über einen Umweg, als die Alternative "Verkehrslawine" mit all ihren Folgen, denn die ist deutlich unattraktivier.
Niemand kann in die Köpfe der Bewohner blicken, aber man kann davon ausgehen, dass Lärm, Abgase, Staus und das Unfallrisiko sicher nicht das ist, was sich die Bewohner wirklich wünschen.
Blickt man aber auf so manches Wahlplakat oder Aussagen diverser Vertreter lässt es nur einen logischen Schluss zu: "Wahlkampf - Zeit fokussierter Unintelligenz"
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