Dunkle und finstere Nacht
leihe mir deine Klarheit
um ihren Schritten zu folgen
einer Undankbaren, die geht
Morgen früh gegen Morgen
bedecke deinen Hof mit Blumen
denn es kommt dich besuchen
die Jungfrau der Schmerzen
Kleine Nelke, kleine Nelke, kleine Nelke, kleine Nelke
Stern des Morgens
klares Licht des Tages
warum hast Du mich nicht geweckt
als meine Seele von mir ging
Schmetterling, Schmetterling, Schmetterling
Dort oben auf dem Berge
Habe ich einen Brunnen mit klarem Wasser
Wo sich die Jungfrau ihre Füßchen
und ihr Gesicht wäscht
Wasserwolke, Wasserwolke, Wasserwolke
Kleine Nelke, kleine Nelke, kleine Nelke, kleine Nelke
Stern des Morgens
klares Licht des Tages
warum hast Du mich nicht geweckt
als meine Seele von mir ging
Schmetterling, Schmetterling, Schmetterling
Dieses Lied ist ein künstlerisch verfeinerter venezolanischer Melk-Gesang. Antonio Estévez schrieb ihn auf, er besteht aus traditionellen Melodien und Versen, die er auf einem Hof hörte.
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In den Weiten der venezolanischen Pampa (Llano genannt) ist es Brauch, die Kühe mit Namen zu rufen: Clavelito, Mariposa, Noche, Lucerito, ... - kleine Nelke, Schmetterling, Nacht, Sternchen, ... - und ihnen angesichts ihrer Kälber vorzusingen, damit sie willig ihre Milch geben. Ihre Namen werden wiederholt, ihnen wird geschmeichelt, aber auch - wie im Schäferlied - die Schmerzen anvertraut, die das Leben mit sich bringt.
In einer anderen Version, gesungen von Cecilia Todd, lauten die ersten Zeilen:
Lucerito de la mañana
préstame tu claridad
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Kleiner Stern des Morgens
leihe mir deine Klarheit
Es beginnt hier mit der Anrufung der Venus.
Ich habe dieses Lied vor 34 Jahren gehört und behalten, und Kraft der Magie des Weißen Negers Wumbaba hörte ich die darauf folgenden Zeilen so:
para seguirle los pasos
a un ángel hasta que se va
------
um seinen Schritten zu folgen,
einem Engel, bis er geht
Beide Versionen sind richtig; auch ein Engel kann undankbar erscheinen, obwohl er ein zutiefst dankbares Wesen ist. Jedenfalls ist es kein geistlicher Gesang, als der er mir erschien, sondern ein bäuerlicher. Aber richtig gewirkte Landwirtschaft ist eben auch Gottesdienst, und ein γεωργός der so singt, ist mir lieber als jeder Agrar-Ökonom.
Warum ich das auf f+f schreibe, fragt ihr euch? Nur um in Erinnerung zu rufen, daß nicht überall in der Welt Tier- & Planzenproduktion betrieben wird: als Kontrast zum Treiben z.B. im deutschen Schweinegürtel.
Wir werden zu einem liebevollen Umgang mit uns selbst, der Natur, der Erde kommen, und wenn wir uns nicht aus freien Stücken aufmachen, genau das zu tun, werden wir es auf sehr schmerzliche Art lernen müssen. Die Liebe ist unerbittlich.
In dem Text steckt viel mehr, als meine stümperhafte Übersetzung transportieren kann; recht eigentlich ist er nicht zu übersetzen.
Obwohl bäuerlichen Ursprungs (oder weil?), stecken in ihm religiöse Chiffren, und er kündet von der Marienverehrung der ländlichen Bevölkerung Südamerikas, die sich immer mit der für Pachamama, der Mutter Erde, mischt.
Clavelito - kleine Nelke - wird viermal wiederholt, und Clavel hat den selben Bezug im Spanischen zu Nagel wie die Nelke im Deutschen (mit Näglein besteckt), das sind die vier Nägel am Kreuz Christi; dreimal wird der Schmetterling wiederholt, Sinnbild für die Seele, die dreifach leidet. Das sind die sieben Leiden der Schmerzensmutter, die du mit Blumen empfangen sollst.
In den lauteren Wassern deiner Seele, die auf hohem Berge sich finden, über allem, reinigt sich die Jungfrau ihr Gesicht, auf daß es klar werde, und wäscht sich die Müdigkeit des Weges von den Füßen.
Ein wunderbares Lied für Ankunft, Abschied und Neubeginn. Ob Antonio dies alles bewußt war, als er dieses Kondensat Venezuelas aufschrieb, tut nichts zur Sache; oft transportieren die besten Dichtungen Weisheiten abseits der Absichten des Dichters.
Macht's gut.
Q.