Im reichhaltigen Werk von J.S.Bach findet man in der Clavierübung III Theil, die 21 Choralbearbeitungen enthält und deren Rahmen Präludium und Fuge Es-Dur BWV 552 bildet, am Ende vor der großen Trinitatis-Fuge ein seltsames und viel zu wenig beachtetes Einsprengsel: Vier Duette, die - wie der Name schon sagt - zweistimmig sind und charakterlich überhaupt nicht zu den den übrigen im Werk versammelten Tonstücken passen.
Was hat es mit diesen in aufsteigender Reihenfolge von Tonarten - e, F, G, a - meisterlich gesetzten Stücken auf sich? Warum stehen sie gerade an dieser Stelle, vor der Trinitatisfuge?
Vielleicht hatte sie Bach gerade herumfahren und hat sie deswegen da hineingepackt - "ach komm, das drück ich da auch noch rein, wird nicht schaden" - aber dagegen spricht, daß es in Bachs Tonfolgen kaum etwas "zufälliges" im Sinne von "beliebig" gibt, er daher ganz enorm dessen bewußt war, was er tat. Beliebigkeit kommt eher nicht in Frage.
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Die Stellung der Vier Duette vor der Trinitatisfuge deutet vielmehr darauf hin, daß sie was österliches erzählen, vollendet sich doch im Ostergeschehen die Dreieinigkeit, Trinitatis.
Man geht kaum fehl, wenn man annimmt, daß diese vier Stücke mit Ostern, mit dem Leben und Wirken Christi verbunden sind und davon erzählen. Wie jetzt, das war doch immer Bachs Thema, "ad majoram dei gloriam" und so? Ja schon, aber hier ist es dermaßen kompakt, konzis und stringent dargestellt, daß es einem schwer fällt, darüber überhaupt zu schreiben, weil man vor Ehrfurcht lieber verstummen möchte. Ich aber, ich Sünder und Heide, radebreche weiter.
Hören wir uns die Stücke an (Links unten). Hier meine Deutungen.
Das Duett in e-moll beginnt mit einer auf- dann absteigenden Tonleiter. Bach, der alte Jazzer, nimmt hier eine der Jazz-Tonleitern vorweg, sie beginnt in moll, um nach dem Höhepunkt in Dur wieder nach moll abzusteigen. Einfacher und klarer kann man den "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit" Kants - und den Rückfall in diesselbe, möchte man meinen - musikalisch nicht darstellen. Aber die halbtönig ab- und ganztönig aufsteigenden Figuren des Kontrapunkts - einen Schritt zurück, zwei Schritte vor - weisen auf eine machtvolle Aufwärtsbewegung trotz aller Rückschritte hin, und beide Stimmen sind natürlich verzahnt. Vielleicht bin ich verstiegen, wenn ich in diesem Duett die Beschreibung des Wirkens aller Meister erkenne die aufsteigen, danach bewußt in die Bewußtlosigkeit wieder hinabsteigen um dort durch ihr Wirken die gefallenen Seelen mit zu nehmen in ihre Höhen der Bewußtheit, von welcher der Schlußtakt des Duetts kündet. Damit ist umrissen, worum es in diesen vier Stücken geht.
Das zweite Duett in F-Dur beginnt mit einer prächtigen Fughetta, kurz und knapp. Pralles Leben, das seinen triumphalen Abschluß im endenden Triller findet. Danach aber verengen sich die Stimmen und folgen einander mit einem Versatz von einem Achtel, und in moll! Im Vergleich zur fröhlichen Fughetta wirkt dieser Part düster und verstörend, er ist chromatisch gebrochen und voller Irrlichterei. Wie eine Midlife-Crisis. Aber zeigt die Engführung der Stimmen nicht etwas anderes an? Es geht um Zusammenhalt, mal geht die eine, mal die andere Stimme voraus und führt oder spornt an, oder korrigiert und prüft. Hier wird das Verhältnis des Schülers zu seinem Meister (die letztendlich identisch sind) musikalisch vollendet dargestellt, und das Ende kulminiert im Coda, womit die fröhliche Fughetta vom Anfang wiederkehrt als Bestätigung. Musikalischer Ausdruck des alten Spruchs:
Vor der Vollendung: Wasser tragen, Holz hacken. Nach der Vollendung: Holz hacken, Wasser tragen.
Das dritte Duett ist an Fröhlichkeit kaum zu überbieten. Lebenslust pur. Die moll-Passagen enthalten Dur-Erklärungen oder werden durch abenteuerlich dissonante Trotzdem-Figuren (Takt 20-21) wieder im folgenden hinausgeführt in die Fröhlichkeit des Lebens. Nicht ohne Grund spiele ich genau dieses Stück jeden Tag auf meiner depperten YAMAHA-Heimorgel, in Zeiten von "Corona". Dargestellt wird das Leben und Wirken Christi als Wanderprediger in Palästina (Wasser in Wein, wissenschon, Mehl in Kokain ging nicht weil unbekannt). Es hätte sich so gut ausgehen können wie in der Schlußkadenz dargestellt, mit der unglaublich liebevollen Wiederkehr des Themas am Ende, wenn die Dinge nicht anders gelaufen wären.
Das vierte Duett in a-moll ist in seiner Wirkung stark abhängig von der Geschwindigkeit, in der es dargeboten wird. Als Andante oder noch schneller gespielt ist es ein mehr oder weniger heftiges protestantisches Gekeife. Als Largo oder Largissimo jedoch ist es Passion at its best. Ständig versucht es aus moll nach Dur auszubrechen, und es gelingt nicht. Es ist ein Gethsemane-Thema, mit dem es beginnt, voller Zweifel und trotzdem mit inhärenter Festigkeit, die der Orgelpunkt auf dem E auf schwachem Schlag vermittelt; schon alleine deswegen verbietet sich eine beschwingte Interpretation, sie muß auf jeden Fall "Cantabile" sein. Das Duett beschreibt die unerschütterliche Vergebung auf dem Kreuzweg bis zum Ende, die Liebe Chrsti von seinem Inneren her sehend. Die Ausblicke in eine bessere, liebevollere Welt sind ausgedrückt in den Modulationen in den Takten 61-70, später in der Dominante wiederkehrend. In dieser Deutung ist die Schlußsequenz als Ende und "es ist vollbracht" zu hören. Mehr kann ich dazu gerade nicht schreiben, weil der Hund will raus und die Johannes-Passion läuft, und die Tränendrüse drückt, wie immer an Ostern.
Die Vier Duette sind also nach meinem Dafürhalten eine Darstellung Christi in toto, alles dessen was sich darstellen läßt. Und genau deswegen sind sie in der "Clavier-Übung III. Theil" vor der großen Trinitatisfuge eingereiht worden.
Eine andere Deutung besagt, daß die Vier Duette ein kurzes Lehrwerk zur ehelichen Lebensführung seien, qua Duette. Während meines Aufenthalts in einer psychosomatischen Klinik, in der ich diese Stücke zum besten gab und in der es von Anonymen-Was-Weiß-Ich wimmelte, sagte ich einem (selbst-erklärten) Sex-Süchtigen nach Darbietung des 1.Duetts: "wenn du so ficken kannst wie dieses Stück hier klingt, dann bist du überm Berg." - "Hm, da ist was dran". Obwohl ihre Wirksamkeit in Ehekrisen unerforscht und daher unbewiesen ist, halte ich die Stücke für indiziert. Nicht jede Bach-Therapie ist Humbug.
Es gibt noch eine Darstellung, nach der die Vier Duette eine musikalische Umsetzung der Ostersequenz "victimae paschali laudes" des Wipo von Burgund (990–1050) seien (Link unten). Folgt man dieser Darstellung (und warum sollte man nicht?) ist die bestürzende Konsequenz anzuerkennen, daß Bach in einer "alternativen Realität" lebte, in der Liturgie, Mathematik, Musik und noch mehr als Synopsis, Zusammenschau, eine unteilbare Einheit sind, vielmehr diese Einheit die Realität ist, in der er lebte und die der Quell seines Schaffens ist. Diese Deutung ist nicht von der Hand zu weisen! Der Gematrische Inhalt ist den Tonstücken ja inhärent, weder nachträglich hinzugefügt noch vorher ausgeklügelt. Das bedeutet aber, daß Bachs Musik (vor allem in seinen Instrumentalstücken - die Kantaten waren ja Auftragsarbeiten) weit mehr ist als mehr oder weniger eträgliches Tonwerk, sondern die Einheit von Liturgie, Mathematik und Harmonie transportierend recht eigentlich Lehrwerk ist, von uralter Weisheit kündend und direkt im Ewigen wurzelnd. Das ist auch der Grund, warum sich Bachs Musik niemals "abnützt", man kann sie jeden Tag neu hören, so wie man sich jeden Tag über den Sonnenaufgang freuen kann.
Die Vier Duette eignen sich auch noch einem ganz pragmatischem Zweck. Bach war ja auch sehr gefragt als Orgel-Gutachter. Mit den kaum verhüllten Quint-Parallelen in No.1 und der Chromatik in No.1 und 2 eignen sie sich hervorragend um Orgeln zu prüfen. Ich kann mir lebhaft vorstellen wie Bach die Ärmel hochkrempelte und sagte "nu, ich schbiel jetze een paar Schdigge, und wänn's quietschd unn knarrzd in de Ohrn, dann is de Orgel värstimmd". Und dann spielte er (was sonst?) Christus-Themen.
Frohe Ostern!
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Die Vier Duette, meisterlich gespielt von Evgeni Koroliov:
Das schöne Gelächter im 3.Duett wird aber hier am deutlichsten:
Gematrische Untersuchung der Vier Duette durch Christian Overstolz als Ostersequenz des Wipo von Burgund: