Es ist einer dieser Reisemomente, der mir immer in Erinnerung bleiben wird. Auch wenn seither schon drei Jahre vergangen sind, fühlt es sich heute noch genauso an wie damals. Es begab sich in einem Hostel auf der argentinischen Seite des Iguazu-Wasserfalls. In einer Unterkunft, in der es Schlafsäle mit 14 Stockbetten gibt. Genau in einem solchen hatte ich mich einquartiert – und war beinah allein, schließlich war Nebensaison. Kurz vor Mitternacht gesellten sich dann doch zwei Mädels zu mir: Wie sich später herausstellte, handelte es sich dabei um zwei Israelinnen. Und wer schon einmal Israelis auf Reisen begegnet ist, hat vermutlich schon so manche allgemeine Regel kennengelernt (Ausnahmen bestätigen natürlich wie üblich diese):
1) Sie kommen nie allein, sondern sind immer in Gruppen von mindestens drei Leuten unterwegs. 2) Sie sind meist so um die Anfang 20, haben gerade ihren Militärdienst hinter sich gebracht und wollen sich jetzt nochmal etwas austoben, die Welt sehen, bevor sie zuhause heiraten und Kinder kriegen. 3) Offenheit ist nicht gerade ihre Stärke.
Abgesehen von den seltenen Momenten, in denen man sich notgedrungen ein Taxi teilt oder in denen man eben gemeinsam in einem Zimmer landet.
Passiert Letzteres kommt man eben mit seiner Bettnachbarin ins Gespräch. Wie geht’s dir? Wie heißt du? Woher kommst du? Die üblichen Fragen unter Reisenden im Allgemeinen und Backpackern im Besonderen. Ich hatte ihr – den Namen habe ich zugegebenermaßen vergessen – also erzählt, dass ich seit 9 Monaten in Südamerika unterwegs wäre. Meist allein, weil mein Partner in Österreich arbeiten müsse.
Sie hörte mir eine zeitlang zu und stellte dann die Frage, die ich sie seit einigen Jahren dank meiner grauen Schläfen und meiner Stirnfalten immer öfter höre: “Und wie alt bist du eigentlich?” Ich: “33.”
Meine Antwort hätte sie fast vom Bett geworfen. “Oh mein Gott”, blieb ihr das Staunen fast im Hals stecken, “ich habe noch nie eine so alte Person auf Reisen getroffen. 26 war das Höchste.”
Was ich ihr darauf geantwortet hätte, das weiß ich nicht. Die Überlegung blieb mir erspart, tauchte doch plötzlich aus dem Kissenberg des Betts gegenüber ein männlicher Strubbelkopf auf und meinte empört in unüberhörbarem französischem Akzent: “Ich bin 36 und seit 4 Jahren unterwegs.”
So sympathisch wie dieser Fremde war mir schon lange keiner mehr ...
Mittlerweile habe ich selbst das methusalemische Alter dieses Franzosen erreicht – und ich bin immer noch auf Reisen. Nicht viel anders als mit 33, ja nicht mal viel anders als mit Mitte 20, wie ich feststelle: Ich schlafe auf längere Sicht noch immer lieber auf Couches oder in Gästebetten von Einheimischen (Couchsurfing sei Dank!) als in anonymen 5-Sterne-Hotels, in denen zwar alles funktioniert, aber eines genauso aussieht wie das Andere. Ich bin immer noch allein unterwegs bzw. mit temporären, teils zufällig passierenden Reisepartnern unterwegs. Ich trage noch immer meinen Rucksack auf dem Rücken statt einen schicken Rollkoffer hinter mir herzukarren.
Ja, ich bin wählerischer geworden. Ich brauche mehr Zeit für mich und zahle dann auch schon mal gern für funktionierendes Wifi, einen ruhigen Schlafplatz oder eine Busfahrt mit ausklappbaren Sitzen. Aber nicht immer. Das hat nämlich für mich nicht (nur) mit dem Alter, sondern vor allem damit zu tun, dass ich ab und an eine Pause vom Reisen mache. Dann nämlich, wenn ich für einen Auftrag arbeiten muss und für einige Tage, vielleicht sogar Wochen ein Office im Coffeeshop einrichte. Dann lebe ich eher den Alltag der Locals als die Urlaubszeit der Touristen. Und das ist gut so!
Was sich noch geändert hat? Die Frage nach dem Alter wird mir immer öfter gestellt, besonders in Kulturen wie Südamerika, Asien oder Afrika könnte ich bereits dreifache Großmutter sein. Das merkt man spätestens dann, wenn man von 25jährigen 5-fach-Müttern im ostafrikanischen Dorf Kasaala für 21 Jahre gehalten und dementsprechend als uralt eingestuft wird. 21 Jahre alt und weder Mutter noch Ehefrau, dann noch herumreisend – das ist schon unvorstellbar für sie! Von meinem wahren Alter ganz zu schweigen.
Es ist eine Tatsache: War ich früher meist unter den Jüngsten, bin ich mittlerweile die Älteste einer Gruppe. Treffe ich Reisende, dann sind die größtenteils um die Mitte 20 – maximal 30. Begegne ich Gleichaltrigen, dann sind das diejenigen, die in Südamerika oder Ostafrika arbeiten, sich als Expats niedergelassen haben und hier ihr Leben leben. (Zumindest für eine gewisse Zeit, denn viele von ihnen packt nach einer gewissen stabilen Phase wieder das Reisefieber – aber das ist eine andere Geschichte, die ich ja auch nur allzu gut kenne.)
Würde ich behaupten, diese Erkenntnis ließe mich kalt und wäre so einfach wegzustecken, ich würde lügen. Nein, es ist komisch für mich die Älteste zu sein! Und an manchen Tagen möchte ich mich am liebsten verkriechen, dann habe ich das Gefühl, nicht zu passen, nicht dazu zu gehören. Ja, ich stelle mir die Frage, ob ich mich denn nicht weiter entwickle. Warum ich noch immer so bin wie mit Mitte 20. Nicht, dass ich mich so fühle - auch wenn ich es früher nicht für möglich gehalten habe, stimmt die Aussage, dass man mit dem Alter weiser, zufriedener, selbstsicherer wird in jedem Fall. Selbst für mich. Ich merke, ich lasse negative, zerstörende Dinge und Menschen nicht mehr so nah an mich ran. Ich entscheide mich stärker für mich. Ich ändere Situationen, sobald ich die Möglichkeit habe und weiß, was ich will bzw. mir wert bin. Nicht immer, aber immer öfter. Und doch: Trotz all dieser Learnings und Entwicklungen ist mein Lebensstil noch immer verdammt ähnlich dem, den ich mit 25 hatte.
Ob ich so weitermachen und weiterreisen möchte, die Frage stelle ich mir immer wieder. Doch wenn ich dann versuche, mich dauerhaft niederzulassen, taucht das Kribbeln in den Beinen wieder auf und die Decke fällt mir auf den Kopf. Wenn ein Partner mit Hausbauen und Kinderkriegen anfängt, bin ich – zumindest emotional – auf und davon.
So sehr ich doch meine Basis in Wien brauche und liebe. So sehr ich meine Beziehungen, bestaendigen Freundschaften und beruflichen Partnerschaften schätze und dankbar dafür bin: Die Antwort auf obige Frage ist seit Jahren dieselbe – auch wenn ich mich selbst manchmal von etwas Anderem überzeugen möchte, um eher “zu passen”: Ja, ich möchte weiter reisen, ja und wieder ja! Meine Familie und meine Freunde haben das längst begriffen und nehmen mich so, wie ich bin. (Danke dafür!) Und auch ich kann mittlerweile dazu stehen. Habe ich vor ein paar Jahren die Frage nach meinem Alter noch unverständlich dahingenuschelt, kommt es mir mittlerweile selbstverständlich über die Lippen: Ich bin 36, und ich bin wohl ein Reise-Methusalem!