"Segeln ist eine Annäherung an die Wirklichkeit“, an Skipper Hansjörg Winkler ist ein Philosoph verloren gegangen. Dabei versucht er sich mit diesem Ausspruch weniger an einer Erklärung des Lebens, sondern vielmehr an einer Beschreibung der Navigation auf Hoher See. Wer nämlich hier alles auf den Milimeter genau bemessen möchte, der ist fehl am Platz. Bei Knoten, Seemeilen, Richtungen und Distanzen geht es vielmehr um nichts Anderes als die erwähnte Annäherung. Schließlich sind Unwegbarkeiten wie Wind und Wetter oder die drehende Strömung einfach nicht eindeutigst und mit 100%iger Genauigkeit zu bemessen. Sagt zumindest der gebürtige Grazer, der sich nicht nur hier auf dem Mittelmeer zwischen Spanien und Marokko zuhause fühlt, sondern wohl überall, wo er die Segel hissen kann.
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Es ist ein Ausspruch, den ich verstehe und den ich mir von dieser 14stündigen Segelfahrt von Fuengirona in Spanien nach Marina Smir in Marokkomerke. Einen der Wenigen. So sehr sich Hansjörg auch bemüht, uns seine 15jährige Erfahrung auf dem Wasser mitzuteilen, so sehr bleibt die Segelsprache auch diesmal für mich wieder ein kryptisches Mysterium. Vielleicht liegt es daran, dass ich mehr mit meinem Magen als der Navigation beschäftigt bin, dem es hier auf dem luftigen Segelboot so gar nicht gefällt. „Nein, ich werde nicht seekrank“, hatte ich noch an Land felsenfest überzeugt und ebenso überzeugend von mir gegeben. Schließlich war ich ja schon damals bei meiner ersten mehrtägigen Segeltour im Great Barrier Reef eine der Wenigen an Bord, die nicht ob der hohen Wellen und stürmischen Bedingungen vom Rettungsboot abgeholt werden musste. Standhaft hatte ich dem Ganzen getrotzt, mich in meine winzige Schlafkoje gezwängt und jegliche klaustrophischen Anfälle, begleitet von Schweißausbrüchen und panikartigen Herzklopfen gefließentlich ignoriert. Hartnäckig hatte ich mich immer wieder von Schnorchelgang zu Schnorchelgang gehantelt und die Faszination der anderen an der Unterwasserwelt zu teilen versucht. Mit mehr oder weniger großem Erfolg.
Diese beengende, erste Erfahrung hielt mich aber nicht davon ab, immer wieder den Versuch zu starten, als Landratte den sicheren Boden zu verlassen und mich aufs offene Meer zu begeben. Tut sie bis heute nicht. Das Seeleben übt einfach eine zu magische Anziehung auf mich aus: Wenn man im Hafen von Fuengirona über die Reeling gebeugt mit den Nachbarn ins Gespräch kommt und überrascht herausfindet, dass das scheinbar biedere spanisch-italienische Ehepaar in den sogenannten besten Jahren vor einiger Zeit aufgebrochen ist, um sich auf eine Reise über die Weltmeere zu begeben. Oder wenn man plötzlich am Bug das Wasser brechen hört und merkt, dass es sich dabei um einen Delfinschwarm handelt, die dich schon die längste Zeit in spielerischer Leichtigkeit begleiten. Oder wenn dir der Wind das prickelnde Meerwasser ins Gesicht klatscht, sodass du alle Mühe hast, dich am Masten festzuklammern und dir mit jedem Wasserspritzer bewusst wird, dass du nur mit diesen Naturgewalten arbeiten kannst, nicht gegen sie. Das sind Momente, die mir noch heute – Tage, Monate, Jahre später – einen wohligen Lebensschauer über den Rücken jagen und die Härchen auf meinen Armen hochkitzeln.
Heute noch etwas mehr als sonst, packt ich doch gerade wieder meine Drybag, um meine Landratten-Komfort-Zone auf ein Neues zu verlassen: Fünf Tage und vier Nächte geht es mit dem Segelschiff vom philippinischen El Nido auf Palawan Richtung Coron. Was vor zehn Jahren aus einer regelrechten Schnapsidee eines Philippinen und eines Briten entstanden ist, die einfach ein Fischerboot gekauft und Passagiere in Bars "angeheuert" haben, um mit ihnen die vom Tourismus noch nicht entdeckten Inseln in Nord Palawan zu besuchen, ist zwar mittlerweile ein professionelles Erfolgsmodell geworden. Dennoch ist eines damals wie heute gleich geblieben: Der Kurs auf Coron steht, die genaue Route hingegen, auf welchen der zahlreichen, abgeschiedenen Inseln wir dazwischen Halt machen und übernachten werden, bei welchen Fischerdörfern wir pausieren, welche Lagunen und Secret Beaches wir auf dem Weg entdecken - all das lässt sich bei diesem Turn nicht vorher bestimmen. Wenn mir da nicht wieder Hansjörgs Worte ins Gedächtnis kommen: "Segeln ist eine Annäherung an die Wirklichkeit." In fünf Tagen weiß ich dann auch, wie diese aussieht ...