Gatsch-Geflüster oder Die Kunst, in Uganda ein Lehmhaus zu bauen

Das soll ein Haus sein? Noch vor einer Woche hätte mir der Anblick wohl die Sprache verschlagen. Selbst heute, nach vier teils Augen öffnenden Tagen in Uganda, fehlen mir die Worte angesichts dessen, was ich hier zu sehen bekomme. Vor uns steht eine dunkle, fensterlose Lehmhütte mit brüchigen Wänden und Strohdach. Die Tür aus Brettverschlägen gibt den Blick aufs Innere frei, so als ob sie zeigen wollte, dass es auch da nicht besser aussieht: Ein paar Kanister stehen herum, einige Kisten, Ablagen sind in der Finsternis zu erkennen. Was bei uns in Westeuropa nicht einmal als abgewracktes Gartenhäuschen oder vernachlässigter Geräteschuppen durchgehen würde, das bezeichnen in Kasaala, einem kleinen Dorf in Ostafrika gleich neun Menschen als ihr Zuhause.

Doch das soll sich jetzt ändern: Das österreichische Voluntourismus-Unternehmen Karmalayahat zwei andere Freiwillige und mich hergeschickt, um für die HIV-infizierte Witwe Sarah N. und ihre Töchter nämlich, die – wie sich herausstellt – selbst bereits gefühlt unzählige Kinder mit sich herumtragen, ein größeres Lehmhaus zu bauen. „Charity before Christmas“ nennt sich das Projekt, bei dem wir die nächsten zehn Tage im Gatsch wühlen – buchstäblich. Was für eine Dreckschlacht uns erwartet, das wird uns auf den ersten Blick auf die bereits vorbereitete Matschgrube (unser „Baumarkt“) hinter dem Haus genauso bewusst wie die Notwendigkeit, der Großfamilie eine bessere Unterkunft zu Verfügung zu stellen.

„Welcome and thank you for the work“, diese Worte sollen wir in den nächsten Tagen noch öfters hören. Kaum vernehmbar im mehr schlechtem als rechtem Englisch hingehaucht von den Bewohnerinnen des Hauses. Die überlassen die Arbeit am Haus größtenteils uns Volunteers und den paar Einheimischen, die schon den Grundstein für das neue Zuhause gelegt haben. Als wir nämlich zur ersten Besichtigung antreten, stehen die stützenden Holzpfeiler bereits, und ein paar Schwarze klettern auf diesen herum, um das Blechdach zu befestigen. Die Frauen des Hauses hingegen sind anderweitig beschäftigt: Sie schälen Kartoffeln, eine rührt in den dampfend heißen Bohnen an der offenen Feuerstelle, die Nächste stapft den Kleinkindern hinterher, die sich auf wundersame Art und Weise jede Minute zu vermehren scheinen.

Wir spucken in die Hände. Zumindest gedanklich, schließlich gibt es viel zu tun. „Wir machen einmal Pause“, ruft uns eine Ankündigung in die ugandische Wirklichkeit zurück. Die Blicke, die wir unserem Koordinator Wycliff auf diesen Ausspruch hin, zuwerfen, sprechen Bände. Allein, er will sie nicht lesen und setzt sich seelenruhig auf einen der herumliegenden Baumstümpfe. Nachdem weder meine Schweizer noch meine Deutsche Kollegin Luganda, den in der Gegend geläufigen Dialekt, beherrschen und die Dorfbewohner wohl Englisch teils verstehen, sicher aber nicht sprechen, bleibt uns nichts Anderes übrig, als es Wycliff gleich zu tun. Arbeiten hätte ja ohnehin keinen Sinn, müssen wir doch zuerst einmal Anweisungen von „Boy“ warten, einem der Arbeiter, den wir in den nächsten Tagen Chef nennen. Und der, der sitzt jetzt mit den anderen beim Frühstück – Posho und Bohnen, versteht sich. Wir lernen gleich zwei Dinge, die sich in den nächsten Tagen als äußerst nützlich erweisen sollen: Pausen sind das Wichtigste UND Afrikaner haben Zeit.

Eine gefühlte Stunde später geht es endlich ans Werk. Der erste Arbeitsschritt ist, geeignete Baumstämme zu finden, zu vermessen und anzupassen, die als weitere Stützpfeiler des Hauses dienen sollen. Dafür folgen wir Mutter Sarah N., die anders als ihre Töchter sehr wohl tatkräftig mithilft und seit dem ersten Moment umtriebig ist, in den Busch. Dass wir da jemals wieder herausgefunden haben, ist nicht unserer großartigen Orientierungskunst an gleich aussehenden Pflanzen zu verdanken, sondern der Tatsache, dass die Villagers die Pfade durch den Busch genauso kennen wie wir den Weg zum nächsten Supermarkt. Wir schleppen also Baumstämme, messen sie am Haus ab, hacken sie auf die richtige Länge zurecht … und finden später doch nie wieder den passenden Baumstamm für die jeweiligen Stellen. Nachdem sie nämlich nicht gleich in die Position gegeben wurden, scheinen Pfosten einfach verschwunden zu sein. Wie sich die Ugander auf dieser Baustelle auskennen können, das bleibt mir sowieso ein Rätsel: Überall liegen Baumstämme, Bambusrohre, Stümpfe herum – was davon Baumaterial und was einfach nur nicht weggekehrter Abfall ist, das kann ich nicht erkennen. Sosehr wir Europäerinnen uns aber auch ein „System“, einen Plan und eine geplante Vorgehensweise wünschen würden, müssen wir uns wohl oder übel an die ugandische Arbeitsweise anpassen. Wir lernen.

„Mittagessen ist fertig“, tönt es nach zirka zwei Stunden auch schon wieder. Auf die Frage, ob wir von der vielen Arbeit nicht völlig fertig wären, bleibt uns das Lächeln stecken. Tatsächlich endet unser erster Arbeitstag damit auch schon wieder, bevor er noch so richtig begonnen hat. Für die nächsten Schritte muss nämlich noch so Einiges von „Boy“ und seinen Mannen vorbereitet werden. Auch das ist ein Moment, den wir in der nächsten Zeit noch des Öfteren erleben werden. Vorbereitung und Vorausplanen kennt man nämlich hier nicht wirklich. Siehe Learnings!

Die nächsten Tage bestehen für uns aus vielen solcher. Mit den neuen Erkenntnissen meine ich nicht nur, wie man ein Haus aus Gatsch baut, wie man die Pfosten mit Schnüren miteinander verknüpft, welche Bambusrohre sich als Verbindung am besten eignen, wie man aus Erde Baugatsch produziert, wie man Lehm in die Zwischenverstrebungen wirft und so verklopft, dass eine Art Verputz entsteht … Die wichtigste Erkenntnis findet wohl in der Arbeit mit den Ugandern selbst statt. Immer wieder ertappen wir Europäerinnen uns, erst beim Produktivsein so richtig aufzublühen. Bei uns muss es weitergehen, wir müssen sichtbare Fortschritte machen, ständig etwas tun, unsere Pflichtso gut wie möglich erfüllen, so effizient und zeitsparend arbeiten wie möglich. Irgendwann lese ich den Spruch: „Wir wissen zwar nicht, wo es langgeht, aber wir werden uns trotzdem beeilen.“ Den Ugandern kann das nicht passieren.

Am zehnten Tag wird das Haus – zeitgerecht - fertig. Das liegt aber nicht an der guten Planung, sondern daran, dass wir die meiste Zeit nur ein paar Stunden pro Tag tatsächlich etwas getan haben. Aufgaben, für die ein Tag einkalkuliert worden sind, haben wir in zwei Stunden erledigt. So verlassen wir also am Tag zehn die Baustelle. Es wird noch ein Gruppenfoto mit der Familie geschossen, werden Dankesworte ausgetauscht – unsere Arbeit ist getan, mehr können wir nicht tun. Den Feinschliff übernehmen „Boy“ und seine Helfer: Die beiden Fenster und Türen müssen noch eingesetzt werden, that´s it.

Eine Woche später kehre ich ins Dorf zurück und möchte mir anschauen, wie es Sarah N. und ihrer Familie im neuen Zuhause geht. Ich kehre unverrichteter Dinge zurück: Seitdem wir die Baustelle verlassen haben, ist nichts mehr geschehen. Weder Fenster noch Türen sind eingebaut, die Familie haust nach wie vor in ihrem kleinen Verschlag. Angeblich möchte sie in einer Woche ins neue Haus ziehen, aber was ist schon Zeit!?

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