Eigentlich wollte sie ja bloß den Ersatzakku ihrer Kamera aus der Tasche fischen. Eigentlich hat sie sich dafür extra in ein stilles Eckchen verzogen. Und eigentlich war die Packung Nüsse, die sie vom Boot mitgenommen hatte, als Wegzehrung für uns fünf bestimmt.Eigentlich.Der Affe wusste es besser.

So schnell konnte Eva gar nicht schauen, hat der ihr doch von hinten in die Tasche gegriffen, zielsicher ausgerechnet die geschlossene Packung Nüsse geschnappt und sie auch schon gekonnt mit seinen Zähnen aufgerissen. Gelernt ist eben gelernt.

30 Prozent ihrer Zeit verbringen die rund 250 frei lebenden Berberaffen auf Gibraltar – die Einzigen in Europa - in Gesellschaft von den rund 5.000 Touristen, die die 6,5 Quadratkilometer große Halbinsel täglich besuchen. Mittlerweile sind sie solche Meister darin, Kopfbedeckungen oder Halstücher zu klauen, Wasserflaschen aus den Händen zu reissen oder sich auf alles zu stürzen, das raschelt oder so nach Nahrung riecht wie Evas Nüsse, dass sie von den 30.000 gemeldeten Bürgern der Halbinsel so mancherorts als Plage bezeichnet werden. Angeblich dringen sie durch offene Fenster in Wohnungen ein, bringen sich gegenseitig bei, Kühlschränke zu öffnen und in den Schubladen und Schränken nach Essbarem zu wühlen. Was für die einen die Rüpel und Rowdies Gibraltars, sind für Touristen wohl das Highlight des britischen Hoheitsgebiets (lose Zungen mögen behaupten, sie seien vielleicht auch der einzige Grund für einen Besuch.) Für uns gilt das in jedem Fall!

Vor wenigen Stunden erst hatten wir mit unserem Kapitän Hansjörg von Sailorama, mit dem wir in Kooperation mit Weltweitwandern von Spanien nach Marokko und wieder retour unterwegs waren, per Segelschiff die Küste Gibraltars erreicht, deren Anblick weder auf den ersten, noch den zweiten oder dritten Blick besonders verzückt. Sicher, da sind der berühmte Kalksteinfels von Gibraltar, der Upper Rock, der Leuchtturm an der Südspitze, dem Europa Point, sowie die Moschee – sonst aber hat die Halbinsel fürs Auge wenig zu bieten: Ein geschmackloser Betonbunker neben dem anderen, langweilig, eher Funktions- denn Design-orientierte Hochhäuser wohin der Blick reicht – nein, wirkliche Lust aufs Aussteigen kriegen wir hier nicht. Je näher wir kommen, umso stärker drängt sich die Frage auf: Warum nochmal übernachten wir in Gibraltar?

Eine Antwort darauf mag uns Hansjörg nicht liefern, also üben wir uns im Ausschlussverfahren: Mag es ein einzigartiges Erlebnis ist, im Hafen direkt – und ja, wirklich direkt – neben der Landebahn des Flughafens zu schlafen, der aus Platzgründen über die Winston Churchill Avenue führt und Gibraltar mit dem spanischen Festland verbindet, ist das genauso wenig Grund für unseren Besuch wie die Gelegenheit, mehrwertsteuerbefreit einzukaufen. So einladend scheinen die Souvenir- und Elektronik-Shops in der Main Street nicht zu sein. Es liegt auch nicht an der „guten Küche“ der Halbinsel. Die bezeichnet unser Skipper, der vor 15 Jahren hier zum ersten Mal an Land gegangen ist, als Beleidigung für die Geschmacksnerven und zaubert dementsprechend lieber etwas in seiner Schiffsküche als an Land den teuren Gibraltar-Pfund auszugeben.

Mh, typisch britisch? Die „Fish&Chips“-Buden an den Straßenecken sind jedenfalls nicht das einzige Klischee, das in der Kronkolonie Gibraltar bestens bedient wird: Rote Telefonzellen erinnern genauso an Großbritannien wie das schrille Pub im Hafenbereich, das zur Happy Hour aus allen Nähten platzt. Letzteres trifft auch auf die Frauen zu, die selbst bei herbstlich kühlen Temperaturen im Arsch knappen Mini-Rock auf verdächtig hohen Highheels durch die Straßen staksen. Nur wer jetzt an Linksverkehr denkt, der wird eines Besseren belehrt. Nein, ganz so britisch ist Gibraltar doch nicht! Das merkt man spätestens dann, wenn man sich – so wie wir - über die Stufen der Innenstadt auf den Weg ins Naturschutzgebiet auf den Upper Rock und somit zu den frei lebenden Berberaffen begibt.

„Es ist ein harmloser Spaziergang von 45 Minuten“, mit diesen Worten hat uns Hansjörg nach einem Tag auf hoher See nach oben gelockt. Davon ist beim steilen Stufen-Weg zwar nicht zu sprechen, doch der Anblick der Berberaffen bei der Seilbahnstation lässt die 30 Minuten bergauf in der Abendsonne schnell vergessen. (Ganz zu schweigen von den Klagen, dass man statt dem Fußweg auch ein Sammeltaxi oder die Seilbahn hätte nehmen können.) Wie in Trance beobachten wir die Affenfamilien, die sich hier oben mit ihren Alltagsaktivitäten - gegenseitigem Entlausen, Fangen-Spielen, Revierkämpfen – beschäftigen und auf die Dächer wie Kühlhauben der Sammeltaxis und Ausflugswagen springen, je nach Laune die Fensterdichtungsgummis anknabbern oder sich eben auf raschelnde Packungen wie die von Evas mitgebrachten Nüssen stürzen. Ja, die Hinweisschilder, die Touristen vom Füttern der Affen abhalten sollen, sind den Makaken selbst offenbar herzlich wurst. Genauso wie die besonders ambitionierten Besucher – wie wir –, die sich noch weitere ungezählte, schweißtreibende Stufen auf den Gipfel des Felsens quälen und dabei immer wieder über Affen steigen müssen, die sich in aller Seelenruhe auf den Stufen entlausen oder ihrem Abendschlaf frönen.

Oben angekommen stockt uns der Atem nicht nur wegen der Anstrengung: In der untergehenden Sonne ist die Aussicht über das Meer und den Hafen von Gibraltar noch eine Nuance atemberaubender. Die Berberaffen, die auf dem Gipfel bereits auf uns warten, lässt auch diese Schönheit unbeeindruckt. Sie thronen mit einer Selbstverständlichkeit über dem Kalksteinfelsen und scheinen mit ihrem Quiecken noch dem letzten Unwissenden oder Zweifler klar machen zu wollen: Die Briten und Spanier können soviel darum streiten, wie sie wollen - Gibraltar ist fest in unserer Hand!

Ein Schelm wer jetzt an die Legende denkt, nach der die Briten die Hoheit über die Halbinsel dann an Spanien zurück verlieren, wenn der letzte der dort lebenden Berberaffen verschwindet …

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