Seltsam kommt mir die Szene ja schon vor. Wohin ich auch blicke, grinst mir ein Beanzugter nach dem Anderen entgegen und rückt auf seinem Sitz etwas weiter Richtung Fenster. Nur lauter Beifall und Standing Ovations bleiben mir gerade noch erspart, als ich den Bus vom ugandischen Mbarara zurück in die Hauptstadt Kampala betrete. Beides hätte es mich wohl wegen der Heerschar an Anzugträgern und herausgeputzten Ugander gar nicht so sehr überrascht. “Come, come”, lädt mich auch schon ein besonders breit Grinsender ein und zieht mich an meinem Ärmel auf den Platz neben sich. Es soll der Beginn einer langen Busfahrt werden.
“Kennen Sie die Frohe Botschaft von Jesus Christus?”, lässt mich mein Sitznachbar kaum meinen Reiseproviant auspacken, bevor er die alles entscheidende Frage stellt und gleichzeitig des Rätsels Lösung über das elegante Auftreten der Passagiere verrät: Es handelt sich dabei um eine Gruppe von Priestern der “Sieben Tage Adventisten”, die gerade von einem Kongress zurück kommen.
“Mpf”, verschlucke ich mich beinah an meinem Keks. Normalerweise sind Religion und Glauben Themen, denen ich in Ostafrika, wo die Bibel zur Standardausstattung jedes Hotelzimmers gehört und Jesus Christus als Bildschirmschoner von unzähligen Handys entgegenstrahlt, tunlichst aus dem Weg gehe. Spätestens seitdem ich rund um die Weihnachtszeit das Weltbild meiner 16jährige Luganda-Lehrerin Nora im ugandischen Dorf Kasaala aus dem Konzept gebracht habe. Als sie von einem Bibelwochenende zurück kam und mich angstvoll fragte: “Glaubst du, dass Gott wirklich alles sieht und uns bestraft, wenn wir nicht in die Kirche gehen?”. “Ich glaube, Gott ist es wichtiger, dass wir versuchen gute Menschen zu sein”, lautete meine mehr oder weniger diplomatische Antwort, auf die ich nur verständnisloses, ja, beinahe bemitleidendes Stirnrunzeln erntete.
Eine ähnliche Reaktion erwartet mich auch heute von meinem Sitznachbar. Der hat – schneller als ich meinen Kindle herausholen kann - bereits seine Bibel gezückt und beginnt daraus vorzulesen. Ich sehe schon, meine bisherige Vermeidungstaktik hat hier wohl wenig Erfolg. Für die nächsten fünf Stunden der Busfahrt gibt es kein Entkommen.
Es sind fünf Stunden, in denen mein Sitznachbar immer und immer wieder dieselbe Stelle aus der Bibel vorliest und versucht, mich dadurch von seinem Glauben (der 7. Tag, der Samstag, ist laut Schrift der heilige Tag) zu überzeugen. Dass ich das nur mit einem gleichgültigen Achselzucken hinnehme, seine Religion weder anzweifle noch befürworte und meine Aufmerksamkeit nach dem dritten Mal Rezitieren schwindet, bekämpft er damit, dass er mir die zwei Bibelverse mittlerweile mehr entgegenschreit als vorliest. Immer und immer wieder. So nach dem Motto: Je lauter, je öfter, desto deutlicher, desto überzeugender, desto verständlicher – auch für Ungläubige wie mich.
Mit dieser Bekehrungstaktik ist er nicht der Einzige: Die rund 30 Anzugträger der Konferenz nehmen den Bus in Beschlag, sie singen, lesen aus der Bibel (eben diesen Vers) - mal in Luganda, mal auf Englisch - laden unermüdlich alle anderen Passagiere zu Diskussionen ein. Was in Österreich laute Empörungsrufe und Beschwerden bei der Busgesellschaft auslösen würde, wird hier in Uganda als normal und selbstverständlich hingenommen. Über Religion lässt sich eben streiten...
... meistens zumindest. Denn die Einstellung meiner Bekannten Paule, die ich in der ruandischen Hauptstadt Kigali treffe, teilen hier nur wenige. “Wir glauben doch alle an denselben Gott”, meint sie schlicht auf meine Verwunderung darüber, dass sie als Katholikin ihre Kinder Boris und Bryan schon mal in den protestantischen Gottesdienst gehen lässt, “da ist es doch egal, welcher Religion wir angehören.”
Beinah wäre mir auf diese Aussage hin ein “Amen” herausgerutscht.
(Foto: Steven Hille)