„Müsstest du dein Hab und Gut in einen Rucksack packen, wie schwer wäre dieser?“, so lautet die Standardfrage, die Ryan Bingham in Seminaren stellt. Mit MaxGaedtkeaus Freiburg hätte George Clooneys Charakter aus dem Film „Up in the Air“ wohl die reinste Freude: Er besitzt nur noch 118 Dinge. Die freie Autorin Regina Tödternennt 300 Teile ihr Eigen. Mit meiner Tante hingegen hätte der fiktionale Minimalist wohl so seine Schwierigkeiten gehabt. Sie hat schlichtweg alles gesammelt.Von Schallplatten bis zu Brockhaus-Lexika, von Nähgarnen und Wolle bis zu Strickmagazinen, von Lilienfeld-Porzellan bis zu Kleidung - und natürlich diverse Reise-Souvenirs. Von Letzteren gab es jede Menge, war sie doch mit ihren Fahrrädern in der ganzen Welt unterwegs. Das war in den 80er und frühen 90er Jahren.
Noch heute, über zwanzig Jahre später, stapeln sich die Zeugnisse ihrer Sammelleidenschaft in der Wohnung, die ich von ihr geerbt habe. Das liegt nicht etwa daran, dass ich – dass wir – nicht ausgemistet hätten. Im Gegenteil. Das Wegschmeißen, Weggeben, Umverteilen steht immer wieder an der Tagesordnung. „Ich habe heute noch Albträume von dem vielen Zeug“, hat mir meine Mutter erst unlängst gestanden. Mir geht es ähnlich. So als müssten wir ihrer Sammelei entgegenwirken, sind wir zu leidenschaftlichen Wegwerferinnen mutiert. Oder besser gesagt, zu Entsorgerinnen, denn bei uns landet kaum etwas auf dem Müll. Es bleibt aber auch nicht in unserem Besitz, sondern wird an Organisationen gespendet, auf Flohmärkten verkauft, an Freunde verschenkt – Hauptsache, es ist weg. Belastet uns nicht. (Ein Schuss, der zugegebenermaßen auch nach hinten losgehen kann. Dann, wenn man – wie ich gerade – wieder einmal zu Motto-Parties à la 0-80er Jahre eingeladen wird und nicht ein Stück aus der Vergangenheit im Kleiderkasten findet. Aber das ist eine andere Geschichte.)
„Der Trend zum Minimalismus stellt also gewissermaßen eine Gegenbewegung zum ständigen Überfluss und dem Materialismus der westlichen Gesellschaften dar“, schreibt die Plattform Utopia.de in einem Bericht, „gleichzeitig ist der bewusste Verzicht sicherlich auch eine Reaktion auf die mediale Berichterstattung (und Verfügbarkeit von Informationen) über Problematiken wie etwa Massentierhaltung, Ausbeutung von Textilarbeitern, Palmölproduktion und Plastikmüll.“ Eine klare Definition von „Minimalismus“ gibt es dabei nicht, so Utopia: Was für die Einen bedeutet, auf Auto, Fernseher, Kühlschrank oder Geld zu verzichten, keinen Müll zu produzieren, selbst Lebensmittel anzubauen oder Dinge zu reparieren, das ist für die Anderen belastende Gewohnheiten aufzugeben oder weniger zu arbeiten.
Eines ist all dem gemeinsam: Schlagworte wie „Minimalismus“, „einfaches Leben“, „simple life“ oder „Downshifting“ sind längst zu Versprechen auf ein glücklicheres, weil leichteres und somit freieres, unabhängigeres Leben geworden. Ratgeber, Bücher und unzählige Blogs sind Beweis dafür. Sie zeigen „Wege aus dem Hamsterrad“ oder zeichnen Bilder vom freien Leben als Digital Nomad, in dem man unabhängig und von überall in der Welt arbeiten kann. Sie erwecken den Traum von einem Dasein ohne Druck und Ballast zum Leben. So nach dem Motto: Besitzt du erst weniger, dann hast du weniger Sorgen.
„Weniger (Besitz) ist mehr“ ist tatsächlich für viele eine stimmige Maxime. Freiheit und Unabhängigkeit garantiert sie aber längst nicht. Das wahre Potenzial von Minimalismus hat nicht notwendigerweise mit Quantität von Eigentum zu tun, sondern liegt meiner Meinung nach woanders. „Man wird einfallsreich und kreativ“, schwärmt die Autorin Regina Tödter. Vor allem wird man aber sich seiner Selbst und seiner Werte bewusst, behaupte ich: Wer hinterfragt, was er für seine Vorstellung vom guten, leichten Leben braucht und was nicht, lernt Entscheidungen für sich zu treffen und Verantwortung dafür zu übernehmen. Für mich ist es ganz normal, meine Wohnung anderen zu übergeben und monatelang mit drei Hosen, sieben T-Shirts und zwei Kleider im Rucksack zu reisen - etwas, was mir meine sammelnde Tante übrigens vorgezeigt hat. Ich teile meinen Gebrauchtwagen genauso gern wie ich Bügeleisen oder Leiter via pumpipump-Stickers auf meinem Postkasten der Nachbarschaft anbiete. Und um nichts in der Welt würde ich meine unstete Selbstständigkeit, das Hoffen auf den nächsten Auftrag oder die – oft verzweifelte – Suche nach einer sicheren Wifi-Verbindung unterwegs dagegen eintauschen wollen, in einem Bürojob auf vier Wochen bezahlten Urlaub pro Jahr hinzuarbeiten. Dass mein Leben deshalb einfacher oder sorgenfreier abläuft, wage ich bezweifeln. Anders möchte ich es – dennoch – nicht haben!
Was für mich Freiheit und Unabhängigkeit ist, bedeutet für den anderen Verzicht - und umgekehrt. Das herauszufinden und zu wählen, wie wir unser Leben einfacher gestalten können, das ist der wahre Luxus. Einer, der unbezahlbar ist.