Es erinnert mich ein bisschen an den „Vogerltanz“, der uns als Kinder bei Hochzeiten stundenlang auf Trab gehalten hat: Auf und ab, auf und ab – wie Flügel bewegen die Tänzer ihre abgewinkelten Arme auf Schulterhöhe elegant auf und ab und folgen dabei dem durchdringenden Rhythmus der Gong-Schläge, mit denen die Musiker den Takt vorgeben. Halbnakt, nur mit einem rot-gemusterten Lendenschutz bekleidet, zeigen uns die Männer ein Stück ihrer Kultur: Seit Jahrhunderten ist dieser tradionelle Tanz ein Fixpunkt aller Festivitäten der indigenen Stämme der Bontocs, Ifugaos, Benguas, Apayos und Kalingas hier in den Bergregionen Nord Luzons auf den Philippinen.

Doris Neubauer

Gefeiert wird auch heute: Wochenlang, noch vor meiner Reise auf die Philippinen, hatte ich mich schon auf das Sagada Bonfire Festival gefreut. Zufällig hatte ich über Couchsurfing davon erfahren und war mir nach Google- und Youtube-Suchen sicher: Zwei Tage Lagerfeuer, ein zusammengewürfelter Haufen feierwütiger, entspannter Menschen, Live-Musik, Jonglier-Shows und Spontanacts – da muss ich hin. Allen Widrigkeiten zum Trotz! Und Letztere gab es durchaus, ist doch Sagada, das vom Lonely Planet bereits vor Jahren den zweifelhaften Titel als „einziges Backpacker-Village der Philippinen“ erhalten hat, gerade zur Nach-Weihnachtszeit überrannt. Horden von Philippinos und ein paar Ausländer zieht es weg von den Hitzen der Großstadt Manila in die kühleren Berge, die bekannten (und ebenso überlaufenen) Höhlen, die Wanderwege über Reisfelder zu eiskalten Wasserfällen Nord Luzons. „Wir sind leider ausgebucht!“, so lautete vor einigen Wochen bereits die Standard-Aussage aller im Internet auffindbaren Hostels, Hotels und Homestays – sofern ich sie überhaupt telefonisch erreicht habe. Als ich dann schließlich doch über Empfehlung vom „Sagada Homestay“ die Telefonnummer von Henry und Helen Galgala erhalten und dort tatsächlich ein Zimmer ergattert habe, musste ich das vom Fleck weg reservieren – ohne zu wissen, ob es überhaupt existiert, es sich dabei um eine billig-dreckige Absteige handelt oder das Haus fernab vom Schuss liegt. Ich hatte zugegebenermaßen Bauchweh.

Doris Neubauer

Völlig umsonst, ich hatte Glück. Unfassbares sogar.

„I thumbed my way from L.A. back to Knoxville“, höre ich Henrys Stimme begleitet von sanften Gitarrenklängen unter meinem Zimmerfenster und stelle mit Erstaunen fest, wie großartig der Reisbauer singen kann. Das wissen auch die umliegenden Pubs, die ihn gern für Auftritte engagieren. Und kommt eine Band nach Sagada, dann ist es Henry, der als Vorband die Stimmung aufheizt. Zumindest war das bisher so. Vor kurzem sind dem Mittsechziger die Zähne ausgefallen: „Jetzt hapert es manchmal an seiner englischen Aussprache“, erzählt mir seine Frau Helen, die mich mit der Warmherzigkeit längst umgeworfen hat, später beim mitternächtlichem Kaffeetrinken mit anderen Gästen, „deshalb geniert er sich und tritt nicht mehr so oft auf.“ Umso froher war sie darüber, dass ich dem unerwartetem Ständchen spontan kräftigen Applaus gespendet hatte. Von Herzen.

Doris Neubauer

Auch zu Silvester wird Henry wieder in die Gitarrensaiten greifen, dann nämlich wenn die Galgalas wie die meisten Bewohner Sagadas vor dem Haus ein Lagerfeuer machen. „Bonfire Festival?! Daran bin ich gar nicht interessiert“, mit diesen Worten hat mich die Ziehtochter der Familie, Dublin vor ein paar Tagen begrüßt und erklärend hinzugefügt, „wir haben ja fast täglich ein Bonfire mit Live-Musik. Entweder vorm Haus oder im Sagada Cellar Door auf dem Weg nach Besao.“ An ihre ernüchternden Worte muss ich denken, als wir beim Bonfire Festival ankommen: Auf dem gerade einmal Fußballplatz großen Feld, umrahmt von bewaldeten Hängen, haben sich um sieben Uhr vielleicht fünfzig bis siebzig Personen versammelt - vor allem Philippinos, die sich wie üblich mit dem Schießen von Selfies und Gruppenfotos selbst beschäftigen. In ihrer Mitte brennt auf einem rund einem Meter hohen Holzstapel ein Lagerfeuer, das in seiner Größe von jedem dörflichen Sonnwendfeuer in Österreich übertrumpft wird.

Richtig Stimmung kommt erst auf, als die traditionellen Tänzer die „Bühne“ rund um das Feuer räumen und fünf Jungs zu trommeln beginnen. Sie hätten genauso gut auf dem Strand im ecuadorianischen Montanita oder auf einem der Hippie bevölkerten black Lava Beaches auf Hawaii auftreten können. Automatisch beginnen meine Beine zu zucken, und als eine Philippina neben mir zu klatschen beginnt, kann ich mich auch nicht mehr halten. Wir sind damit aber fast allein. „Ich glaube, alle anderen sind hungrig“, stellt auch meine Partnerin in Crime überrascht fest und wirft dabei einen Blick auf die Menschenschlange, die sich gerade für die Essensausgabe – eine Riesenportion Reis, Hühnchen und ein bisschen Salat, verpackt in jede Menge Plastik – anstellt und sich davon auch nicht abhalten lässt, als es zum ersten, aber nicht letzten Mal an diesem Abend zu nieseln beginnt. Mh, das hatte ich mir dann doch anders erwartet.

Ich sollte damit aufhören.

Bisher waren es nämlich immer ausgerechnet die Ereignisse auf der Reise, auf die ich mich am meisten gefreut, die ich als „Muss“ betrachtet, wegen derer ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und mir sowie Menschen in meiner Umgebung Stress bereitet hatte, die mich am meisten enttäuscht hatten. Ob das Bonfire Festival in Sagada oder die Island-Hopping-Tour zwischen El Nido und Coron, die der Taifun buchstäblich ins Wasser fallen ließ, ob die zweisame Reise auf Palawan – nichts davon war durch und durch schlecht. Aber gehalten, was sie anfänglich versprochen hatten, haben sie keinesfalls.

Mein Herz erfüllt hat Anderes auf dieser Reise. Das Unerwartete, Unversprochene nämlich. Ein unglaublich entspanntes, wunder-volles Weihnachtsfest samit mitternächtlichen Schwimmeinsätzen irgendwo in der Provinz Pangasinan, zu dem ich am Vorabend von jetzt auf gleich mitgenommen wurde zum Beispiel. Ein Weihnachtsfest von Couchsurfing-Freunden, das zu Mitternacht für mich mal einfach so zu einer Geburtstagsfeier samt Torte und Kerzen-Ausblas-Aktion umfunktioniert wurde. Oder die Einladung eines völlig Fremden, kostenlos im Künstlerdorf Tam-awan Village bei Baguio in einem umgestalteten Reistrockner zu übernachten. Es sind die Geschichten, die ich vermutlich noch lange und immer wieder gern erzählen werde – vielleicht auch bei Lagerfeuern auf den Philippinen …

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 30.12.2015 11:57:25

Noch keine Kommentare

Mehr von Doris Neubauer