Refugees welcome: Wer innovationsstark sein möchte, braucht Diversität!

Im Alter von zwei Jahren kam Ali Mahlodji mit seinen Eltern als Flüchtling aus dem Iran nach Österreich, weil der Familie nach einer Teilnahme an einer Demonstration gegen das Regime die Todesstrafe drohte. Mit 30 gründete er gemeinsam mit drei Partnern das erfolgreichste Start-Ups des Landes: Die Job-Matching-Plattform whatchado. Auf fischundfleisch.at spricht der vielfach ausgezeichnete Unternehmer über seine eigene Geschichte, die aktuelle Flüchtlingsthematik, das whatchado-Projekt „Refugees welcome“ und darüber, wie Flüchtlinge die österreichischen Wirtschaft bereichern können.

Ali, du gehst mit deiner Flüchtlingsgeschichte sehr offen um, war das immer so?

Nein, anfangs habe ich meine Geschichte immer versteckt. Auf dem Jobmarkt kannst du als Schulabbrecher, der ich einmal war, mit dem Nachnamen und dann auch noch einem Flüchtlingshintergrund einpacken. Dann war ich einmal bei einem Vortrag an einer Schule und habe so nebenbei erzählt, dass wir aus dem Iran geflohen sind. Das wurde zum wichtigsten Thema der Klasse. Nach der Stunde kamen zwei Schüler zu mir und meinten, dass ihre Eltern auch geflohen wären. Endlich hätte die Schule jemanden eingeladen, der sie als Flüchtling verstünde! Damals habe ich beschlossen: Wenn ich mit meiner Geschichte nur einer Person bei der Aufklärung helfen kann, dann ist das gut so!

Es gibt ja so viele Fabelgeschichten über Flüchtlinge. Unlängst war ich wieder bei einer Parteikundgebung: Da wurde gemeint, die Flüchtlinge würden zu uns nach Österreich kommen wegen unseres guten Gesundheitssystems, und es seien ja sowieso alles Wirtschaftsflüchtlinge. Wenn ich so etwas höre, dann MUSS ich einfach rausgehen und klarstellen: Flucht ist für die Menschen keine nette Option, sondern die einzige Möglichkeit um zu überleben!

Mitte August hast du mit einem offenen Brief für Aufsehen gesorgt, in dem du deine Enttäuschung über Österreichs Reaktion auf dieFlüchtlinge zum Ausdruck gebracht hast. Ein Brief, der von der Wiener Zeitung, OE24.at und vielen anderen ebenfalls zitiert bzw. publiziert wurde. Wie kam es dazu?

Als die ersten Flüchtlinge gekommen sind und mit „Flüchtlingen-raus“-Schildern begrüßt worden sind, habe ich mich schon gefragt, was passiert wäre, wenn meine Eltern und ich so empfangen worden wären. Traiskirchen war damals schon schlimm. Und ich bin nicht nur einmal verprügelt worden, weil ich ein „Tschusch“ bin, aber eine solche Hass-Begrüßung haben wir nicht erlebt. Darüber bin ich froh. Du willst als Flüchtling nur Schutz – und dann sagt jemand: „Raus mit dir“ und hält dir das Schild ins Gesicht, das ist schon extrem hart!

Ich war zu der Zeit für ein paar Tage in Berlin und einfach extrem enttäuscht, was mit Österreich passiert und warum die Menschen nichts tun. Als ich in der Nacht nicht schlafen konnte, habe ich diesen Brief getippt und ihn am nächsten Tag online gestellt. Ich habe schon gehofft, dass er die Leute wachrüttelt, aber dass er so einschlägt, damit hätte ich nicht gerechnet.

Seither hat sich einiges bewegt...

Mir war schon von Anfang an klar, dass viele helfen werden, wenn sie die Chance dazu haben. In etwa zu dieser Zeit ist die Stimmung ja auch gekippt: Die ÖBB hat Menschen transportiert, Hilfsorganisationen und unzählige Freiwillige sind zu den Bahnhöfen und haben geholfen. Die österreichische Seele ist ausgebrochen und hat gezeigt, was in ihr steckt. Darum ging es ja auch im Brief: Dass ich Österreich anders kannte und mich gewundert hatte, warum die Hilfsbereitschaft so lange weggeblieben ist. Im Nachhinein betrachtet verstehe ich das vollkommen. Wir waren in einer Schockstarre. Bürger eines so sicheren Landes mit guter sozialer Grundlage sind es nicht gewohnt, dass 10.000 Menschen mit gerade einmal 20 Euro in der Hand am Bahnhof stehen und sagen: „Wir müssen weg!“ Da ist die erste menschliche Reaktion, Angst zu haben und in Schockstarre zu verfallen – das ist komplett nachvollziehbar und verständlich.

Die Schockstarre ist merkbar vorüber. Viel wird getan – und auch Ihr von whatchado habt ein Projekt initiiert, mit dem Ihr Flüchtlingen helfen möchtet. Was ist die Idee von „Refugees welcome“?

Wir wollten als Company nicht nur Geld spenden, sondern etwas mit nachhaltigem Impact zur Flüchtlingsthematik beitragen. Als whatchado erzählen wir Lebensgeschichten. Deshalb war die Idee, wir gehen zum Westbahnhof und laden Flüchtlinge ein, uns von ihrem Leben zu berichten. Das machen aber nicht wir, sondern wir stellen dafür anerkannte Flüchtlinge ein. Gerade suchen wir Mitarbeiter, die Arabisch, Farsi und Englisch beherrschen und bereits aus der Videoproduktion kommen. Dafür investieren wir Geld und Zeit und nutzen vor allem unsere Plattform, um die Menschen aufzuklären.

Die Videos, die dabei entstehen, sollen also auf mehreren Ebenen wirken?

Ja, einerseits wollen wir das Bild von fremden Menschen – nicht nur von Flüchtlingen – klarstellen. Wir haben ein falschen Bild vom Fremden, von einem, der etwas dunkler ist, der einen Namen wie Ali hat. Der kommt nicht wegen der schönen Berge nach Österreich, sondern weil er oft nicht anders kann. Da brauchen wir verstärkt Aufklärung. Außerdem sehen wir oft, dass Menschen sehr stolz sind, ihre Geschichte zu erzählen, wenn sie damit anderen helfen und inspirieren können. Andererseits zeigen wir mit dem Projekt anerkannten Flüchtlingen: Wir brauchen dich und deine Fähigkeiten!

Wie sieht generell das Potenzial für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt aus?

Wir haben in Österreich seit jeher das Problem, dass gute Köpfe abwandern. Viele sagen, wir können international so nicht mehr mithalten. Auf der einen Seite haben wir 400.000 Arbeitslose, andererseits leiden Unternehmen unter einem Fachkräftemangel, der mit den österreichischen Kräften nicht abgedeckt werden kann. Auch auf dem Lehrlingsmarkt fehlen geeignete Personen. Jetzt wissen wir, dass gerade Syrer sehr gut ausgebildet sind, auch im technischen Bereich. Wenn man da eine schnelle Integration ermöglicht und rasch ihre Qualifikationen überprüft, dann könnten wir so diese Gaps füllen. Dann könnte man Positionen in der Wirtschaft besetzen, die benötigt werden und dadurch längerfristig weitere Arbeitsplätze schaffen.

Flüchtlinge als Chance für die österreichische Wirtschaft?

Wenn wir die klügsten Köpfe reinlassen, Positionen auffüllen und voneinander lernen, ja. Vor ein paar Monaten hat Tim Cook, der Chef des wertvollsten Unternehmen der Welt, Apple, gemeint: Wer innovationsstark sein möchte, braucht Diversität! Das ist kein sozialromantisches „Wir haben alle lieb, wir lassen alle rein, die dunkler sind und Ali heißen“. Es geht um knallharte Fakten: Wer innovativ bleiben will, braucht die besten Ideen. Und die besten Ideen muss nicht jemand haben, der männlich, weiß, gebildet, 35jährig ist. Die besten Ideen können vielleicht von einem Syrer, einem Deutschen, einem Österreicher, einem Mann oder einer Frau – kurz, von jedem – kommen. Ich muss also jedem, der möchte, die Möglichkeit schaffen, einen Beitrag zu leisen. Wenn nicht, verschließe ich mich vielleicht vor den klügsten Köpfen. Schließlich hat sich kein Mensch ausgesucht, wo er geboren wird, ob er Mann oder Frau ist, jung oder alt. Wir bei whatchado leben diese Diversity seit Beginn. Nicht, weil es die CSR oder irgendeine Quote so möchte, sondern weil es egal ist, was die Person ist, sofern sie die Skills und den Willen hat, sich einzubringen. Erst bei unserem jährlichen Betriebsurlaub letztes Wochenende haben wir bei der Zimmerbelegung gemerkt, dass wir 65% Frauenanteil haben. Das ist einfach passiert.

Danke für das Gespräch, Ali!

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:14

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