Erst neulich ist es wieder passiert. Bei Saft und Sandwich saß ich mit einer Freundin im Café. Da begann sie zu erzählen. Von ihrem Unternehmen, in dem sie seit eineinhalb Jahren arbeitet – gern, wohlgemerkt. In wenigen Monaten endet ihr Vertrag als Karenzvertretung. Doch schon vor einem halben Jahr hatte man ihr versichert, dass der Vertrag verlängert würde: Man wäre so zufrieden mit ihrer Arbeit, unersetzbar wäre sie, und die Kollegin käme ohnehin nur halbtags aus ihrer Karenz zurück. Schön und gut. Doch dann beging meine Freundin einen schweren Fehler: Sie war ehrlich und erzählte ihrem Chef, dass sie schwanger ist. Mehr brauchte es nicht. Von einem Vertrag ist seither keine Rede mehr. Stattdessen wurde ihr angeboten, auf Honorarbasis - als Freie - den gleichen Job weiter zu machen. So könne sie immerhin auch aus dem Krankenhaus arbeiten, brauche keine Pause einlegen und könne direkt nach der Geburt wieder arbeiten. Klingt doch nach unwiderstehlichem Angebot. Nicht!

Dass es sich bei dem Unternehmen um eines handelt, das sich soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen heftet und öffentlich für die Rechte der Frauen eintritt, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.

Die Geschichte sowie die darin handelnden Personen sind frei erfunden und jegliche Ähnlichkeiten mit der Realität sind zufällig. Wie sehr wünschte ich mir jetzt, das schreiben zu können. Kann ich aber nicht. Die Geschichte ist leider nur all zu real.* Und kein Einzelfall!

In letzter Zeit gibt es kaum ein Treffen mit Bekannten und Freunden, in dem mir nicht das Grausen aufsteigt. In dem ich nicht höre, dass ganze Teams von heute auf morgen entlassen werden, die keine sechs Monate zuvor samt einer Extra-Spritze Motivation ins Unternehmen geholt worden sind. In dem ich nicht von Situationen erfahre, bei denen die Betroffenen am Morgen einfach zu einem neuen Standort geschickt werden und so über ihre Versetzung informiert werden. Dass Mitarbeiter ihr größtes Kapital sein sollen, das scheint für viele Unternehmen zur hohlen Floskel verkommen zu sein. Merkbar ist das schon im Bewerbungsprozess - und da brauche ich nicht einmal auf Geschichten von Bekannten zurückgreifen, die habe ich ebenfalls erlebt: Wenn man zu einem Gespräch geladen wird und danach nicht mal eine Absage bekommt, kann man sich wohl nur glücklich schätzen, nicht mehr mit dem Unternehmen zu tun zu haben. Mir vergeht jedenfalls bei so einem duckmäuserischen, respektlosen Verhalten die Lust drauf, dort zu arbeiten.

Und doch ist all das offenbar der ganz normale Wahnsinn im Arbeitsalltag!

Schlimmer geht’s nämlich immer. Das zeigen die Kandidaten für die Auszeichnung „Schandfleck des Jahres“. Zum dritten Mal verleiht das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) dieses Jahr den Schmähpreis und zeichnet so Unternehmen, Organisation, Institutionen und Einzelpersonen aus, die mit besonders gesellschaftlich unterverantwortlichen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht haben. Sechs Fälle sind heuer nominiert (abzustimmen noch bis 18. Februar unter http://www.schandfleck.or.at/): Darunter auch die Plachutta-Gruppe. An die fristlose Kündigung des Kellners, der seine mitgebrachten Erdbeeren mit 50 Gramm Betriebszucker versüßen wollte, kann sich wohl noch jeder erinnern. Der Fall ging durch die Medien. Endlich! Denn dass Plachutta schon vorher nicht gerade durch Fairness gegenüber Mitarbeiter_innen aufgefallen ist, ist nichts Neues. Vor Jahren passte eine meiner Freundinnen wegen ihrer roten Haare (!) nicht ins Team, eine andere wurde mit 28 Jahren als zu alt empfunden. Ich verstehe.

Wirklich geschadet wird die mediale Empörung dem selbsternannten Tafelspitz-König wohl genauso wenig haben wie dem Café Prückl die Proteste wegen der „Knutsch-Affäre“. Neugierig wie ich bin war ich vor kurzem dort: Das Lokal war voll wie eh und je. Auch Ikea wird die Nominierung als Schandfleck des Jahres herzlich egal sein. Es wird vermutlich weiterhin nach außen als nachhaltiges Unternehmen posen und sich mit grünen Siegeln rein waschen, während es bei seinen Zulieferbetrieben auf die Rechte der Arbeiternehmer_innen pfeift. So lautet jedenfalls die Kritik, die den schwedischen Konzern auf die Schmäh-Liste gebracht hat.

Die bösen Unternehmen? Damit machen wir uns die Sache zu einfach! Wir müssen uns selbst an der Nase nehmen: Wenn wir weiterhin mehr auf unsere Börse als auf das gute Gewissen schauen und dort einkaufen, wo es so billig ist, dass es kaum mit rechten Dingen zu gehen kann. Wenn wir der Bequemlichkeit halber auf unsere Mündigkeit als Konsument verzichten und uns für dumm verkaufen lassen (oder blindes, taubes, stummes Äffchen spielen). Wenn wir unserem Arbeitgeber alles durchgehen lassen und uns nicht gegen unbezahlte Überstunden, Betriebsmobbing oder andere Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen. Wenn wir nicht einmal selbst unsere eigenen Werte respektieren.Dann tragen wir zumindest eine Teilschuld daran, dass Unternehmen - weiterhin - ein Benehmen an den Tag legen, für das sich jeder Mensch mit Anstand einfach nur schämen muss!

Das Ende der Geschichte? Nicht ganz. Jetzt bin ich nämlich eine, die gern das Positive sieht. Die sich zur Aufgabe gemacht hat, mutmachende und inspirierende Beispiele zu liefern. Und die gibt es auch beim Umgang von Unternehmen mit ihren Mitarbeiter_innen! Damit meine ich nicht unbedingt und ausschließlich Unternehmen wie Google oder Airbnb, bei denen sich sogenannte Feel-Good-Manager_innen hochoffiziell um das Wohlbefinden ihrer Angestellten kümmern. Eine Position, für die man sich übrigens mittlerweile auch beim BFI im Rahmen eines Diplomlehrgang ausbilden lassen kann. Mitarbeiter-Wertschätzung funktioniert nicht nur institutionalisiert bei den Großen, sie klappt auch ohne offizielle Bezeichnung auf der Visitenkarte. Einen besonders beeindruckenden Ansatz hat dazu das österreichisch-deutsche Start-Up Soul Bottles: Dort treffen sich alle Mitarbeiter_innen alle zwei Wochen außerhalb des Büros, um für zwei Stunden etwaige Konflikte im Team zu besprechen oder mögliche Unstimmigkeiten abzufedern, bevor sie eskalieren. Moderiert nach den Methoden der Gewaltfreien Kommunikation. Dieses „Personal Relations Meeting“ ist nur ein Beispiel von vielen. Wer sich für mehr interessiert, dem lege ich diesen Blogpost ans Herz: https://www.soulbottles.com/wie-wir-eine-organisation-aufbauen-die-wirklich-die-welt-verbessert-ohne-auszubrennen/

Bewirbt man sich übrigens bei einem Job bei Soul Bottles, erhält man keine Absage-Emails. Stattdessen nimmt sich einer der Geschäftsführer Zeit, den Kandidaten oder die Kandidatin anzurufen und auch ein Nein persönlich zu überbringen. Darüber hinaus bekommt man - ungefragt - eine Begründung, warum sich das Unternehmen für eine andere Person entschieden hat.

Auch das ist eine wahre Geschichte. Eine, die ich immer wieder gern erzähle!

* Nachdem meine Freundin weiterhin im Unternehmen arbeitet und sie die Gewerkschaft eingeschalten hat, möchte sie derzeit noch anonym bleiben.

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