„Du musst mir dann erzählen, wie man erfolgreich scheitert“ - eines gleich vorweg, diesen Auftrag meiner Freundin habe ich nicht erfüllt. Sie hat ihn mir auf dem Weg zum „Fear & Failure Meetup“mitgegeben, das dieser Tage im Wiener Impact Hub stattgefunden hat.
In diesem Ballungsraum der Ambitionen, wo Menschen normalerweise ermutigt werden, ihre Träume zu verwirklichen, über die berühmten Grenzen der Komfortzone hinauszugehen; wo Start-Ups gegründet und Kooperationen ihren Anfang haben – genau hier ging es einen Abend lang um die Angst vor dem Misserfolg und ums Scheitern. Ein Widerspruch? Im Gegenteil!
"Wir sind auf den Hype-Zug der TED-Talker und Super-Start-Ups aufgesprungen und dachten, es geht so einfach wie im Film. Der eigene Zug wird immer schneller, und das Spielzeuglenkrad in der Hand vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle", erzählt Olivio Sarikas, der erste von vier „fearless speakern“ des Abends, „das war natürlich ein Irrtum. Alle haben es gewusst und zugeschaut, als wir in den Abgrund gerollt sind. Nur uns hat das Scheitern überrascht. So wie eine Fliege, die gegen die Windschutzscheibe knallt.“ Die Geschichte des Unternehmers kommt wohl vielen bekannt vor.
28.490 Menschen wagten 2014 den Schritt in die Selbständigkeit, so die aktuelle Gründerstatistik der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Das sind 277 mehr als im Vergleich zum Jahr 2013. Insgesamt wurden 2014 mit 110 Neugründungen pro Tag täglich um ein Unternehmen mehr gegründet als noch im Jahr zuvor – und das, obwohl es die österreichische Bürokratie den Neugründern sicher nicht leicht macht. Als Erfolg verkauft die heimische Wirtschaft die Zahlen lautstark. Doch dann herrscht Schweigen. Darüber zum Beispiel, dass von zehn im Jahr 2004 gegründeten Unternehmen bereits ein Jahr später eines nicht mehr am Markt tätig war. Die 2-jährige Überlebensrate laut Statistik Austria betrug 81,4%, nach drei Jahren waren noch 74,8% und nach vier Jahren rund zwei Drittel (69,4%) dieser Unternehmenskohorte aktiv, und nach acht Jahren waren noch 51,8% der 2004 neugegründeten Unternehmen aktiv. Was passierte aus den anderen 48,2 %?
„Es gibt unzählige Brands, die bei Seminaren und in Workshops ihre originellen Produkte herzeigen und ihre Erfolgsgeschichte präsentieren“, berichtet Sarikas, der selbst als Designer, Marketer und Consulter mit vielen Start-Ups zu tun hat, „dass einige dieser Brands aber noch nie einen Kunden hatten, und manche nicht mal einen funktionierenden Prototypen, verrät dir allerdings niemand.“ Anders er und die drei anderen „fearless speaker“, die an diesem Abend darüber sprechen, worüber sonst – beschämt, peinlich berührt – geschwiegen wird. Sie berichten über ihre Angst vor dem Versagen, ihre Schickssalsschläge und ihr Scheitern. Sie erzählen über jahrelange Arbeitslosigkeit, die am Selbstwert kratzt wie kaum etwas. Über ungeplante Kinder just dann, wenn die Karriere vollen Einsatz fordert. Über Krankheiten, die alles zum Stillstand bringen.
Allen voran der „Fear & Failure“-Initiator Jose Antonio Morales, in Slowenien lebender Peruaner und ehemaliger Partner Area Lead von Microsoft im CEE Raum. Der IT-Experte kennt das Gefühl, mit einem Unternehmen zu scheitern aus eigener Erfahrung nur zu gut. Und irgendwie wird man dein Eindruck nicht los, dass er stolz darauf ist. „Durch Erfolg kann man nicht lernen“, ist er überzeugt. Weiterentwicklung findet erst durch Herausforderungen statt.
„Verlass dich nicht auf Erfolgsrezepte von anderen. Höre auf deine Kunden und ihre Wünsche“, ist Olivio Sarikas durch sein erstes berufliches Scheitern klar geworden. Mittlerweile setzt er statt auf Hauruck-Aktionen auf organisches Wachsen. Gelernt hat auch Ermutigungscoach Julia Fabich. „Ich musste auf mich selbst schauen“, weiß die Gründerin von „Mut tut gut“, „bevor ich anderen helfen konnte.“ Eine Lektion, die sie ausgerechnet in dem Moment erhielt, als sie ihrer Intuition folgte und das eigene Unternehmen gründete. Die Gesundheit spielte ihr einen Streich und zwang sie zur Pause. „Als ich aus dem Arztzimmer kam, wollte ich am liebsten in Tränen ausbrechen“, erzählt sie offen, „stattdessen habe ich mich entschieden, aus vollem Herzen zu lachen. Ich wusste, daraus wird eine gute Geschichte. Irgendwann einmal, nur nicht jetzt.“ Wie sich beim „Fear & Failure Meetup“ herausstellte hatte sie recht.
„Wenn sich jemand öffnet und über Angst sowie Scheitern erzählt, dann schafft das eine starke Verbindung mit dem Publikum“, weiß Jose von seinen bisherigen Konferenzen, „die Teilnehmer werden zu Freunden und es fühlt sich so an, als ob wir einander schon seit langem kennen würden.“ Ein Phänomen, das auch im Impact Hub nicht aus bleibt. Genauso wenig wie die Überraschung darüber, wie sehr sich die Auf und Abs des Lebens doch ähneln. Es hätte wohl jeder von uns Zuhörern genauso auf dem Podium stehen können. Denn auch wenn es oft in unserer aufgeplusterten Welt der Selbstdarstellung und inszenierten Erfolge für Facebook und Co. nicht so aussieht: Das Gefühl der Angst und des Scheiterns macht vor keinem Halt. Noch nicht einmal vor demjenigen mit der perfektesten Fassade.
Warum ich den Auftrag meiner Freundin, ein Rezept fürs erfolgreiche Scheitern zu liefern, nicht erledigen konnte? Wenn die „Fear & Failure Meetups“ eine einzige Botschaft haben, dann klar zu machen, dass es so etwas wie erfolgreiches Scheitern nicht gibt. Es gibt ja noch nicht einmal das Scheitern selbst. Denn wie beim Erfolg liegt die Definition auch hier immer im Auge des Betrachters, oder vielmehr des Erlebenden. Oft entstehen genau aus diesen Momenten, die wir im Jetzt als Misserfolg empfinden, im Nachhinein die besten Geschichten – und was macht uns Menschen mehr aus als unsere Geschichten? Vorausgesetzt wir haben keine Angst davor, sie zu teilen.
Deshalb: „Be ready to fail a lot!“