Meine verschwundenen Wirtshäuser

Meine verschwunden Wirtshäuser

Unlängst bin ich wieder einmal über die Landstraße, also die Hauptstraße vom Wiener 3. Bezirk gefahren. Das mache ich regelmäßig immer wieder, immerhin habe ich dort 30 Jahre gewohnt. Mein Gott, wie hat sich die Gegend verändert. Der alte Kasten der früheren Rennwegkaserne und auch unser Wohnhaus sind schon vor Jahren durch eine neue Anlage ersetzt worden, die nicht viel schöner, sondern halt nur neuer aussieht. Unser Haus war ein alter dreistöckiger Kasten mit dicken Mauern und einem riesigen und finsteren, weil tiefen Kellerbereich mit einem unebenen Lehmboden, der ideal für die Lagerung von Weinen geeignet gewesen wäre, die wir damals aber noch nicht hatten.

In den Sommern, wenn meine Eltern auf Urlaub waren und meine Brüder und ich in Wien als Werkstudenten gejobbt haben, da waren wir auf uns gestellt und haben uns auch in den naheliegenden Wirtshäusern versorgt und um die geht es hier. In Italien, sagt man, sollte man nur in die Restaurants gehen, die einfache lokale Küche anbieten und daher vorrangig von Einheimischen frequentiert werden. In Wien, zumindest in der damaligen Zeit, sollte man nur in Wirtshäuser oder Beisel gehen, die von Leuten aus der Nachbarschaft und dabei vorrangig von Leuten in ihrer Arbeitskleidung, also z.B. Handwerkern mit ausgeprägtem Kalorienbedarf frequentiert wurden. Eine meiner damaligen und auch heutigen Lieblingsspeisen war und ist ein ofenfrischer Schweinsbraten mit den traditionellen Beilagen, vorrangig natürlich ein Schopfbraten, den die Deutschen , wie so oft verzerrend und Appetit mindernd, Nackenbraten nennen.

Ich habe damals, immer im Sommer, in einem Reisebüro für Stadtrundfahrten im 1.Bezirk gearbeitet und bin, wenn die von mir überredeten glücklichen Wienbesucher auf ihren Rundfahrten unterwegs waren, mittags wieder auf die Landstraße geeilt um dort nach einem akribisch ausgekundschafteten Versorgungsplan eines der Wirtshäuser mit einem, natürlich ofenfrischen, Schweinsbraten auf dem Tagesmenü aufzusuchen. Die Freitage wurden dabei von mir ausgelassen, denn dann gab es immer nur den traditionellen panierten Seefisch, den ich damals als freitäglichen Fleischersatz eher abgelehnt habe.

Meine Wirthäuser waren urig, noch mit der üblichen klassischen Schank ausgestattet und von anregendem Küchengeruch durchzogen, der eine Speisekarte gar nicht erforderlich machte. Man konnte ja riechen, was es alles gab. Die Auswahl der Speisen war ohnehin beschränkt und auch die Getränkeauswahl, die beide auf einer Tafel angeschrieben waren. Die Wirtsleute waren überall gestandene Leute, sie prächtig und rund in der Küche, er kompakt und fest an der Schank. In den Lokalen waren oft auch Sinnsprüche angebracht, die man während der kurzen Wartezeiten lesen konnte. Einer lautete z.B.: „Üb immer Treu und Redlichkeit, bis in dein stilles Grab, sag ehrlich deine Zeche an und streit dem Wirt nichts ab“. Da tat natürlich ohnehin niemand, man hatte ja, angesichts der durchaus offensichtlichen Körperkraft der Wirtsleute, kein ausgeprägtes Interesse an einem frühzeitigen stillen Grab und man wollte ja immer wieder kommen.

Lieber Gott war man da glücklich, wenn man unter den freundlichen, weil zufriedenen Essern noch einen Platz fand und das Menü bestellte. Und dann wenn er kam, der göttliche Schweinsbraten in den damals noch üblichen geteilten Tellern, wo sich der Schweinsbraten und der herrlich braune Bratensaft nicht mit den Beilagen vermischen konnte, da ist in mir schon allein durch den Anblick bereits eine Symphonie von Geschmackserwartungen erklungen, die sich dann mit dem ersten Bissen  in ein Crescendo steigern durfte. Ich kann, werde und möchte das niemals vergessen. Jetzt sind sie großteils verschwunden, diese wienerischen Stätten der Genüsse, ersetzt durch fleißige Chinesen oder Japaner, die ebenfalls Chinesen sind und italienische Pizzerien, die von Türken und Indern geführt werden. Multikulti hat durchaus auch seinen Reiz, aber wo ist der ofenfrische Schweinsbraten geblieben, der natürlich ein keineswegs magerer Schopfbraten sein durfte? Dem geht es leider so wie den Riesen im Riesenspielzeug, man findet ihn nicht mehr.

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Herbert Erregger

Herbert Erregger bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:05

Silvia Jelincic

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Christoph Cecerle

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Bernhard Juranek

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fischundfleisch

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