Aufstand der Unzufriedenen und die ungerechte Gesellschaft (ZDF-Talk Precht/Bude)

Immer mehr Bürgerinnen und Bürger haben den Eindruck, dass die Macht, das Geld oder die Werte in unserem Land nicht mehr gerecht verteilt sind. Sie haben auch das Gefühl, irgendetwas stimme in unserem Land nicht mehr, auch Ängste tun sich auf. Rechte Populisten, wie die AfD in Deutschland oder FPÖ in Österreich profitieren von dieser Stimmung. Deutschland und Österreich sind reiche Länder. Lange waren wir stolz auf unseren Wohlfahrtsstaat. Doch wie gerecht geht es bei uns heute wirklich zu? Richard David Precht im ZDF-Talk mit Soziologen Prof. Heinz Bude,profunder Kenner und Erforscher der Stimmungslage in der Bevölkerung ist.

Der Aufstand der Unzufriedenen bescherte den Populisten zweistellige Wahlerfolge. Auch rechte Populisten, wie Donald Trump, Viktor Orbán und Marine le Pen spielen mit den Ängsten der Irritierten und Zukurzgekommenen. Neben absteigenden Mittelständlern, Minderverdienern und Dienstleistungsprekariaten (Fensterputzer, Paketzusteller, etc..) oder Arbeitslosen ist es besonders die untere Mittelschicht, die auf diese Weise ihr massiv gewachsenes Misstrauen in die Politik zum Ausdruck bringt. Das neue Proletariat sind nicht mehr die Industriearbeiter, sondern die stark gewachsene Dienstleistungsbranche ohne Aufstiegsmöglichkeiten für den Rest des Lebens mit bescheidenem Einkommen.

Die Verschärfung des Konkurrenzkampfes ist das Hauptproblem:

Der Gesellschaft des Versprechens wurde erklärt, das man durch Bildung aufsteigt und etwas wird. Dieses Grundgefühl ist heute plötzlich weggefallen, der Faden, es wird uns einmal besser gehen, als unseren Eltern, ist gerissen und gilt nicht mehr. Wer nicht Dauerperformer ist, nicht immer auf der Winner-Seite steht, steigt im immer schärfer werdenden Konkurrenzkampf aus. Das produziert Abstiegsängste und einen Riss durch den Mittelstand.

Es ensteht oft auch das Gefühl, bei der Vielzahl der Wahlmöglichkeiten eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, das Gefühl, was falsch gemacht zu haben.

Stehen wir vor einem neuen erbitterten Verteilungskampf?

Seit dem Siegeszug der sozialen Marktwirtschaft galt hierzulande die Devise, Chancengleichheit sei der beste Motor für eine prosperierende Leistungsgesellschaft. Mit Fleiß, Leistung und frei zugänglicher Bildung sollte jedermann den ökonomischen und sozialen Aufstieg schaffen. Was aber ist geschehen, dass die viel beschworene Chancengleichheit heute immer stärker als Ungerechtigkeit empfunden wird? Läuft der seit den 90er-Jahren bei uns aufgekommene neoliberale Kapitalismus endgültig aus dem Ruder, fragt Richard David Precht. "The Winner takes it all" ist die Devise. Der Neoliberalismus hat die Ungleichheit wesentlich steigen lassen. Hinzu kam die kapitalistische Diktatur des Effiziensdenkens und Optimierungswahnes. Schwappt die unaufhaltsame Welle der Globalisierung jetzt mit all ihren negativen Folgen zurück in die Industriestaaten, die bisher eher zu den Profiteuren des globalen Marktes gehörten?

Beim Thema Bildungsgerechtigkeit sprechen mittlerweile sogar Fachleute von Verhältnissen wie in der alten Feudalgesellschaft. Je ärmer und ungebildeter die Eltern sind, desto geringer sind die Bildungschancen für die Kinder. Die Arbeitswelt zersplittert zunehmend in Minijobs und befristete prekäre Beschäftigungen.

Vermögenswerte konzentrieren sich zunehmend in den Händen der Reichen , während dem einfachen Volk der Sparer null Prozent Zinsen aufgebrummt werden.

Was besonders irritiert, so Precht, ist, dass die lauter werdende Revolte gegen das politische Establishment nicht von der linken sondern von der rechts-konservativen Seite kommt. Es scheint sich weniger eine Solidarität von unten zu formieren als eine Sehnsucht nach Stärke und einfachen Rezepten. Auch die Politik des Hasses irritiert zunehmend.

Die Lösung für Bude:

Zukunft muss wieder zu einer neuen sozialen Vernunft finden, eine Reparatur unserer durch den Neoliberalismus kaputt gewordenen Gesellschaft ist von Nöten. Wieder ein "neues Miteinander" zu entdecken, wieder Verantwortung und Solidarität für den noch Ärmeren zu empfinden, Kooperation statt egoistische Abkoppelung. Dem anderen wieder Zuhören lernen ("Ich helfe dir, weil du Hilfe brauchst" ). Wie aber könnte man mehr Verteilungsgerechtigkeit und somit neues Vertrauen schaffen? Wie der Idee einer echten Solidargesellschaft neues Leben einhauchen? Greifen die alten Rezepte überhaupt, Reiche und Erben (noch höher) zu besteuern? Empirisch ist jedenfalls bewiesen, dass ein Erbe gegenüber einem Nichterben wesentlich bessere Startchancen hat und sogar ohne Leistung wenn vielleicht auch bescheiden von der Erbschaft den Rest des Lebens leben kann (= Asymmetrie zwischen Erbe/Nichterbe).

Brauchen wir möglicherweise noch viel tiefer gehende Veränderungen? Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa den sozialen Frieden bringen? Brauchen wir eine echte, radikale Bildungsrevolution, um wenigstens die grundsätzlichen Voraussetzungen für mehr Gerechtigkeit zu schaffen?

Soziologe Prof. Heinz Bude (UNI Kassel) wurde 1954 in Wuppertal geboren und habilitierte mit einer Studie über die 68er-Generation. Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, sein Forschungsschwerpunkt die Generationen- und Exklusionsforschung. Besonders mit seinen viel beachteten Veröffentlichungen „Die Ausgeschlossenen“ (2008), „Bildungspanik“ (2015) und „Gesellschaft der Angst“ (2014) analysiert Bude immer wieder die wachsende soziale Schieflage in unserer Gesellschaft.

In seinem neuesten Buch "Das Gefühl der Welt" - Über die Macht von Stimmungen (2016) analysiert Bude die Stimmung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft, eine an sich schwer greifbare aber gleichwohl beschreibbare "soziale Realität“ aus.

Die Gegenwart sieht er vor allem von berechtigten Abstiegsängsten der unteren Mittelschicht gekennzeichnet und einem mehr oder weniger diffusen Unbehagen an der Entwicklung des Kapitalismus.

All dies führe zu einer "generellen Stimmung der Gereiztheit“, die sich in der "Publikumsdemokratie“ des digitalen Zeitalters auch ungebremst Bahn bricht. Angst oder Hass durch einschlägige Foren und Resonanz im Internet verstärkt so die Wut und schlägt sich als die gegenwärtig aufgeheizte Stimmung im Land nieder.

In seinem Buch "Gesellschaft der Angst"(2014) beschrieb uns Bude als Angstgesellschaft. Millionen Menschen fühlen sich dabei überfordert, die richtigen Entscheidungen in ihrem Leben zu treffen. Je mehr Auswahlmöglichkeiten wir haben, umso härter wird die Tyrannei eines allgegenwärtigen Entscheidungszwangs. Konkurrenzdenken und Angst vor dem Versagen bestimmen unseren Alltag. Diese Angst gilt genauso im Intimbereich sozialer Bindungen wie im Konsumverhalten oder am Arbeitsplatz.

Obwohl wir mehr Wahlmöglichkeiten haben als früher fühlen wir uns bevormundet durch einen Optimierungszwang. Wo früher Vertrauen herrschte, breitet sich heute Argwohn, Misstrauen und "Statuspanik“ aus. Als Folge erkennt der Autor die Sehnsucht nach früheren Zeiten oder die Zuflucht in den Rechtspopulismus.

Er plädiert dafür, sich zu entspannen, sich über seine Ängste zu verständigen und neue Möglichkeiten zu suchen, die Angst abzubauen.

http://www.amazon.de/Gesellschaft-Angst-Heinz-Bude/dp/3868542841/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1460410248&sr=8-3&keywords=heinz+bude

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