Carolin Emcke - Plädoyer für die "offene Gesellschaft".Man besitzt Freiheit nicht, sondern muss dafür kämpfen.

Carolin Emcke wurde zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Aber Emcke spricht nicht zu Politikern, auch wenn neben Gauck etwa Justizminister Heiko Maas (SPD) im Publikum sitzen. Die Preisträgerin adressiert die Zivilgesellschaft. Es gibt einen neuen Diskurs des Hasses und der Ausgrenzung in Europa. Die Preisträgerin griff in ihrer Dankesrede die völkischen, homophoben, antisemitischen und islamophoben Lehren in Europa an, die das Denken verengen - die "Populisten und Fanatiker der Reinheit" (Emcke).

Die Antwort auf den gegenwärtigen Rechtspopulismus sagt sie unter großem Applaus, lasse sich nicht einfach nur an „die Politik“ delegieren. „Für Terror und Gewalt sind Staatsanwaltschaften und die Ermittlungsbehörden zuständig, aber für all die alltäglichen Formen der Missachtung und der Demütigung, dafür sind wir alle zuständig.“

Der Tonfall der "großen Erzählerin" ist unaufgeregt. Die Laudatorin und Doktormutter Seyla Benhabib ist mit der Preisträgerin seit ihrer gemeinsamen Zeit bei Jürgen Habermas an der Frankfurter Universität auch freundschaftlich verbunden und würdigte Emcke als „wirklich große Erzählerin“ , die in ihren früheren journalistischen Berichten aus Kriegs- und Krisengebieten „eine einmalige Mischung aus Reportage, philosophischer Reflexion und literarischer Komposition geschaffen“ habe. Kraft ihrer vermöge es Emcke, moralisches Zeugnis nicht nur vom Schmerz der in Bürgerkriegen Gefolterten abzulegen, sondern auch von dem Leid und Schweigen derer, "die anders sind, sei es sexuell, psychisch, religiös oder ethnisch".

Eben dieses Anderssein rückte Carolin Emcke ins Zentrum ihrer Dankesrede. Kein Mensch wächst allein auf, lernt allein denken. Jeder hat Angehörige, gehört zu einer Familie, hat Vorlieben und Anschauungen, vielleicht auch eine Religion, die er mit anderen teilt. Zugleich ist er ein singuläres Individuum, und die mit anderen geteilten Neigungen erlebt er als etwas ganz Persönliches. Das Problem beginnt, wo Gruppenzugehörigkeit zu einem Bannkreis wird. Emcke nahm ihre Homosexualität als Beispiel. Wieso gibt es soziale oder staatliche Kräfte, die sich einmischen, wenn eine Frau eine Frau oder ein Mann einen Mann liebt? Die ihnen Rechte oder ihre Würde absprechen? Wie könne, fragte Emcke, etwas so Persönliches für andere so wichtig sein?

Mit ihrer Dankesrede lieferte Carolin Emcke eine Verteidigung der Vielfalt. Weil alle Menschen verschieden sind, haben alle die gleichen Rechte. Zum Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft gehörtz die Freiheit zu lieben, was man will, auszusehen, wie man will, zu glauben, was man will.

Doch was steht laut der in Istanbul geborene Professorin und Laudatorin aus den USA auf dem Spiel steht:

„In ganz Europa rufen rechtsextreme und fremdenfeindliche Parteien zum Angriff auf internationales Recht und Menschenrechtskonventionen. Reaktionärer Nativismus, Nationalismus und Tribalismus drohen die zerbrechlichen Institutionen internationaler Kooperation jenseits des Nationalstaates – wie die Europäische Union – zu zerstören.

Für Terror und Gewalt sind Staatsanwaltschaften zuständig, aber für all die alltäglichen Formen der Missachtung, dafür sind wir alle zuständig“

Mit der offen lesbischen Carolin Emcke ehrt der Stiftungsrat eine Stimme, die sich einer der wieder häufiger angefeindeten Gruppen zurechnet. In den 80ern sozialisiert fielen ihre prägenden Jahre in den Berliner Mauerfall, die Ära Kohl und Neonazi-Übergriffe der 90er Jahre.

Emcke traut verfolgten Gruppen einen besonders beherzten Einsatz für Demokratie und Toleranz zu: „Alle, die die Brüche der Gewalt und des Kriegs miterlebt haben, alle, denen die Furcht vor Terror und Repression unter die Haut gezogen ist, wissen doch um den Wert stabiler rechtsstaatlicher Institutionen und einer offenen Demokratie. Vielleicht sogar etwas mehr als diejenigen, die noch nie darum bangen mussten, sie zu verlieren.“

Es spricht daraus ein gedämpftes Vertrauen in die Widerstandskraft der "offenen Gesellschaft". In Deutschland hat nach den Jahre der Vereinigung eine stetige Demokratisierung und Liberalisierung stattgefunden. Deutschland als Einwanderungsland hat in der jüngsten Flüchtlingskrise mit Merkels "Willkommenskulturpolitik" den Bogen überspannt. Dies führte u.a. zu einem Wiedererstarken von Nationalismus und Rassismus, das Toleranz und Demokratie in Frage stellt.

Dem gemütliche Einrichten des Erreichten setzt Emcke eine Politik des fortwährenden Kampfes für Demokratie und Liberalisierung entgegen:

„Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut. Säkularisierung ist kein fertiges Ding, sondern ein unabgeschlossenes Projekt“, sagt sie. "Demokratie ist keine statische Gewissheit, sondern eine dynamische Übung im Umgang mit Ungewissheiten und Kritik.“

Die Zivilgesellschaft muss neben dem Eintreten für Vielfalt und ein ziviles Miteinander aller möglichen Lebensentwürfe, Glaubensrichtungen und ethnischen Zugehörigkeiten viel stärker Einfluss auf Politik und Strafverfolgungsorgane nehmen.

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