Europas Abschied vom "transatlantischen Westen" und Wiederkehr des Albtraumes "Nationalismus"(Joschka Fischer)

Im STANDARD las ich heute einen ausgezeichneten Kommentar von Joschka Fischer, den ich in kurzen Worten wiedergeben möchte.

Trumps Wahlkampfankünmdigungen bedeuten außenpolitisch nichts Gutes für Europa. Er hat damit den Abschied angekündigt von dem, was man bis dato "den Westen" nannte. Eine transatlantische Welt gemeint, die aus den zwei Weltkriegen des 20. Jahrhunderts hervorgegangen, den Kalten Krieg der 50er bis 80er-Jahre überdauert feste Formen angenommen hat. Bis in unsere Gegenwart hinein hat sie den Globus dominiert.

Der "Westen" ist übrigens nicht mit dem "Abendland" zu verwechseln, auch wenn er natürlich religiöse und kulturelle Elemente des Abendlandes mit beinhaltet.

Das Abendland war mediterran geprägt. Europa war aber mehr und "der Westen" ist atlantisch geprägt.

Zäsur 1917: Westliche Demokratie versus russischer Bolschewismus.

Der Erste Weltkrieg begann noch als ein europäischer Krieg zwischen den Mittelmächten und den Mächten der Entente. Erst 1917, mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, wurde dieser europäische Krieg wirklich zum Weltkrieg. Mit US-Präs. Wilsons 14 Punkte Proklamation begann die Herausbildung des "heutigen Westens". Demnach sollte eine Demokratisierung der Außenpolitik unter der Kontrolle der Völker stattfinden, denn die Geheimdiplomatien wirkten nur kriegstreibend. Auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker war ein wichtiger Punkt.Dazu proklamierte er damals noch umstrittene 14 Punkte:

1) Friedensverträge, Abschaffung Geheimdiplomatie

2) Freiheit der Meere für die Schifffahrt

3) Freiheit der Wirtschaft (Freihandel)

4) Rüstungsbeschränkungen

5) Kolonialregelungen.. .

.....

10)Freie autonome Entwicklung der Donaumonarchie-Völker

...

12) Unabhängigkeit der Türkei und eh. osmanischen Reiches , Öffnung der Meerengen...

...

14) Gründung des Völkerbundes

Dem gegenüber führte mit die bolschewistische Revolution (Lenin) zum Untergang des russischen Zarenreiches und Implementierung des Kommunismus (Marxismus-Leninismus) in Russland.

Im Zweiten Weltkrieg, nach dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion, unterschrieben im August 1941 Winston S. Churchill und Franklin D. Roosevelt auf einem Kriegsschiff im Atlantik die Atlantikcharta, gewissermaßen die Geburtsurkunde des Westens.

Daraus sollte sich dann später der Nordatlantikpakt NATO entwickeln, der Europas Sicherheit bis heute durch die "Schutzgarantie der USA" sichert und ein Bündnis freier Demokratien, Rechtsstaaten und Marktwirtschaften ist, die ein gemeinsames Wertefundament teilen und gemeinsam erfolgreich über vier Jahrzehnte hinweg der sowjetischen Bedrohung trotzten.

Transatlantische Sicherheit

Der Westen gründet also auf einer gemeinsamen, von den USA garantierten transatlantischen Sicherheit und auf geteilten politischen und gesellschaftlich-kulturellen Werten und umfasst in seinem Kern den transatlantischen Raum, genauer: den Nordatlantik. Es gibt den Westen nicht ohne Europa und nicht ohne Nordamerika, und genau darum geht es heute, denn Amerika ist unter Präsident Trump dabei, sich aus dieser Rolle zurückzuziehen.

Trump:

"Ich sehe nicht ein, warum die USA den Löwenanteil der Kosten für die NATO übernehmen muss"

Die Zahlen bestätigen Trump, weil die USA mehr als doppelt soviel für Rüstung ausgeben, als Europa.

NATO-Ausgaben gesamt: 862 Mrd.USD

davon West-Europa: 262 Mrd. (= 30%)

davon USA: 600 Mrd. (= 70%)

Truppenstärke der NATO = rd. 3,2 Mio., wobei

Europa mehr Soldaten als die USA hat.

Russland: 66 Mrd.USD

Asien: 436 Mrd.USD

davon China: 215 Mrd.USD

Naher Osten: 190 Mrd.USD

Die Trump-Präsidentschaft wird viel disruptiver in der Innen- und Außenpolitik der USA sein mit viel weniger Kontinuität und Verlässlichkeit.

Weiter wird Trump an der Devise "Make America great again!" als Grundbasis seiner Präsidentschaft festhalten, komme, was da wolle.

Die Wählerschaft von Trump will, nach all den verlorenen, sinnlosen Kriegen von George W. Bush im Nahen und Mittleren Osten, den Rückzug auf sich selbst, raus aus der Weltmachtrolle.

Die USA werden zwar die mit weitem Abstand mächtigste globale Macht bleiben, aber nicht mehr der Sicherheitsgarant des Westens, die Führungsmacht einer liberalen Weltordnung und einer auf Freihandel beruhenden Weltwirtschaft. Die USA unter Trump werden sich in Richtung Isolationismus und Nationalismus bewegen.

Die Ankündigung sich aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP zurückziehen ist ein Geschenk für Peking! Wird als Nächstes das Südchinesische Meer folgen? China wird durch Trump gerade in die Rolle des Garanten für einen freien Welthandel und wohl auch für den globalen Klimaschutz gedrängt und weiß dabei nicht wirklich so recht, wie ihm geschieht.

Wird Trump eine Übereinkunft mit Putin anstreben, die den Krieg in Syrien zu beenden versucht, indem sie das Land Moskau und Teheran überlässt? Und kommt es über die Ukraine, Osteuropa und den Kaukasus mit Putin zu einem Jalta 2.0, zu einer De-facto-Anerkennung von Einflusszonen? Die Richtung der USA unter Trump ist bereits heute absehbar, allein Geschwindigkeit und Radikalität dieser Veränderungen bleiben offen. Diese werden vor allem von dem Widerstand im Kongress (Demokraten und Republikaner gleichermaßen) und in der US-amerikanischen Öffentlichkeit abhängen.

Man soll sich aber keine Illusionen machen – ohne die USA in der Führungsrolle wird der Westen nicht überdauern. Europa kann die Führungsrolle nicht übernehmen; dazu ist es viel zu schwach und zu zerrissen. Und so wird die westliche Welt, wie wir sie kannten, vor unseren Augen versinken.

Alptraum eines neuen Nationalismus:

Das große China aber macht sich auf, in die Schuhe der ermüdeten Weltmacht zu schlüpfen.

Im alten Europa werden sich ein weiteres Mal die Grüfte des Nationalismus öffnen, ein Alptraum.

(Joschka Fischer/geb.1948 war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler).

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