Ist in Deutschland oder bei uns von der „Gig-Economy“ die Rede, geht die Erzählung oft wie folgt: Nach dem Vorbild des amerikanischen Fahrtenvermittlers Uber entstehen immer mehr Plattformen, die einem auf Wunsch das Mittagessen oder das gebügelte Hemd liefern, den Kühlschrank füllen oder eine Reinigungskraft vorbeischicken. Dazu braucht man Arbeitskräfte.
Diese Arbeitskräfte sind in der Regel nicht festangestellt, sondern werden je Auftrag/Auftritt (="Gig") bezahlt. Sie haben dementsprechend
o kein festes Einkommen und sind
o nicht für den Krankheitsfall (Sozialversicherung ohne AGA) oder auch
o nicht für das Alter abgesichert.
o müssen selbst versteuern und
o vergisst oft, dass es sich also nicht um ein Nettoeinkommen zum Verbrauchen handelt, was man auf die Hand kriegt
o erhalten keine Arbeitslose
o kein Urlaubs/Weihnachtsgeld und damit auch keine steuerliche Sechstelbegünstigung
An anderen Bezeichnungen kursieren noch:
o prekäre Arbeitsverhältnisse, Ich-AG's, Werkvertragler, Freelancer, atypisch Beschäftigte, Leiharbeiter, Working poor, Mc. Jobs, ...
o keine Interessensvertretung will sie so richtig
o kein Schutz durch das Arbeitsrecht
o ihre wirtschaftliche Position ist zu schwach, um sich gegen die Starken durchzusetzen. Offene Forderungen werden oft nicht zur Gänze bezahlt im Bewusstsein, sie verzichten lieber auf Klagen wegen des Kostenrisikos.
Wenn man sich in der Kreativbranche umhört, sollen oft die vermögendsten Kunden (Ärzte, etc..) die schlechtesten Zahler sein, ein Skandal.
Weder die Sozialisten, noch weniger die Grünen haben sich um diese Personengruppe gekümmert, keiner will sie und der Wirtschaftsbund und die WK schon gar nicht. Der steirische WK-Präs. Herk wollte sie draußen haben, wurde dann jedoch rhetorisch von WK-Präs.Leitl/Wien zurückgepfiffen.
Rhetorisch wird um die "Start-Ups" soviel Getue gemacht , die tatsächliche Realität sieht jedoch völlig anders aus.
Auf die Vertraggsformen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen will ich hier nicht näher eingehen, im Wesentlichen muss zwischen:
o Echter Diensvertrag
o Freier Dienstvertrag
o Werkvertrag
unterschieden . Dabei ist aus Sicht allfälliger Arbeitgeber zu berücksichtigen, dass eine freie Wahl der Vertragsgestaltung durch gesetzliche Bestimmungen eingeschränkt !!!!! wird („zwingendes Recht“), um die schwächere Rechtsposition des Arbeitnehmers zu schützen. Ein häufiges Missverständnis in der Praxis der Glaube an die Vertrags-Wahlfreiheit. Die Folge können Strafen und hohe Nachzahlungen auf mehrere Jahre sein!! Auch das Lohn-und Sozialdumping Gesetz sieht hohe Strafen vor auch für Geschäftsführer und Vorstände.
In Deutschland und bei uns gipfelt das Bedrohungsszenario in einem Heer "digitaler Tagelöhner". Man könnte sich auch vielfach zu den "Losern" oder "neuen Sklaven" des Neoliberalismus zählen. Sie zählen weder zur privilegierten Gruppe der Erben oder sind Kinder begüteter Elternhäuser, noch arbeiten sie in einem geschützten Bereich wie die Beamten.
Sie sind scheinbar frei, nur ist diese neue Freiheit und Flexibilität oft mehr als trügerisch. Ich habe mir heute im Fitnesscenter einen BBC2-Bericht (Jeremy Vine-Show) über das Thema "Gig-Economy" in GB angehört. Was dort als große Flexibilität angepriesen wird, bedeutet bei Tag Pakete zustellen und nachts noch für einen Bereitschaftsdienst arbeiten und daneben noch wo aufräumen gehen, um die Miete und Lebensführung tragen zu können.
Aus Sicht der arbeitgeberseitigen Wirtschaft wird betont, wie toll die neuen Geschäftsmodelle seien, weil sie den Arbeitskräften viele Freiheiten ermöglichen. Sie entscheiden selbst, wie viel sie arbeiten und wann sie welche Aufträge annehmen. Weil in Deutschland vielerorts nahezu Vollbeschäftigung herrscht, dürfte die Not, sich auf unattraktive Arbeitsverhältnisse einzulassen, ohnehin nicht allzu weit verbreitet sein. Wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert.
„Gig-Economy“- Tätigkeiten als Nebenerwerb, das leuchtet noch eher ein, also zusätzlich zum Hauptjob eines Angestelltenverhältnis. Die Digitalisierung macht es leichter, an innovativen Geschäftsmodellen ortsunabhängig mitzuarbeiten, sie zu entwickeln. Eine gute Idee und einen Programmierer, viel mehr braucht es dazu erst mal nicht. Über die soziale Absicherung sollte man sich jedoch Gedanken machen. Daher lohnt ein differenzierter Blick darauf, wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.
In den USA ist das schon deutlicher zu spüren, wobei die Wirtschaftskrise 2009 das Land auch besonders hart traf und viele Menschen aus der Not heraus begannen, freiberuflich zu arbeiten. Zudem ist im Falle einer Festanstellung in den USA das Ausmaß der sozialen Absicherung nicht mit der in Deutschland zu vergleichen. Ein direkter Lohnvergleich muss man die meist selbst zu tragende Krankenversicherung noch abziehen.
Das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer beginnt sich zu ändern bis aufzulösen:
Das Putzkräfteportal Helpling bei uns etwa betont gerne, dass es kein Reinigungs-, sondern ein Softwareunternehmen sei, das nur die Plattform zur Verfügung stellt. Ähnlich argumentiert Uber, das sich ebenfalls nicht als Fahrdienst versteht. Und wo bleibt die Sozialversicherung, wo der Arbeitsrechts-Schutz, etc...
Und auch der Essenslieferdienst Deliveroo, der derzeit Fahrer mit großen Thermo-Rucksäcken durch die Großstädte schickt, sucht seinen Stellenausschreibungen zufolge Fahrer, die selbständig oder auf Midijobbasis tätig sind. Diese Unternehmen sehen sich als Vermittler von Dienstleistungen, nicht als Arbeitgeber im klassischen Sinne.
Wie sollte man darauf reagieren? Diese Frage stellt sich gerade in Deutschland und bei uns, wo die Beiträge zu den Sozialversicherungen etwa zu Hälfte von Arbeitgebern (="AGA/Arbeitgeberanteil) und Arbeitnehmern (="ANA/Arbeitnehmeranteil) finanziert werden. Es müsste sichergestellt werden, dass Selbständige besser für das Alter vorsorgen, um Altersarmut und Alterssozialfälle zu vermeiden.
Viele allein tätige Selbständige verdienen so wenig, dass sie nicht von sich aus etwas zurücklegen, so dass im Alter die Gemeinschaft in Form der Grundsicherung für sie eintreten muss.
Auch der Streit um die Höhe der Mindestsicherung hat ja schon begonnen.
Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen:
Man sollte das Thema viel grundsätzlicher angehen und die Vermittlungsplattformen darin auch gesetzlich bestärken, Verantwortung für ihre Arbeitskräfte zu übernehmen. Vielmehr sollten auch die Unternehmen ein ureigenes Interesse an zufriedenen Mitarbeitern haben, denn schließlich sind diese oft der einzige echte Kontakt der Plattformen zum Kunden. Wer bekommt schon gerne seine Pizza von grimmigen Lieferanten in die Hand geklatscht, dass der Saft auf der Seite rausrinnt. Oder wer will schon eine unfreundliche Putzfrau, der wegen schlechter Bedingungen das Lachen vergeht? Einige Start-ups in Amerika haben das erkannt und sind angeblich dazu übergegangen, ihre Mitarbeiter wieder fest anzustellen. So etwa das Reinigungsportal My Clean, der Butler-Service Alfred oder Parcel, das für seine Kunden Pakete entgegennimmt. Zwar sind so die Personalkosten der Unternehmen deutlich gestiegen. Doch sie argumentieren, dass die zusätzlichen Umsätze noch stärker zugelegt haben und diese Kosten wieder wettmachen.
Selbst wenn diese Unternehmen Ausnahmen bleiben sollten, gibt es für die neuen Vermittlungsdienste immer noch Möglichkeiten, für ihre Mitarbeiter mehr als nur das Minimum zu tun, ohne sie gleich fest anzustellen. Denkbar sind höhere Löhne, Fortbildungen oder Beiträge zu einer Krankenversicherung oder Altersvorsorge.
Bei "Kanununu" bewerten Arbeitskräfte die Arbeitgeber oder Vermittlungsportale. Bei schlechten Bewertungen gibts für diese Dienste oder Arbeitgeber dann Probleme beim Recruiting.
Die Digitalisierung auch eine nie dagewesene Transparenz mit sich. Das ist jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass es auch eine hohe Preistransparenz und dadurch scharfen Verdrängungswettbewerb über die Preise gibt.
Da ich selbst als 60+ nicht mehr unmittelbar mit all den dargestellten Problemen konfrontiert bin, hätten mich in Kommentaren andere bzw. abweichende Sichtweisen und Erfahrungen interessiert - ein ganz wichtiges Thema in meinen Augen.