Kann eine Flötenlehrerin den Freihandel stoppen? Ist das denkbar? Diese Frage stellten sich bis zuletzt viele. Marianne Grimmenstein-Balas aus Lüdenscheid brachte das Freihandelsabkommen mit Kanada vor das Verfassungsgericht, die Urteilsverkündung erfolgte am Donnerstag, die Klage wurde formal abgewiesen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht das CETA-Handelsabkommen der EU mit Kanada unter Auflagen vorläufig gebilligt.
Marianne Grimmenstein, einer bemerkenswerte Persönlichkeit, Musik ist ihr Beruf, der Kampf gegen Freihandel ihre Berufung: Als Erste hat sie vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Freihandelsabkommen Ceta geklagt. Tausende Bürger, mehrere Nichtregierungsorganisationen und die Links-Fraktionen waren ihr gefolgt.
Frau Grimmenstein sagt:
Das Hauptproblem dieses Abkommens ist, dass sich der Staat damit komplett aus seiner Schutzfunktion für den Bürger herauszieht. Die Wirtschaft ist kein Selbstzweck, sie sollte dem Wohl der Gesellschaft dienen. Deshalb brauchen Investoren ein Korsett, sonst sind sie nur auf Profit aus. Dafür muss die Politik sorgen.
Europa und Kanada sind hochentwickelte Länder, wir brauchen nicht unendlich viel Wachstum, wir brauchen Nachhaltigkeit. Mit Qualität kann man ebenso Geld verdienen. Wachstum ist der Krebs der Wirtschaft. Wenn wir immer nur an Profit denken, werden wir alle geschädigt.
Ich bin schon seit 30 Jahren Mitglied in dem Verein „Mehr Demokratie“ und habe mich schon lange für Ceta interessiert. Mir hat die Sache von vorneherein nicht gefallen. In der Zeitschrift des Vereins las ich einen Artikel über den Freihandel und wie diese Verträge die Demokratie aushebeln. Ich war schnell alarmiert, weil es hieß, die Ceta-Verhandlungen seien bald abgeschlossen. Deshalb dachte ich: So geht es nicht, ich muss vor das Bundesverfassungsgericht. Innerhalb von zehn Tagen habe ich die Klage mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung fertiggestellt. Die Richter sollten der Bundesregierung verbieten, das Abkommen zu unterschreiben. Das hat das Verfassungsgericht im ersten Anlauf abgelehnt. Es war noch viel zu früh für die Klage, denn es gab noch keinen veröffentlichten Vertragstext. Aber das machte nichts, denn meine Klage wurde dadurch im Netz verbreitet. Das hat viel Wind erzeugt, das war schon mal gut.
So kamen auch NGO's auf mich und boten mir Unterstützung an. Daraufhin habe ich eine Petition ins Netz gestellt, die die Grundlage für die zweite Klage wurde.
Ich habe den Vertragstext mehrmals gelesen, als er dann veröffentlicht war. Früher musste ich mich mit dem Englischen herumplagen, aber jetzt bei der deutschen Version habe ich erst einmal einen Lachkrampf bekommen, weil sich die Investoren keinen schöneren Vertrag als diesen wünschen können. Das ist die absolute Narrenfreiheit. Das ist nicht in Ordnung, für mich ist das grundgesetzwidrig.
In Artikel 14 steht eindeutig, dass Eigentum verpflichtet und dem Wohl der Allgemeinheit dienen muss. Und in Artikel 2 ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert, das taucht im Verbraucherschutz und Umweltschutz bei Ceta gar nicht auf. Der ganze Vertrag ist voller schwammiger Begriffe, alleine die „gerechte und billige Behandlung von Investoren“, die dort festgeschrieben wird. Das öffnet ja Tür und Tor für jede Art von Interpretation.
Der Kapitalverkehr für Investoren wird so unkontrolliert, dass wir praktisch die größte Geldwäschezone der Welt eröffnen. Das ist ein Paragraph für die Mafia, mit dem sie Geld hin- und herschieben können. Für den kleinen Bürger wird der Bargeldeinsatz gedeckelt wegen Terror, aber die Investoren dürfen machen, was sie wollen.
Unternehmen sind nicht alle böse, aber sie müssen gelenkt werden durch die Politik. Der Staat muss seine Schutzfunktion erfüllen, und das ist in diesem Fall nicht mehr gegeben. Der gemischte Ceta-Ausschuss...das ist ein deutsch-kanadisches Gremium, das unklare Rechtsbegriffe verbindlich auslegen soll... kann tun und lassen, was er will: neue Ausschüsse ernennen und den Vertrag beliebig ändern. Es ist noch vollkommen unklar, wer in diesen Ausschüssen sitzt. Darüber wird überhaupt nicht geredet. Diese Ausschüsse bekommen so viel Macht, dass die Parlamente ausgehebelt werden. Das gesamte Investitionsschutzkapitel und die Schiedsgerichte gehören komplett weg.
Kann diese Flötenlehrerin den Freihandel stoppen? Heute werden wirs erfahren. Tausende haben sich unserer Klage angeschlossen. 68.058 Vollmachten waren bei mir eingegangen und ich hätte noch viel mehr bekommen, die Marke 100.000 hätten wir locker geknackt, aber wir hatten nicht die Kapazitäten.
Es war einfach zu viel für unser kleines Team. Wir waren zu fünft, mein Mann und drei Freundinnen von mir. Jede Adresse musste eingetippt werden, das war harte Arbeit. Mit einem Kombi haben wir die Vollmachten zum Bundesverfassungsgericht gebracht. Der Polizist am Empfang hat gelacht, als er uns gesehen hat.
Wenn Gier und Konsum im Mittelpunkt stehen, erwächst daraus keine humane Gesellschaft, sondern das Gegenteil: Wir entsolidarisieren uns. Unsere Erde ist in einem katastrophalen Zustand. Es geht nicht, dass die Investoren so viele Sonderrechte bekommen zu Lasten des Umweltschutzes.
Ich habe noch ein anderes Projekt, es heißt: „Frischer Wind in den Bundestag“. Da suche ich unabhängige Kandidaten, die ein bisschen mehr Qualität in die Politik bringen. Auf den Posten des Wirtschaftsministers gehört kein Deutschlehrer, wie Gabriel.
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Nachwort:
Zum vorläufigen Urteil des VfGH = Zum CETA sagt er "ja, aber":
Die 3 "Aber":
1) Deutschland muss völkerrechtlich verbindlich erklären, dass es aus der vorläufigen Anwendung auch wieder aussteigen kann, wenn das Verfassungsgericht in ein, zwei Jahren zum Schluss käme, dass Ceta gegen das deutsche Grundgesetz verstösst. Die Hauptfrage der Verfassungsmässigkeit von Ceta wird ngesichts der Komplexität des Vertrages mit seinen 500 Seiten und 1800 Seiten Anhang will das Gericht diese Frage gründlich prüfen. Dies könnte ein bis zwei Jahre dauern.
2) Berlin muss darauf achten, dass nur diejenigen Teile vorläufig in Kraft gesetzt werden, die auch alleine in der Kompetenz der EU liegen. Ceta gilt als "gemischtes Abkommen", es braucht somit nicht nur die Zustimmung der EU-Gremien, sondern auch der 28 Mitgliedstaaten und gewisser Regionalparlamente wie in Belgien. In nationale Zuständigkeit fielen etwa der Investitionsschutz sowie Regelungen zum Seeverkehr, zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen und zum Arbeitsschutz, stellte das Gericht fest.
3) Ceta sieht einen gemeinsamen Ausschuss zu Regulierungsfragen vor, in dem Vertreter der EU und Kanadas, aber nicht der Mitgliedstaaten sitzen. Das Gericht regt nun an, dass Beschlüsse nur zustande kommen, wenn vorher der EU-Ministerrat diese einstimmig und somit nicht nach dem Mehrheitsprinzip gebilligt hat (quasi ein Vetorecht).
foodwatch, STOP TTIP CETA 10.10.2015 Belin https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Foodwatch,_STOP_TTIP_CETA_10.10.2015_Belin.jpg