Individualismus, Populismus, Tribalismus - Zahl 148, Militarismus, ÖXIT-Folgen

Hans-Werner Sinn jüngst den Österreichern den EU-Austritt empfohlen. Österreich solle die EU verlassen (ÖXIT), weil seit dem BREXIT die Mehrheitsverhältnisse sich zuungunsten der europäischen Nettozahler-Staaten verändert haben. Denn die Staaten, die mehr einzahlen, als sie herausbekommen (Österreich, Deutschland, Finnland –,etc..) verlieren ihre Entscheidungshoheit an die, die mehr bekommen, als sie bezahlen, zum Beispiel Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland.

Der Schein des bisher andauernden Friedens in Europa ist trügersich, weil Renationalisierungstendenzen am Ende des Tages leicht in Militarismus umschlagen können. Der Philosoph und UNI-Prof. Heiner Mühlmann (Bücher: "Die Natur der Kulturen" und "Europa im Weltwirtschaftskrieg" (2013) setzt sich in der NZZ damit auseinander, wonach Militarismus ein Begleitwesen des Nationalismus ist.

In der EU handeln nationale Politiker im Interesse der Staatsräson idR. Nationalstaat-orientiert, ansonsten würden sie das Vertrauen ihrer Bürger verlieren. Jeder scheinbare Vorteil hat aber auch Nachteile, denn diese Position würde das Ende des europäischen Friesdensprojektes bedeuten. Mit einem Schlag ist die Angst vor dem Nationalismus wieder da. Die grösste Angst gilt dabei der Verbindung von Nationalismus und Militarismus.

In jüngster Zeit haben die rechtspopulistischen Bewegungen die Tradition nationalistischen Gedankengutes eifrig beworben, insb. auch identitäre Bewegungen. Sie produzieren Nationalismus im Geist, jedoch wenn er dann bittere Realität wird, bekommt die Welt wieder ein anderes Gesicht (Steigerungsstufen: Populismus-Nationalismus-Militarismus-Krieg).

In der Philosophie wird zwischen "Nominalismus" (nur in der Welt der Begriffe und Köpfe existierend) und "Realismus" (was dann tatsächlich in der Realität exisiert) unterschieden. Wenn der Nationalismus (Renationalisierung) als neuer, populistischer Zeitgeist zur Realität wird, dann kann das unvorhersehbare Folgen haben. Wenn sich neue Verhaltens-und Denkmuster oft genug wiederholen, werden sie zur Tradition und kulturellen Realität. Sie werden sogar umso realer, je öfter die Menschen es wiederholen und je mehr Menschen sich daran beteiligen. "Tradition" als anthropologische Konstante wird zur meistgenannten Eigenschaft einer Kultur.

In den rechtspopulistischen Bewegungen wird immer von Angst vor Überfremdung, Islamisierung und Globalisierung gesprochen. Wer Angst vor kultureller Überfremdung hat, befürchtet ein Aussterben der eigenen, identitätsstiftenden Kultur in der nächsten oder übernächsten Generation.

Denn der typische Mensch der modernen Kultur ist eher Nonkonformist und Individualist und daher aus dieser Grundüberzeugung gegen alles, was mit Massen und Populismus zu tun hat. Und Rechtspopulisten sind in seinen Augen Anhänger von Massenbewegungen.

Nach Ansicht des Professors könnte der Individualist genauso empfänglich für Populismus sein, weil Individualismus eine Illusion in der Selbstwahrnehmung von Individuen sein könnte, ein Begriffsgespenst. Anthropologie und Massenpsychologie zeigen in der Realität, dass sich das menschliche Zusammenleben in allen Lebenslagen durch mimetisches (= gegenseitig nachahmendes Verhalten) Verhalten auszeichnet.

Jedoch dass es bei uns die rechtliche Möglichkeit, Verträge zu schließen, gibt zeigt auf, dass wir Individualisten mit unterschiedlichen Interessen sind, die in einem Vertrag geregelt werden. Verträge sind Regelprozesse zwischen Individualisten mit unterschiedlichen Positionen.

Als Jurist - obwohls schon lange her ist - habe ich gelernt, dass bereits in der griechischen Epoche des Hellenismus der Begriff "Synallagma" entstanden ist, der für Vertrag. Synallagmatische Verträge wurden vom römischen Recht übernommen und später in die nationalen europäischen Rechtssysteme rezipiert. Unser ABGB ist ja ein Abklatsch des Römischen Rechtes. Das germanische Recht war leider eine Katastrophe und für das Zivilrecht (ABGB) weitgehend unbrauchbar, die "Besitzstörung" konnte vom germanischen Recht herübergerettet werden. Aber unser Jusstudent Langberg kann uns da genauer aufklären.

An Hand dieses Beispieles gehört auch das Individualisierungsverhalten eindeutig dem Bereich der kulturellen Realität an und ich bin Anhänger einer pluralistischen multikulturellen Gesellschaft und lehne homogene Volkskörper ab, weil sie weder Kreativität noch Innovation hervorbringen. Ich war aber ein scharfer Gegner der Willkommenskultur in der Flüchtlingskrise, die ja noch wie ein Damoklesschwert über uns schwebt, wenn Erdogan die Tore aufmacht.

Auch die Sozialpolitik durch Gesetze und Verträge sollen Individuen im Fall von Krankheit und Altersschwäche absichern. Private Versicherungsverträge und staatliche Verträge bzw. Gesetze zwischen Individuen und Staaten. In diesen Verträgen ist festgelegt, welche Leistungen die Individuen zu erbringen haben und welche Gegenleistungen sie vom Staat erhalten.

Diese Wohlfahrtsleistungen wurden vor der Zeit der vertraglich geregelten Individualisierung von stammesgesellschaftlich organisierten Kollektiven wahrgenommen. Dieses spontane Wohlfahrtsverhalten entstand aus dem Instinkt ("tribal social instincts";) heraus des "angeborenen und reziprokem Altruismus".

Es stellt sich nunmehr die Frage:

Was ist aus diesen Tribalgruppen (=Stammesgruppen) geworden, seit sie wegen der individualisierten Organisation nicht mehr gebraucht werden? Sind sie etwa ausgestorben? Und was passiert, wenn das vertragsrechtliche Wohlfahrtssystem in eine Krise gerät, durch die Digitalisierung der Arbeitsmärkte und von der damit verbundenen Schwächung der Arbeitsverträge? Wird in diesem Fall zwangsläufig der Einfluss des Tribalismus grösser?

Jetzt wirds sehr wissenschaftlich:

Es gibt ein realkulturelles Phänomen, das man die "tribale Konstante" nennen kann. Die tribale Konstante ist die Zahl "148". Diese Zahl wird auch die "Dunbar-Zahl" (vom Anthropologen Robin Dunbar entdeckt). Diese Zahl gibt die Obergrenze der Anzahl von Menschen an, mit denen ein Mensch soziale Beziehungen unterhalten kann. Diese Zahl ist funktional abhängig von der Grösse der Gehirne. Die Grösse der Gehirne nahm im Lauf der Evolution stetig zu. Sie erreichte bei Primaten, speziell bei humanen Primaten, ihren Höchststand.

Mit bis zu 148 anderen Individuen kann ein Mensch interagieren, ohne künstliche Organisationshilfen wie Gesetze, kodifizierte Regeln, Verkehrsschilder. Die tribale Konstante beschreibt eine Obergrenze für die Fähigkeit zu spontanem Sozialverhalten. Damit beschreibt sie das tribale Verhalten als kognitive Leistung, die bei quantitativer Zunahme der Kollektive immer anstrengender wird.

Doch die tribalen Organisationsgesetze gelten auch, wenn es nicht um das soziale Leistungsprinzip, sondern um das soziale Vergnügen geht. Dann wird die tribale Konstante zu einem lustbezogenen Sozialtrieb, der immer vorhanden ist. Die tribale Sozialorganisation wird auf diese Weise zum permanenten Aufbaumodul der Grosskollektive. Sie können aber mit den künstlichen Regeln der Gesetzessysteme allein nicht funktionieren. Denn Gesetze bieten keine menschliche Wärme. Die tribalen Bindekräfte dagegen bieten viel menschliche Wärme.

Zwang statt Freiwilligkeit

Man denkt an sich selbst, an seine Freunde und Bekannten und stellt fest, dass alle irgendwelche Kontakte zu Gruppen haben, in denen jeder jeden kennt. Diese Gruppen treffen sich bei Einladungen zu Geburtstagsfeiern. Sie treffen sich in Vereinen aller Art oder im Internet. ("e-tribalisme", "smart mobs").

Was in diesen Kollektiven auf der Basis von Freiwilligkeit und Vergnügen geschieht, muss in anderen tribalen Gruppen durch Training, ja durch Zwang umgesetzt werden. Hier kommt wieder das Militärwesen ins Spiel – das Militarismus als Begleitphänomen des Nationalismus. Beim Militär war es von jeher wichtig, Untereinheiten zu schaffen, die tribale Organisation ermöglichen. Die Reihen der griechischen "Phalanx" oder das "Manipel" der römischen Legionen, die "Kompanien" in modernen Armeen mit Untereinheiten, die sogenannten "Züge".

In Zeiten der Relaxation überwiegen die hedonistischen Tribalkollektive. In Zeiten von zunehmendem Stress entstehen fanatisierbare Gesinnungstribalismen. Zu ihnen gehören unter anderen die Ortsvereine der rechtspopulistischen Parteien.

In Stresszeiten wird auch der Bedarf an Sicherheitspersonal grösser. Das zieht die Vergrösserung der Polizeitruppen, der Grenzschutztruppen und der Armeen nach sich. Es gibt sie immer, die tribalen Kollektive. In ihrem Inneren jedoch vollziehen sich die Veränderungen der kulturellen Realität. In ruhigen Zeiten bewegen sie sich in Richtung Relaxation, Freundeskreise des Vergnügens haben den grössten Zulauf. In unruhigen Zeiten bewegen sie sich in Richtung politische Fanatisierung. Dann entscheidet sich in den tribalen Gruppen, ob die reale Gesamtkultur in Richtung militarisierter Nationalismus tendiert.

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