Journalisten - demutslose "Übermenschen" des Informationsgewerbes?

Schirrmacher (FAZ) schrieb einmal, der Journalismus setze auf die Semantik der Eskalation und wird dadurch selbst zur Waffe und Karl Kraus meinte über Journalisten, "sie tauchen ihre Feder in Blut tauchen ihre Schwerter in Tinte“ (Beispiel Krimkrise, Köln, Wolff, etc..).

Auch die Selbstinszenierung des Journalismus wird oft unerträglich, wenn Interviewer plötzlich (außen)politische Bulletins selbst abgeben.

Der Online-Echtzeit Journalismus wiederum muss das Herz gleichsam unablässig im Kriegs- und Erregungsmodus schlagen lassen. Echtzeitjournalismus minimiert Reflexionskraft und infiziert damit bei Krisen oft auf höchst bedrohliche Art das politische und gesellschaftliche Leben in allen Bereichen. Die politische und gesellschaftliche Kommunikation wecshelt im Echtzeit- und 24h-Onlinejournalismus in den Lichtgeschwindigkeitsmodus. Helmut Kohl, Helmut Schmidt, Henry Kissinger, etc...haben alle höchst abwägend und behutsam auf aktuelle Ereignisse reagiert. Der Echtzeitdramaturg sagt dazu nur, weil sie schon alt sind. Entschleunigung ist jedoch ein Kriterium für Rationalität.

Modernität hieß immer auch, sich durch (Selbst)Reflexion zu immunisieren. Wer Zeitpuffer für Hochgeschwindkeitsbörsen verlangt, sollte auch über Zeitpuffer für Nachrichtenbörsen nachdenken.

Oft fällt mir auf, wie Meldungen "passend" gemacht und mit griffigen Slogans "aufgepeppt" werden - Alarmismus nennt man das.

Wenn also Helmut Schmidt "Verständnis" für das Handeln von Putin äußerte, so wird daraus gleich ein "er hat den russischen Krim-Kurs verteidigt" (Spiegel), oder "Helmut Schmidt ruiniert seinen Ruf" (FR) gemacht.

Ofts stelle ich fest, dass der oft nur zum Seiten füllen praktizierten Worthülsenjournalismus den Nachrichtenwert gegen Null werden lässt.

Die permanente und teilweise rüde Einflussnahme der politischen und wirtschaftlichen Eliten auf einen Journalisten mit freier und unabhängiger Meinung erodiert zunehmend seine Qualität. Das Verschwinden der Distanz zwischen Medien und Mächtige und Vermischung mit teilweise informellen Machtzirkeln (Think Tanks, transatlantische Clubs, etc..). Viele der nicht- oder nur teilstaatlichen teilweise sehr mächtigen Stiftungen (Bertelsmann) und Thinktanks haben häufig renommierte Journalisten in ihren exklusiven Mitgliederzirkeln.

Die dramaturgischen, im Onlinejournalismus auf die Anzahl der Klickraten zielenden Strukturen tragen zur Eskalation von Konflikt, Krise und Katastrophe bei, wie man also über die redet. Alles wird zur Nummern-Oper reduziert oder zum Quotenjournalismus.

Argumente werden oft auch nicht dadurch schlecht, weil es die falsche Partei vertritt, sondern die sachliche Rechtfertigung eines Arguments ist einzig und allein maßgebend.

Die Halsstarrigkeit und Selbstzufriedenheit, wie Journalisten zuweilen Einwände von Aussenstehenden oder Betroffenen ignorieren, ist erschütternd. Das ist der Nährboden für die Kritik als Mainstream- und Lügenpresse. Das Misstrauen gegenüber Medien ist gewachsen und ein verbreitetes Gefühl geworden.

Medien wurden im Silvester-Fall Köln anfangs auch Teil der Schweigespirale, somit kommen Bewertungen, wie Lückenpresse oder Desinformation im Staats-TV auf. Sachverhalte werden entweder verharmlost oder verstärkt, anstatt objektiv berichtet. Ich erinnere mich noch an die Inszenierung eines Pseudoskandales rund um den eh. dtsch. BP Wulff oder eineitige Berichterstattung über die Griechenlandkrise und den Ukraine-Konflikt. Journalisten haben es in der Hand, Diskurse zu steuern oder das Agenda-Setting.

In letzter Zeit müsste man gerade Mitleid mit Journalisten bekommen, sind sie doch von der Klasse der Übermenschen und Hohenpriester abgestiegen in die unterste Klasse, manche enden sogar als Parias mit dem Verdacht, die demokratische Öffentlichkeit beschädigt zu haben.

Im Schussfeld zwischen linken und rechten Kanonenkugeln stehen Journalisten allerdings auch unter Dauerbeobachtung und Internet-Watchblogs, die Indizien für das Medienversagen sammeln, machen ihnen das Leben oft schwer.

Auf http://uebermedien.de/archiv/ wird kritisiert, wie der deutsche Wirtschaftsjournalismus dem blinden Glauben an Wachstum verfiel und ihn als primäres politisches Ziel propagiert.

Mich persönlich aufgeregt hat auch, wie man das Lebensgefühl der in mediterranen Ländern lebenden Menschen am Beispiel Griechenland, eines meiner bevorzugten Urlaubsdestinationen, mit den Füßen trat. Wie man auf die vermeintlich faulen Nichtstuer herabblickte, ohne einmal sein eigenes Leben im Hamsterrad des Neoliberalismus zu hinterfragen. Vom einfachen griechischen Volk können wir Bescheidenheit und Gelassenheit lernen, das würde uns viel besser stehen. Auch über Spanien und Portugal wurde hergezogen, weil sie vom guten, neoliberal kapitalistischen Weg abkamen oder dort nie ankamen.

Es wird auch nicht berichtet, wie die Verwertungsgesellschaften die Urheber (kleinen Autoren, etc..) am Hungertuch knabbern lassen und selbst den großen Profit einstreifen. Digitalkommissar Öttinger ist ihr neues Sprachrohr mit dem neuen realitätsfremden Entwurf zum Leistungsschutzrecht. Die Verteilung der Profite ist wenn auch gesetzlich geregelt trotzdem eine Black Box bei den Verwertungsgesellschaften.

Flüchtlingsdebatte:

Die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise, das wäre eine eigene hier zu lang werdende Geschichte. Hier wurden Journalisten zu Akteuren.„Willkommensjournalismus“ wird den Medien vorgeworfen. Unkritisch, überemotional und regierungsnah sollen sie vor einem Jahr über die Zuwanderung berichtet haben. Rabiate Denkverbote, Durchsetzung fragwürdiger Sprachkonventionen, Umwandlung politischer Fragen in moralische Bekenntnisse, aggressive Ausgrenzung von Abweichlern und ein nicht unterscheiden können zwischen Ideal-und Realpolitik. Merkel hat mit ihrer "Willkommenspolitik" die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland und auf europ. Ebene und das BREXIT mitverursacht und wurde dabei von Medien oft lange begleitet zumindest bis zur Kölner Nacht.

Ich beobachte auch Menschen, die das Geschriebene in Zeitungen bis zum Beweis des Gegenteils zunächst einmal für wahr halten, als könnte die Schrift mehr Wahrheit als die gesprochenen Worte beanspruchen. Den Nonsense, den man oft auf Gesundheitsbeilagen liest, ist himmelschreiend und permanent widersprechend.

Die Auflagen der Tageszeitungen und Magazine sind weiter im Sinkflug, Entlassungen von Journalisten, Abbau der Fixanstellungen, prekäre Werkverträge und zugleich aber auch neue Anforderungen durch die Digitalisierung und die Forderung nach intensivem Dialog mit dem oft lästigen Leser führen zu einer Verdichtung der Arbeit bei vielerorts verschlechtertem Einkommen. Und die Beschleunigung des noch dazu crossmedial gewordenen Nachrichtengeschäfts in harter Aufmerksamkeits - Konkurrenz erleichtert dem Journalisten auch nicht gerade das Nachdenken und das tägliche Abliefern von Qualitätsjournalismus.

Auch bei kritischer Sichtweise sind als Quelle verlässlicher Nachrichten sind Zeitungen und Zeitschriften durch Blogs jedoch auch nicht zu ersetzen.

Wenn man die Zeit findet, ist Mediawatching mit Hilfe des eigenen Hausverstand etwas gefiltert in meinen Augen noch der beste Weg, der Wahrheit etwas näher heranzukommen.

Die Informationsflüsse auf sozialen Netzwerken haben es den Medien auch schwer gemacht, sich daneben noch zu behaupten, sodass Medien schon zu "instant articles" auf Facebook übergegangen sind, auch wenn die Monetarisierung problematisch erscheint.

Was viele Journalisten immer noch nicht wahrhaben wollen, ihre Lehrstuhlposition als "Gatekeeper" (Schleusenwärter der Informationsflüsse) zugunsten eines eher dialogischen Verhältnisses zum Leser haben sie längst verloren. Das Dialogische mit dem Leser fällt allerdings immer noch schwer und man setzt sich kaum mit sachlichen Postings auseinander und wirft sie auf einen Haufen mit den Trollen.

Das Problem ist auch das richtige "Agendasetting" und Einordenen von Informationen in einen größeren Kontext. Wie Plaziere und gewichte ich Nachrichten, welche Prioritäten setze ich. Welcher Netzwerke bediene ich mich bei Gastbeiträgen. Journalistische Selektion wird natürlich sehr wohl von der subjektiven Weltanschauung des Journalisten beeinflusst.

Mainstreamjournalismus und Herdenkonformismus (auch schön beobachtbar , wenn man sich als Follower die Journalistencommunity auf Twitter herholt):

Eines meiner Hauptkritikpunkte an deutschen Medien. Es geht dabei um eine bemerkenswerte Homogenität nicht bloss in der Kommentierung, sondern auch in der Kontextuierung und Deutung der Ereignisse, als würde der eine vom anderen abschreiben. Hier liegt in der Tat eine erhebliche Schwäche deutscher Medien vor. Sichtweisen werden als ultimative Wahrheiten dargestellt, viele bleibt unhinterfragt. Auch wird zuviel durchgeschleußter Agenturjournalismus oft angeboten.

"Unser journalistisches Personal ist zu einheitlich sozialisiert. Die Milieus sind zu ähnlich", sagt dazu ZEIT - Chefredaktor Giovanni de Lorenzo.

Konformistische Berichterstattung, eklatante Wirklichkeitsverfehlung - das war der Fall bei der Einführung des Euro, bei der Erweiterung des Schengenraums und bei Ausbruch der Finanzkrise 2007/08. Unkritische Begeisterung für die gute europäische Sache und zu viel Vertrauen in die Akteure des Finanzgeschäfts und der Politik waren ungeeignet, um Probleme und Risiken rechtzeitig zu identifizieren. Die Arroganz der Eliten ist ein beliebtes Wort von mir.

Auch der Gefallen an Gefälligkeiten, wenn es um politische Begehrlichkeiten seitens der Politiker geht, kann nicht ausgeschlossen werden. Auch "Unternehmen können heute in einem Ausmass redaktionelle Berichterstattung kaufen, wie das früher undenkbar war". Dazu schrieb die Onlineplattform meedia.de im Dezember mehrere Artikel (Beispiel Windkraftindustrie kauft sich Medien).

"Alpha-Journalisten":

Die älteren Printjournalisten - ich bezeichne sie bösartig oft als "Printdinosaurier" - müssen oft auch unter die "gefallsüchtigen Menschen" eingeordnet werden, mir würden sofort einige Namen dazu einfallen, will aber keinen persönlich verletzen.

Mainstreampresse, seltener Lügenpresse, aber auch Lückenpresse, Pinocchiopresse und vieles mehr ließe sich bei vielen Themen für jeden Interessierten belegen, wenn man sich die Mühe machte und auch nichtdeutsche Presse liest.

Mir geht es nicht darum, den Journalismus zu vernaderen, sondern mit Beispielen dazu aufzufordern, beim Konsum von Journalismus den eigenen Hausverstand und die eigene Kritikfähigkeit nie außer Acht zu lassen.

Im Zuge der digitalen Transformation hat der Journalismus bis dato noch kein Geschäftsmodell gefunden, mit dem man die Monetarisierung des Journalismus für die Zukunft absichern könnte. Die Folge sind drastische Sparmaßnahmen verbunden mit Qualitätsverlust. Ein Ausweg wäre in meinen Augen eine Produktdifferenzierungstrategie in journalismusfremde Produkte zu nützen (die Kleine Zeitung hat es mit der willhaben.at Plattform gemacht), um den nicht mehr monetarisierbaren Onlinejournalismus damit Querzufinanzieren. Das wertevolle Abokunden-Potential sollte genutzt werden. Journalisten fürchten sich jedoch vor der Schande, einen "Bauchladen" umgehängt zu bekommen.

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@Coronagierung

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Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 21.09.2016 13:51:44

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