Seit Sonntag ist es Gewissheit: Angela Merkel tritt für eine vierte Amtszeit an. Diese Ankündigung ist beruhigend und erschreckend zugleich. Erschreckend, weil der Reformstau in Deutschland im Fall ihrer Wiederwahl nur größer würde. Merkel hat bisher schon alle großen Entscheidungen delegiert - die "Reform des Sozialsystems" an nachfolgende Generationen, unsere "innere Sicherheit" an den Türsteher Erdogan, die "Euro-Rettung" an den Gelddrucker Draghi. Und für eine "Bildungsoffensive", die wieder Schulen und nicht Banken zu Kathedralen der Moderne macht, besitzt sie keinen Plan. Sie hat mit ihrer Gesinnungsethik einer "Willkommenskulturpolitik" großen, realpolitischen Schaden angerichtet, indem sie die (europäische) Gesellschaft gespalten und damit auch einen Beitrag zum unerwünschten BREXIT-Ausgang geleistet hat. Überdies hat sie sich in undemokratischer Weise gegen den Willen der großen Mehrheit des Volkes für TTIP stark gemacht und sich damit zu einer Verbündeten der Lobbyisten gemacht.
Dennoch hätte ein Abdanken Merkels zum jetzigen Zeitpunkt wie Fahnenflucht gewirkt inmitten eines politischen Weltbebens, das die tektonischen Platten in Russland, in Nahost, der Türkei und schließlich auch in Amerika in Schwingung versetzen würde. Sie kann die Schwingungen der anderen zwar nicht verhindern, aber dämpfen. Sie kann den Hitzköpfen das Eruptive nicht austreiben, aber sie ist die letzte Sicherung, wenn alle anderen durchbrennen. Das verdankt sie ihrem Heiligenschein, den sie sich offensichtlich auch erworben hat.
Machen sich Erdogan, Putin, Trump, die Chinesen und die Ajatollahs in Teheran tatsächlich daran, die Welt zu verändern, hat man eine wie sie trotzdem noch gern am Tisch. Die anderen peitschen auf, sie beruhigt. Sie ist unter den Mächtigen die letzte Moderate, sie strahlt Gelassenheit aus und wurde dafür kürzlich auch in der New York Times gelobt.
In einer Welt, in der düstere Wolken aus aller Herren Länder den Himmel verdunkelt haben, bietet ihr Temperament keine Garantie, aber Trost. Merkel weiß um ihre Ohnmacht, wenn es zu den letzten Entscheidungen von Krieg oder Frieden kommt. Das helle Licht der Hoffnung kann ein deutscher Kanzler nicht sein. Aber Merkel ist zumindest die Kerze, die Zuversicht spendet.
Alle anderen großen Gefühle - wie Sehnsucht nach Aufbruch, nach Reform im Inneren und nach mehr Demokratie und ökonomischer Effizienz in Europa - müssen jetzt warten, wissend, dass diese unterdrückten Sehnsüchte später umso heftiger auf das Land zurückwirken werden. Unser Sicherheitsgefühl von heute bezahlen wir mit der gesellschaftlichen Unruhe von morgen.
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