„Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Menschen!“, erklärte Napoleon seinem Gegenspieler Metternich 1813. Die mehr als zwanzig Jahre andauernden Kriege in Europa waren für Metternich ein Zusammenbruch der Zivilisation. Metternichs Friedensordnung von 1815 kann nur vor diesem Hintergrund begriffen werden. Das gilt sogar für seine repressiven Maßnahmen gegen jeden drohenden gesellschaftlichen Aufstand, so die Sicht des em.Prof. Wolfang Siemann UNI München. Er stieß in Prag durch Zufall auf den unentdeckten Nachlass Metternichs mit tausenden Briefen und Dokumenten. Dies führte zu neuen Erkenntnissen über ihn.
Ohne Gleichgewicht der Kräfte kein dauerhafter Friede, das gilt auch heute genauso in einer sich von einer bipolar zu einer multipolar geänderten Welt seit dem Fall der Berliner Mauer und des Erstarkens Chinas. Mit allen Mitteln, Zensur und einem polizeilichem Spitzelsystem wollte er die Ordnung der Monarchie erhalten und damit auch den Frieden im Vielvölkerstaat. Metternich galt als Verkörperung antiliberaler und antinationaler Kräfte im Staat. Metternichs diplomatische Kunst des Ausgleichs feierte in der EU eine unerkannte Auferstehung.
Die Finanzkrise, Flüchtlingskrise und Ukrainekrise erschütterte und destabilisierte die EU jedoch von neuem. Aktive Politiker haben heute leide keine Zeit mehr, Bücher zu lesen, was nicht unbedingt ein Vorteil ist. Metternich wusste von Anfang an, dass er in einer Zeit des Umbruchs lebte, und er versuchte damit pragmatisch umzugehen. Das Metternich sein geistig aristokratisches Koordinatensystem nicht einfach so austauschen konnte, muss man zur Kenntnis nehmen. Im Gegensatz zu Napoleon wollte Metternich auf jeden Fall keine Menschen auf den Schlachtfeldern sterben sehen.
Der Aristokrat Metternich (1773-1859) war österr. Diplomat und Außenminister im Dienste der österr. Monarchie im Zeitalter des Absolutismus ("Ancien Regime" ). Es galt, einen Vielvölkerstaat zusammenzuhalten, weshalb keine Nation zu stark werden durfte.
Diese "Gleichgewicht der Kräfte-Politik" veranlasste auch Kissinger, Metternicht zum Vorbild in Sachen Diplomatie auszuerwählen. Nach den napoleonischen Kriegen erfolgte auf dem "Wiener Kongress" 1814 eine Neuordnung Europas, sein Dompteur war Metternich. ZU den Großmächten zählten damals Preußen (Kaiser Willhelm III) und Österreich (Kaiser Franz I - zusammen gründeten sie den "Deutschen Bund" ),dann Russland (Zar Alexander) England (Außenminister Castlereagh) und Frankreich (Talleyrand) gegenüber. Österreich sollte zur entscheidenden Macht in Europa werden . Metternich war medial als Restaurator der schon morschen Monarchie verschrien in der Biedermeierzeit.
Zur Erhaltung des Völkerfriedens bekämpfte er die nationalistischen und liberalen Bewegungen. Im Vormärz 1948 kam es ja zur liberalen März-Revolution des Volkes und Metternich musste nach England flüchten. Das liberale Bürgertum und damals auch die Burschenschaftler zündelten die Vormärzrevolution - gegen die Monarchie gerichtet - an (Kotzbue-Ermordung). Die Tätigkeit der Burschenschaften war ja verboten, die Freiheit von Presse und Universitäten massiv eingeschränkt und die Verfassungsdiskussion zunächst beendet. Im Zuge der liberalen Märzrevolution in Österreich und den meisten anderen Staaten des "Deutschen Bundes" (Deutsche Revolution 1848/1849) sowie weiterer europäischer Fürstentümer gelang es der revolutionären Bewegung in Wien, Metternich am 13. März 1848 zum Rücktritt und zum Verlassen des Landes zu zwingen. Er floh nach London, kehrte aber 1851 nach Wien zurück. Bis zu seinem Tode beriet er die österreichische Regierung unter Kaiser Franz Joseph I. Seine letzte Ruhestätte befindet sich in Böhmen auf seinem Gut, ein ehemaliges Zisterzienserkloster in Plasy nördlich von Pilsen.
Der em.Prof. Wolfang Siemann UNI München stieß in Prag durch Zufall auf den unentdeckten Nachlass Metternichs mit tausenden Briefen und Dokumenten, worüber er ein neues Buch "Metternich - Stratege und Visionär" schrieb.
Wieweit seine neuen Erkenntnisse auch Schönfärberei sind, kann ich nicht beurteilen:
o Metternich sicherte Österreichs Macht in Deutschland, Italien und Osteuropa ab, etablierte die glanzvollste Zeit des Habsburgerreichs, das nach ihm nur mehr an Glanz und Bedeutung verlor.
o Metternich war ein Freund des englischen Parlamentarismus und studierte ihn.
o Er war auch damals schon frühindustrieller Unternehmer mit Eisenhochöfen (Kapitalist) in Westböhmen, die er besaß.
o Er war ein Anhänger des Freihandels, wurde jedoch vom Kaiser zurückgepfiffen (Thema "Deutsche Zollunion" )
o Toleranzpolitiker gegenüber Ausländern
o Er war ein "Gesinnungs-Pazifist. KRIEG ist "keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern gescheiterte Politik".
o Er trat für die politische Emanzipation der Frau ein
o Der Metternich'sche Polizeistaat sollte dem Schutz vor Attentaten dienen, das Spitzelsystem lernte er von Napoleon.
o Metternich war ein Europäer im Herzen
o Dass er die Liberalen und Freisinnigen wirklich so hasste, sei ein falsches Diktum der unter Zensur gestandenen Medien gewesen
o Er hat auch in die Verfassung die Klausel gebracht, dass kein Herrscher ohne Parlamentsmehrheit die Verfassung beseitigen dürfe.
Er verehrte die englische Verfassung, sei daher nicht nur ein Restitutionspolitiker gewesen.
o Metternich konnte auch vieles nicht durchsetzen, weil es der Kaiser nicht wollte. Überdies seien die Kaiserbilder von unseren Urgroßeltern viel zu sehr glorifiziert worden (Kaiser Franz Joseph I Mythos - von 1848 bis zu seinem Tod im Jahr 1916 war er Kaiser von Österreich. Mit nahezu 68 Jahren übertraf er jeden anderen Regenten seiner Dynastie)
o Keine Nation durfte nach Metternich die Oberhand im Vielvölkerstaat gewinnen, nur so könne der Frieden gesichert werden und dafür müsse der Kaiser sorgen.!
o Was heutige Politiker im GGs. zu Metternich nicht haben:
Er fuhr mit der Kutsche als mobiler Staatskanzler quer durch Europa, war ein selbstreflektierender Mensch und konnte in historischen Zusammenhängen kontextual denken. Er wollte mit der Rettung des morschen Habsburgerreiches den Frieden innerhalb der Nationalitäten retten, indem der Kaiser darüberstand.
Obwohl ich ansonsten kein Freund der Aristokratie bin, muss man Metternichs diplomatische Fähigkeiten anerkennen und Henry Kissinger hat viel von ihm gelernt und über ihn sogar eine Arbeit geschrieben. Das überall auch Schönfärberei dahinterstecken könnte, will ich hier nicht beurteilen.
Metternich-Zitat:
"In meinem ganzen Leben habe ich nur zehn oder zwölf Menschen gekannt, mit denen zu sprechen eine Freude war. Sie hielten sich an das Thema, wiederholten sich nicht, sprachen nicht von sich selbst, hörten nicht auf die eigenen Worte, waren zu gebildet um sich in Gemeinplätze zu verlieren und hatten genügend Takt und guten Geschmack, nicht die eigene Person über das Thema zu stellen".
Henry Kissinger (Professor für Politikwissenschaft in Harvard, 1969 Sicherheitsberater und 1973-1977 Außenminister Nixons, er fädelte Nixons Chinabesuch ein) reflektiert in seinem neuen Buch "WELTUNORDNUNG" . Er galt als Motor der Entspannungspolitik im Kalten Krieg und schuf die diplomatischen Voraussetzungen für einen Rückzug aus Vietnam und einer Friedensregelung im Nahost, die leider nicht auf Dauer hielt. 1973 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Seine dreibändigen Erinnerungen und China (2011) waren internationale Bestseller.
Als Leitmotiv seiner Arbeit kann das Stichwort "Westfälisches System" gelten - benannt nach den 1648 in Münster und Osnabrück geschlossenen Friedensverträgen nach dem 30-jährigen Krieg in Europa. Kissinger kommt immer wieder darauf zurück, dass in unserer Zeit eine Friedensordnung - wie 1648 - nur durch Regeln, wie:
1) Die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten
2) Die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Souveränität der Staaten
3) Die Förderung des internationalen Rechts.
Überdies hat er sich intensiv mit dem dank Metternich hundertjährigem Frieden nach den Napoleonischen Kriegen in Europa beschäftigt und darüber ein Buch geschrieben.
Kissinger war immer Realpolitiker, es habe aber auch viele US-Präsidenten mit moralisch-idealpolitischen Vorstellungen gegeben. Im Buch "World Order" empfiehlt er jedoch, einen Mittelweg zwischen "Realpolitik" und "Idealpolitik" zu finden, wie auch am Beispiel der europäischen Flüchtlingskrise, ein Mittelweg zwischen Flüchtlingsstop und Willkommenskultur.
Aus "Weltordnung" S.89:
Der aufkeimende Nationalismus brachte die Welt des 19.Jh. langsam in Unordnung, daher waren die Leitsterne Metternich'scher Politik:
"Wo alles wankt, ist vor allem nötig, dass irgendetwas beharre, wo das Suchende sich anschließen, das Verirrte seine Zuflucht finden kann".
Pluralismus ja, aber eingebettet in eine Ordnung. Metternich hielt die Überzeugung der Revolutionäre, wonach alles Vorstellbare auch möglich sei, für Illusion.