Ein paar Kostproben von Interpreten des internationalen Jazzfestivals Montreux/Schweiz mit "Schwankungen im Tempo":
Lan Del Rey - "Ultraviolence" und "Blue Jeans"
....eine neue Tonalität, vor allem ein neues Tempo und ein verführerisches Verzögern...
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Das Kongresszentrum in Montreux ist ein komplexer Bau mit vielen Sälen und Hallen, worin verschiedenen Programme sozusagen hierarchisiert werden. Ganz unten im «Rock Cave» finden in lockerer Keller-Atmosphäre Gratiskonzerte statt, etwa:
The K. aus Brüssel etwa, die unter dem Motto «pur et dur» den Hardcore der neunziger Jahre aufleben liessen.
Und DeWolff aus den Niederlanden stürzte in die Hardrock-Tradition.
Im «Jazz Café» fanden zur gleichen Stunde Jam-Sessions für ambitionierte Nobodys statt, die dereinst ihren Enkeln von ihren Montreux-Abenteuern vorschwärmen dürften.
Die amerikanische Sängerin Cécile McLorin Salvant, ein neuer Star am Jazz-Himmel, brillierte am Donnerstag mit ihrem Quartett, ungemein frisch und fröhlich.
Die Shooting-Stars und Trendsetter des Pop aber werden in Montreux vorab im sogenannten «Jazz Lab» präsentiert. Dort bezauberte die Sängerin Grimes mit ihrem atemlosen Bubblegum-Techno, über den sie mit Helium-hoher Mickey-Mouse-Stimme quirlige Strophen anstimmte. Tempo, Tempo war ihre Devise. Und wenn sie auf ihrer elektronischen Gerätschaft herumfingerte, Songs trällerte, mit ihren Tänzerinnen mittanzte, vor Videokameras posierte und ihr blond gefärbtes Haar leuchten, ihr Lächeln strahlen liess, suchte sie mit solch glamouröser Synchronie vielleicht die Zeit zu übertölpeln, um jung und schön zu bleiben.
Zurück zu Lana Del Rey, die Amerikanerin hat es ja ausgerechnet mit ihrem desillusionierenden Pop ganz nach oben – und in Montreux mithin eben ins ausverkaufte Auditorium Stravinski – geschafft. Schon die schleppenden Beats – live oft von gestrichenem Kontrabass oder Surf-Gitarre-Tremolos getragen – schienen sich gegen jede Art von Aufbruch und Optimismus zu stemmen, erst recht aber die melancholisch-phlegmatischen Melodien. Del Reys Gesang ertönte bald in hypnotischem Alt, bald in engelhaft flötendem Sopran; stets wirkte sie dabei souverän, wenn sie mit Hits wie «Video Games» oder «Born to Die» den typischen Zeitlupen-Tonfall vorgab.
, so sorgten Stücke in luftigeren Elektro-Arrangements wie «High by the Beach» oder in federnden R'n'B-Anklängen wie «Serial Killer» für Abwechslung. Und während sie das Publikum so also mit üppigen Sounds betörte, denen oft melodramatische Streicher beigemischt wurden, so ernüchterte sie es auch wieder mit ihren Strophen von verjährter Jugend, verdorbener Liebe, prekärer Zweisamkeit, verlebten Männern.
Tatsächlich singt Lana Del Rey fast obsessiv von reifen Liebhabern, die sie vielleicht an den Vater, an die Kindheit erinnern . . . Ein Neil Young aber passte kaum in ihr Beuteschema. Er wäre ihr zu optimistisch, zu idealistisch, volle drei Stunden dauerte sein Auftritt. Ein überbordendes Menu kochte er dem Publikum im ausverkauften Auditorium Stravinski; er offerierte nicht nur stilistisch verschiedene Gänge, sondern auch theatralische Einlagen.
Heart of Gold:
Gleich zu Beginn stapften zwei Bäuerinnen über die Bühne, um scheinbar Saatgut zu streuen. Dann erst setzte sich der knorrige Kanadier ans Klavier, um vom Rand der Rampe gleich ins Zentrum seines Schaffens zu steigen. Mit «After the Goldrush» bescherte er den Fans einen ersten Hit – um darauf, zur akustischen Gitarre wechselnd, gleich seinen grössten folgen zu lassen: «Heart of Gold».
Als sich Neil Young wenig später vor einem Orgel-Ungetüm niederliess und «Mother Earth» zum Besten gab, setzte es einen ersten, eigenartigen Höhepunkt. Einerseits wirkte es freilich etwas lustig, wenn sich Neil Young als Pfarrer Sieber des Rock'n'Roll in pastorale Hitze steigerte. Dabei konnte er den Eindruck eines Provinz-Propheten auch kaum durch Selbstironie brechen – solche ist ihm höchstens in homöopathischen Massen gegeben. Hingegen bewies er die Grösse, eine gewisse Lächerlichkeit mit Würde zu ertragen, um die naive Wucht seines Engagements ungebremst in die Musik zu pumpen.
Für Ironie sorgten dafür Froschmänner in weissen Schutzanzügen, die plötzlich auf die Bühne stürmten, um scheinbar giftigen Rauch zu versprühen: eine Anspielung auf die Gentechnik von Monsanto, die Young eifrig bekämpft.
Nach dem Solo-Auftakt wurde der 70-Jährige für den Rest des Auftritts von Promise of the Real begleitet – einer Band um die Willie-Nelson-Söhne Micah und Lukas, die das Repertoire mit Können und Leidenschaft präsentierte.
In «Word (Between the Lines of Age)» generierten Sänger und Band eine raue, massive Klangdichte, in die sich Youngs fiebrige Fistelstimme gleichsam einbrannte. Diese magische Intensität wiederholte sich auch in «Alabama».
In «Love to Burn» versuchte man sie später durch lange Instrumental-Passagen nochmals heraufzubeschwören.
Protestsong «Monsanto»:
Als Neil Young er schliesslich «Rocking in the Free World» (welche Welt meint er eigentlich?) anstimmte, liessen sich die Fans nochmals begeistern. In der Masse erblickte man gesetzte Männer, die ihre Fäuste schwangen im Takt des guten alten Rock'n'Roll.
Montreux verwandelte sich trotz differenzierter Programmen in eine einzige riesige Party.
Auch Carlos Santana brachte im vollen Auditorium Stravinski mit seinem energetischen Latin-Rock und Heulern wie «Maria Maria» zum Schwelgen und Tanzen.
Im «Jazz Lab» der Brite Four Tet ein raffiniertes Techno-DJ-Set hin.
Und wenn man dann musikalisch solcherart gepusht und gepeitscht spätnachts aus dem Kongresszentrum schwankte, fuhren einem gleich auch noch die Funk-Beats von Monstroplantes in die Beine. Mit furiosem Rap-Crossover blies die Lyoner Brassband im Park dem Festival den Kehraus.