Buchautor, Soziologe UNI-Graz, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Harrican Katrina-Opfer während einer Gastprofessur in New Orleans (Aussprache = No:lins) Manfred Prisching spricht in OE1 über den unwiederbringlichen Verlust der Normalität in einer fragiler werdenden Gesellschaft und über die Soziologie der Selbstüberschätzung:
14.05 Gedanken: http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand
"Obwohl klar ist, dass die meisten Menschen absolut durchschnittlich sind, würde trotzdem niemand freimütig bekennen, ein "ganz normaler Mensch" mit ganz normalen Macken und Mucken zu sein." In seinem jüngsten Buch "Verrückt, verspielt, verschroben" hat Prischings in kurzen Essays seine Beobachtungen über die spätmoderne Gesellschaft zusammengefasst.
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Insgesamt handelt es sich bei all den Beispielen immer um Verhaltensmuster des "außerordentlich sein wollens", dazu gehört die Selbstinszenierung und der Bluff.
Der Embryo wird schon mit Mozart beschallt, die Kinder werden mit Lern-Aktivitäten schon im Kindergarten überfrachtet - der Optimierungswahn. Die Erziehung zum optimierten Selbstvertrauen hat auch Grenzen, wenn meine Persönlichkeit sonst nichts zu bieten hat. Das Selbstbewusstsein muss auch mit Substanz gefüllt sein. Helocoptereltern bieten ihren Kindern eine verzerrte Welt.
Das Normalmaß zählt nicht mehr, nicht die normale Leistung, sondern nur "the winner takes it all" - die am 4.Plazierten sind für die Werbeindustrie schon uninteressant, obwohl auch ihre Leistungen außerordentlich waren. Man muss überall ganz vorne dabei sein. Das Normalmaß wird nicht mehr gewürdigt, alle müssen so tun, als wären sie exzellent. Zertifikatewahn geht auch in diese Richtung. Jeder will Häuptling werden, keiner Indianer bleiben. Überbietungsszenarien ist das Merkmal der "Spätmoderne".
Immer über dem Normalmaß liegen zu wollen sind Mechanismen, die nur zu Enttäuschung, Unzufriedenheit und Angst führen können.
Ein Merkmal des neoliberalen Wertesystems.
Museen kündigen nur mehr sensationelle Ausstellung an, Reiseveranstalter locken mit immer exotischeren Destinationen und dem ultimativen Kick, Fernsehanstalten küren in Castingshows die "Weltstars" von morgen, nur der Gewinner zählt, etc.
Ich bestücke mich mit Konsum, um dem anderen zu signalisiern, wer ich bin (Konsumgesellschaft, "shopping ergo sum"), Designermode, Markenartikel, etc.
Prisching rät daher zu einer Rückbesinnung auf alte Werte wie Respekt, Toleranz, oder das rechte Maß. Denn auf die Normalität kann man im "Normalfall" bauen. "Werte und Normen sind wie ein Baldachin, der eine Gesellschaft zusammenhält." Die Rückkehr Prischings nach dem Hurrican Katrina war eine glückliche Rückkehr wieder in die normale Welt.
Viele Menschen versuchen ihre Identität zu einer "außerordentlichen" zu entwickeln. Facebook und Twitter seien zur öffentlichen Bühne der Selbstdarsteller geworden, es lebe der Narzissmus - 200 Freunden wird mitgeteilt, dass ich gerade eine Wurstsemmel esse. Narzissmus bedeutet, ich bin das Zentrum der Welt und der Community oft begleitet von Egoismus und Rücksichtslosigkeit. ICH-Fokussierung verhindert Empathie.
o Was ist ein normaler Lebenslauf?
Normalität ist nicht mehr erstrebenswert. Sie wird gleichgesetzt mit Mittelmäßigkeit und als Sphäre der Versager verachtet. Alles, was nicht überboten wird, ist misslungen. Alles, was gelingt, muss überboten werden. Was früher nur im Sport galt, wird jetzt ganz allgemein zur Maxime. Auch der Körper wird nicht mehr hingenommen, so, wie er ist. Er muss verbessert werden. Mit der richtigen Ernährung, Anti-Aging-Programmen und allenfalls sogar durch Schönheits-Chirurgie (die Falten weg, der Busen größer, der Hintern kleiner).
Happiness = ich muss immer glücklich dreinschauen, sonst bin ich auch schon wieder ein Verleier, aus dem Rennen. Wer gut blufft - auch das wird heute als Leistung, sich gut verkaufen, Selbstinszenierung.
o Gibt es noch das Normalarbeitsverhältnis?
Die Welt der Prekariate wurde kaum angesprochen.
o Was ist in den Geschlechterverhältnissen noch normal?
50% Scheidungen, Ehen werden instabil - die Frau muss im Job bleiben.
o Was dürfen wir bei kulturell fernen Immigranten als Normalität akzeptieren?
o Und wo müssen wir auf unseren Werten beharren?
Die Freiheit kann auch zur Bürde werden, wie schon Sartre sagte.
Ein ganz normales Leben kann auch spannend sein, man kann sichs dabei gut einrichten.