SPÖ/ÖVP-Krise, was erwartet Kern. Der Staat ist kein Unternehmen.

Der Staat ist kein Unternehmen und der Regierungschef kein CEO. Kern hat die ÖBB insgesamt erfolgreich geführt. Er hat das Staatsunternehmen in die Gewinnzone gebracht, wobei er die Interessen der Politik und der Sozialpartner geschickt austarierte.

Ein Kanzler besitzt in Österreich nicht die Entscheidungsgewalt eines CEO. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt er nicht einmal über eine "Richtlinienkompetenz", die Grundlinien der Regierungstätigkeit vorzugeben. Auch Kanzler Kern kann nichts ohne ÖVP unternehmen.

Kern muss sich gegen die Widerstände der "Schattenregierung" aus 6 Sozialpartnern und 9 Landesfürsten durchzusetzen. SPÖ und ÖVP waren vornehmlich damit „beschäftigt, Einflussbereiche und Besitzstände ihrer Klientel durch Reformverweigerung zu sichern.

Obwohl Österreich in Europa noch immer gut dasteht, aber in internationalen Rankings zurückfällt, ist dringlicher Handlungsbedarf gegeben, um die Zukunft zu sichern:

o schwaches Wirtschaftswachstum

o rapid steigende Arbeitslosigkeit, Verdoppelung auf rd. 500.000 in den letzten Jahren

o digitale Transformation killt 40% bis 50% klassicher Arbeitsplätze in den nächsten Jahren, wie geht man damit um (Industrie 4.0)

o Verschlechterung der Standortqualität und im int. Wettbewerbsranking

o Investitionsabwanderungen

o zu hohe Steuerquote über 43%

o schwerfällig gewordener Staat, er muss schlanker werden

o überfällige Föderalismusreform (9 Landtage und Bundesrat, ein Luxus)

o überfällige Verwaltungsreform (Strukturen aus der Monarchie),

o Pensionsreform

o Abstieg des Mittelstandes und zunehmende Arm/Reich-Spreitzung

o Entlastung der Leistungseinkommen durch Institutionenreform (=Einsparung ausgabenseitig) und Vermögensbesteuerung, wir sind beinahe OECD-Schlußlicht

o die letzte große Steuerreform 2015/16 war trotzdem keine Systemreform

Die Probleme der SPÖ liegt in innerparteilicher links/rechts - Uneinigkeit:

o in der Flüchtlingspolitik

o im Verhältnis zur FPÖ

o fehlender Gestaltungswille und Vorrang für Joberhalt und Machterhalt politischer Netzwerke

o Die Sozialdemokratie hat keine Antworten auf die digitale Transformation und den Neoliberalismus gefunden. Ihre Aufgabe wäre es, sich um die Prekariate und Unterschichten zu kümmern und nicht selbst Teil des Systems geworden zu sein , das man eigentlich bekämpfen sollte.

o Identifikationsprobleme, weil die Proletarier von einstens selbst Kleinbürger und Hausbesitzer geworden sind

o den Abstiegsängsten des Mittelstandes auch durch steuerpolitische Maßnahmen entgegenwirken

o nicht den Populisten hinterherhecheln

o es fehlt eine starke, europäische Linke als Gegengewicht zum Primat der Konzerne und des Ökonomismus und Finanzkapitalismus

o eine klare sozialdemokratische Wirtschaftpolitik - wie will Kern seinen proklamierten "New Deal", falls er das keynsianisch meint, finanzieren?

o Fragen der Verteilungsgerechtigkeit scheinen in der SPÖ überhaupt verstummt zu sein

o die SPÖ hat auch zunehmend ihre Tuchfühlung zum Volk verloren, eine abgehobene Funktionärspartei, mutlose Funktionäre die nichts Neues wagen

o sie hat es nicht verstanden, aus der Finanzkrise politisches Kapital zu schlagen

o Victor Adler stand für Verbesserung der sozialen Lager, Kreisky für Modernisierung, kostenlosen Bildungszugang und Aufbrechen verstaubter Strukturen.

Wofür steht jetzt die SPÖ 2016???

19 Wahlniederlagen der SPÖ der letzten 8 Jahre, die bitterste zueltz die Präsidentschaftswahlen für ÖVP und SPÖ.

Die Probleme der ÖVP:

Üppigen Förderungen für Bauern und Gewerbetreibende oder Deregulierung der Gewerbeordnung geht, da erlischt der Reformelan rasch, wenn es um ihre eigene Klientel geht und die Bündestruktur. Überdies steht die ÖVP unter starken Bundesländereinfluss. Eine Reform des verkrusteten Föderalismus gegen die Interessen der Königreiche der Landesfürsten wird sich schwierig gestalten.

Resume:

Österreich besitzt immer noch genug Substanz an guten Unternehmen, motivierten Menschen und fähigen Köpfen. Wenn Schritte in die richtige Richtung gemacht werden, könnten wir wieder mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken. Jemand sollte sich auch für die Prekariate, Startups und ICH-AG's zuständig fühlen. Völlig entgleist ist in meinen Augen die Bildungspolitik, Hauptschuldiger ist in meinen Augen das BiFie. Die Schulen müssen wieder ihre Autonomie zurückgewinnen.

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Die DW berichtet über Deutschland ähnliche Probleme:

http://www.dw.com/de/spd-oder-was-ist-eine-volkspartei/a-19263176

Miserable Umfragewerte, kein Kanzlerkandidat - die Krise der Sozialdemokraten spitzt sich zu. Aber auch Merkels CDU steht unter Druck. Eine Entwicklung, die man außerhalb Deutschlands in Österreich, Frankreich, etc.. schon länger kennt.

Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler tritt zurück, weil der Kandidat seiner Partei bei der Präsidentschaftswahl weit abgeschlagen hinter dem Mann vom rechten Rand landet. Ein solches Szenario wäre in Deutschland schon deshalb undenkbar, weil das Staatsoberhaupt nicht direkt vom Volk gewählt wird. Und dennoch lassen sich an manchen Punkten Parallelen entdecken, die mit der (partei)politischen Entwicklung insgesamt zu tun haben. Denn in beiden Ländern verlieren Sozialdemokraten und Konservative spürbar an Zustimmung.

Der Trend ist in manchen europäischen Ländern schon länger zu beobachten, während er in Deutschland noch vergleichsweise neu ist. In Österreich mischt die Freiheitliche Partei (FPÖ) seit der Jahrtausendwende kräftig mit. Ähnliches gilt für den Front National (FN) in Frankreich. Dessen ehemalige Gallionsfigur Jean-Marie Le Pen landete bereits bei der Präsidentschaftswahl 2002 vor dem Kandidaten der Sozialisten (PS), Lionel Jospin. Und die FPÖ hatte es zwei Jahre vorher sogar ins Kabinett geschafft - an der Seite des Kanzlers Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Ein Tabubruch, den die Europäische Union (EU) mit mehrmonatigen Sanktionen auf diplomatischer Ebene bestrafte.

Die Alternative für Deutschland (AfD) räumt bei Landtagswahlen kräftig ab und sonnt sich mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 in zweistelligen Ergebnis-Prognosen. Der Abstand zur SPD wird mit jeder Umfrage geringer.

--------späterer Nachtrag: Regierungserklärung Kerns---------

Regierungserklärung von Bundeskanzler Mag. Christian Kern

Christian Kern·Donnerstag, 19. Mai 2016

Die Rede von Bundeskanzler Kern vor dem Plenum des Nationalrates am 19.5.2016

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Frau Präsidentin des Nationalrates, sehr geehrte Vertreter des hohen Hauses!

Ich möchte die Gelegenheit nützen und Ihnen in den nächsten Minuten erklären, was mein Politikverständnis ist und wohin ich glaube, dass wir gemeinsam unser Land führen müssen. Ich habe in den vergangenen Tagen eine Reihe von Gesprächen geführt mit Menschen, die bereits im politischen System engagiert sind, aber auch mit einer Vielzahl von Bürgern. Und was ich in diesen Gesprächen mitbekommen habe, ist ein Gefühl, das Sie wahrscheinlich auch kennen und das für Sie kein unbekanntes ist. Es ist der Eindruck eines Stillstandes. Und es ist ein Bedürfnis, dass durch unser Land wieder ein Ruck geht, um die Dinge grundlegend zu verändern. Ich habe in den letzten Tagen viel Zuspruch bekommen und es ist mir nicht entgangen, welche Art von Erwartungshaltung hier entstanden ist. Meine Frau hat mir heute in der Früh beim Frühstück gezeigt, dass allein die Übertragung der Pressekonferenz vom Dienstag auf Facebook fast eine Million Menschen geliked und geteilt hat. Und ich kann Ihnen sagen, es hat mich sehr gefreut. Das macht mich sehr nachdenklich. Ich habe den Eindruck gewonnen, das waren nicht nur meine Familienmitglieder und die Freunde von der ÖBB. Daraus entsteht eine Verpflichtung, das ist völlig logisch.

Ich möchte mit der Erwartungshaltung auch deshalb beginnen, weil es mir bewusst ist, dass wir in einem Land leben, das durch eine Vielzahl von Institutionen geprägt ist, das durch Lobbys geprägt ist, das durch Interessenslagen geprägt ist, das auch durch einen deutlichen Föderalismus geprägt ist.Und mir ist natürlich klar, dass es hier darum geht, einen Stein an die Spitze zu rollen unter schwierigen Umständen auf Basis einer schwierigen Herausforderung. Und dass uns das alles nicht sehr leicht fallen wird. Und es ist auch logisch, dass uns nicht alles gelingen wird können, dass es Enttäuschungen geben wird, dass es vielleicht auch da oder dort Frust geben wird. Aber was ich Ihnen versprechen kann, ist, dass wir mit jeder Faser unseres Wollens, dass wir mit unserer gesamten Leidenschaft und mit jeder Minute unseres Denkens versuchen werden, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen.

Und wenn wir scheitern, dann werden das die richtigen Motive sein, aus denen wir scheitern. So viel kann ich Ihnen versprechen.

Das zweite, was ich erfahren habe, ist eine bemerkenswerte Entwicklung, mit der Sie als Politiker – ich bin, wenn man so will, eher so etwas wie ein frischgefangener Politiker – natürlich schon länger konfrontiert sind: eine unglaubliche Kurzatmigkeit, ein Gewitter an Terminen, an Verpflichtungen, an Interviewanfragen, an Gesprächsnotwendigkeiten, die hier vorliegen. Die Konsequenz dieses Rhythmus ist eine Kurzatmigkeit, die bemerkenswert ist. Und ich möchte in dem Zusammenhang festhalten: Ich halte das naturgemäß für eine sehr schlechte Entwicklung und bin der Auffassung, dass man sich dieser Entwicklung so gut es geht entziehen wird können müssen. Ich habe mein Berufsleben ja selbst als Journalist begonnen wie Sie wissen. Und ich weiß, dass es da natürlich viele Gesprächsbedürfnisse auch von dieser Seite gibt. Aber ich halte das für sinnvoll, hier nicht jedem Mikrophon gegenüber eine Wortspende abzugeben, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sich dieses Land eine politische Führung nicht leisten kann, die sich keine Zeit zum Nachdenken nimmt.

Ich will hier am zweiten Tag meiner Amtsperiode auch gar nicht den Eindruck hinterlassen, dass wir bereits alle Probleme gelöst haben oder dass wir wissen, wie wir alle Probleme präzise lösen werden. Und ich denke, Sie sollten auch jenen, die Ihnen das vorspielen würden, deutlich misstrauen. Was ich auch glaube, ist allerdings, dass wir eine deutlich akzentuiertere Politik betreiben werden müssen. Politik wird vielfach in der öffentlichen Wahrnehmung so als eine Art Hunderennen wahrgenommen. Da geht’s darum: Wer hat gewonnen, wer hat sich in den Umfragen durchgesetzt, wer hat sich einen kleinen Vorteil verschafft, wer geht mit einem Siegerlächeln vom Schlachtfeld. Aber über all diesen Fragestellungen ist zu oft der politische Inhalt verloren gegangen. Politischer Inhalt wurde durch taktischen Opportunismus ersetzt. Und genau das ist es, glaube ich, womit wir brechen müssen. Wir brauchen eine klarere Akzentuierung, wir müssen klar machen, wofür wir stehen. Denn eines hab ich auch verstanden: Menschen brennen nicht für Kompromisse, sie brennen für Grundsätze und Haltungen.

Wir werden oft genug Kompromisse machen müssen, das ist ja selbstverständlich, aber ich denke, wir sollten unser Denken nicht mit dem Kompromiss beginnen. Was auch unübersehbar ist – und ich habe es ja eingangs bereits erwähnt: Wir haben in Österreich ein Bild des Stillstands, das da entstanden ist. Und wenn man sich das im Detail anschaut, dann muss man sagen, das spiegelt ja eigentlich gar nicht die Realitäten wider. Weil allein die Arbeitstage, die Sie hier im Parlament verbracht haben, wenn man sich die Tagesordnung ansieht und die Beschlüsse, die sie gefasst haben, zeigen ja, dass das in vielen Details so eigentlich gar nicht stimmt. Aber das Problem ist, dass durch diese Kombination von pragmatischen Lösungsversuchen, vielleicht auch sehr flachen pragmatischen Lösungsversuchen, da oder dort, und in einem Rhetorikgewitter, das ständig auf Sie, auf uns, einprasselt, eines verloren gegangen ist: Das ist nämlich das Verständnis dafür, wohin wir unser Land führen wollen. Was unklar geworden ist, und das ist das was wir glaube ich alle spüren, ist, dass die Zukunftsbilder verloren gegangen sind. Dass nicht mehr klar ist, was unsere Orientierung ist, dass nicht mehr klar ist, wohin wir das Land führen wollen, dass nicht mehr klar ist, wie unsere Zukunft gestaltet werden soll. In dieses geistige Vakuum, in diese Ritzen dieses Vakuums, dieses Gebäudes, kriecht natürlich umso leichter das Vorurteil und die billige Pointe. Ich bin davon überzeugt, dass wir Visionen brauchen und den Mut dazu haben sollten, und zwar gar nicht nur aus einem bestimmten Politikverständnis heraus, sondern weil das schlicht und einfach eine taktische Notwendigkeit ist. Im Jahr 2016 bedeutet, keine Visionen haben, dass derjenige, der keine Visionen hat, tatsächlich einen Arzt braucht.

Für unser Weltbild, für unsere Haltungen, wollen wir argumentieren, und da werden wir auch die Auseinandersetzung suchen. Wir wollen die Köpfe und die Herzen nicht dem billigen Populismus überlassen. Wir wollen zeigen, dass wir eine positive Alternative haben. Ab heute läuft der Countdown dieser Auseinandersetzung, läuft der Countdown um die Herzen und Menschen in unserem Land. Fritz Stern, der Historiker, ist gestern verstorben, der große Historiker, ich glaube er war im 90. Lebensjahr, hat eine große Formulierung gewählt. Er hat gesagt: Menschen haben Ängste, aber es macht keinen Sinn, sie in diesen Ängsten zu bestärken. Und das genau ist ein Zugang, den ich ja auch vertreten möchte, weil es mir darum geht, ganz persönlich darum geht, Probleme zu lösen, ganz reale Ursachen für diese Ängste zu bekämpfen, aber denen ein positives Politikbild und ein positives Weltbild gegenüber zu stellen. Wir wollen die Hoffnung nähren und nicht die Sorgen und die Ängste der Menschen. Wir wollen eine Politik des Zukunftsglaubens der Hoffnungslosigkeit gegenüberstellen. Wir wollen eine Politik der Weltoffenheit einer geistigen Verengung gegenüberstellen und wir wollen eine Politik der Heimatverbundenheit und des Patriotismus dem Chauvinismus und der Hetze gegen Minderheiten gegenüberstellen.

(Redeschemata Martin Luther King- Rede):

Ich will in einer Gesellschaft leben, in der alle Kinder faire und möglichst gerechte Chancen haben. In der du nicht schon zum Verlierer gestempelt bist, weil du im falschen Stadtteil aufwächst, weil du einen falschen Vornamen hast, oder weil deine Eltern nicht in der Lage sind, dich ausreichend zu fördern. Ich will in einem Land leben, in dem nicht nur eine kleine Minderheit von der Wohlstandsentwicklung profitiert und alle anderen schauen müssen wo sie bleiben, wie sie am Arbeitsmarkt, am Wohnungsmarkt zurechtkommen und wo sie sich nicht auf die Solidarität der Gesellschaft und auf ein System und Netz der sozialen Sicherheit verlassen können. Ich will in einem Land leben, in dem Politik und Zivilgesellschaft Hand in Hand gehen, in dem wir stolz sind auf Menschen, die nicht fragen, was es ihnen nützt (=Kennedy-Schemata), sondern die sich hier für die Gemeinschaft engagieren, insbesondere auch für Menschen, die weniger privilegiert sind als wir.

Ich will in einer Gesellschaft leben, die mit Respekt und Menschenwürde, mit Respekt vor der Menschenwürde, vor der Frage, versucht, die Frage der Flüchtlingsthematik zu lösen, und ich möchte gleichzeitig, dass wir dabei nicht vergessen, dass wir soziale Sicherheit, dass wir die öffentliche Sicherheit, aber letztendlich auch ein notwendiges Maß an Ordnung sicherzustellen haben.

Ich denke, dass genau dieses Politikfeld das ungeeignetste ist, um mit Symbolpolitik zu agieren. Hier sollten wir versuchen, alle miteinander unsere Emotionen zu zügeln, um an vernünftigen Lösungen zu arbeiten. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders beim scheidenden Bundeskanzler Werner Faymann bedanken. Er hat Österreich in den vergangenen acht Jahren in schwierigen Zeiten geführt. Ich weiß, was er dafür aufgegeben hat. Ich weiß, wie viel es ihm bedeutet hat. Und die Art und Weise, wie er sein Amt niedergelegt hat, sollte uns allen Respekt abringen (????). Ich möchte die Gelegenheit auch nützen, mich bei den scheidenden Regierungsmitgliedern für ihre Arbeit für unser Land zu bedanken. Ich weiß, dass es üblich ist, dass man bei einer Regierungserklärung über sehr viele Politikfelder spricht, viele Dinge streift, die erarbeitet worden sind. Üblicherweise ist es ja auch so, dass eine solche Regierungserklärung nach der Verhandlung eines Arbeitsübereinkommens stattfindet. Ich möchte das aber bei dieser Gelegenheit nicht tun. Wie wohl ich weiß, wie wichtig die Themenfelder Frauenpolitik, Europapolitik, eine Reihe von anderen wären, um sie hier zu erörtern. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Gelegenheit haben werden, das noch ausführlich in diesem Haus hier zu tun.

Aber ich möchte auf den Kernpunkt dessen, was jetzt kurzfristig notwendig ist, kommen. Und zunächst einmal haben wir uns mit der Frage des Vertrauensverlustes und mit dem Stillstand in unserem Land auseinander zu setzen. Wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit steigt. Wir sehen, dass sich die Investitionsbereitschaft der Unternehmen in sehr engen Grenzen hält. Wir haben auch erlebt, dass die Konsumnachfrage und die Kaufkraft der Menschen in diesem Land in den letzten Jahren gelitten haben. Wir haben eine Periode von mehr als fünf Jahren an Reallohnverlusten erlebt. Das ist ein Thema, dem wir uns widmen müssen. Und wir müssen es mit aller Konsequenz tun. Und der entscheidende Hebel, von dem ich mir auch einen Beitrag von Ihnen allen erwarte, ist, dass wir hier versuchen, die Stimmung im Land auch wieder zu drehen. Denn eines kann ich Ihnen sagen, aus der Wirtschaft kommend: Die größte Wachstumsbremse ist am Ende des Tages die schlechte Laune. Und das Problem, das damit verbunden ist, ist klar: Kein Wirtschaftswachstum bedeutet noch mehr Beschäftigungslosigkeit, noch höhere Schulden. Das können wir uns einfach nicht leisten.

Und deshalb ist mein Vorschlag, insbesondere an unsere Partner in der Regierung, dass wir hier gemeinsam ein Projekt entwickeln, das man vielleicht mit den Worten „New Deal“ beschreiben könnte. Und wenn Sie in der Historie zurückschauen, dann wissen Sie ja, dass dieser „New Deal“ mehrere Elemente hatte. Aber ein ganz entscheidendes ist gewesen, dass es darum geht, kurzfristig die Investitionsbereitschaft der privaten Investoren, Unternehmer und Unternehmerinnen zu stärken (?????). Es ist vor diesem Hintergrund für uns ganz wesentlich, dass wir nicht nur die Bereitschaft formulieren, die Wirtschaft zu stimulieren. Sondern dass wir auch von den Unternehmen erwarten, dass sie ihre soziale Verantwortung mitnehmen. Weil Jobs, Jobs, Jobs ist natürlich eine wichtige Formel. Aber für uns ist mindestens ebenso wichtig, dass daraus Jobs resultieren, von denen die Menschen in unserem Land auch tatsächlich leben können.

Wir müssen aber auch, und das ist natürlich logisch, denn wir können in einer Situation, in der wir heute leben, in Europa eingebettet, uns nicht darauf verlassen, dass wir alle Probleme im Alleingang lösen. Es wird eine der wichtigsten Stoßrichtungen unsere Bemühungen sein, auch wieder die Spielräume zurückzugewinnen für öffentliche Investitionen. Und wir wissen, dass das natürlich nur im europäischen Raum geht. Wir brauchen diese öffentlichen Investitionen. Wir brauchen diese Spielräume, um Investitionen, die in Wachstum und in die Umweltaktivitäten, in den Umweltschutz gehen, hier mehr Spielräume bekommen. Wir werden uns dafür verwenden, um diese Diskussionen mit aller Konsequenz auf die europäische Ebene tragen. Aber wir brauchen nicht nur einen kurzfristigen Plan, bei dem die Wirtschaft im Mittelpunkt stehen muss.

Und wenn ich von Wirtschaft rede, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass hier nicht nur die Unternehmen gemeint sind. Sondern mindestens im selben Ausmaß die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die ja die Leistungen jeden Tag erbringen. Dann müssen wir uns auch vor Augen führen, dass wir nicht nur kurzfristig denken dürfen. Sondern einen Gestaltungsanspruch gegenüber unserer Gesellschaft und gegenüber dem Wirtschaftssystem, auch in einer mittelfristigen Perspektive wahrnehmen müssen. Ich will einen Plan für Österreich 2025 entwickeln, der auf der Idee beruht, aktiv Wirtschaft zu gestalten. Und einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Wirtschaft in unserem Land entwickeln kann.

Dabei halte ich zwei Dinge für ganz entscheidend: Der erste Punkt ist, dass es uns besser gelingt, auf Basis von klar definierten Zukunftsbildern öffentliche und private Investitionen miteinander zu vernetzen. Das ist ganz entscheidend. Wir brauchen den Markt so weit wie möglich. Und wir brauchen den Staat so weit wie nötig. Wir wissen, dass es sozusagen diese Idee vom freien Unternehmertum, das auf Genialität basierend Produkte entwickelt und die quasi wie mit Zauberhand entstehen, eine völlige Illusion ist.

Wir haben das erlebt anhand des Paradebeispiels des Apple iPhones. Sie kennen vielleicht die Geschichte. Steve Jobs war ein genialer Unternehmer, ein großartiger Kopf, der am Ende verstanden hat, wie sich die Punkte zu verbinden haben. Aber er hat letztendlich alles, was diesem Telefon zu verdanken ist, dem Umstand zu verdanken, dass es von staatlichen Stellen, von öffentlichen Händen gefördert und mitentwickelt worden ist. Egal, ob das das Display war, egal, ob das das Spracherkennungssystem ist oder das GPS-System. Das sind Anwendungen, die sind aus der Grundlagenforschung entstanden, die öffentliche Hände finanziert haben, die öffentliche Institutionen vorangetrieben haben und die schlussendlich der Steuerzahler hier wesentlich mitfinanziert hat. Am Ende geht’s darum, solche Modelle zu entwickeln, klar zu sagen, in welche Richtung wollen wir. Wohin wollen wir unsere Energie richten? Und wie wollen wir die Wirtschaft in unserem Land verändern?

Und ich kann Ihnen sagen, ich habe vor kurzem die Gelegenheit gehabt in Kalifornien, mich im Silicon Valley, mit einer Reihe von Unternehmen zu unterhalten. Und es gibt in Europa Erfolgsbeispiele, die man dem gegenübersetzen kann. Wir brauchen uns da nicht fürchten. Wir brauchen keine Angst haben. Wir haben das Potential, ähnliche Erfolgsgeschichten zu schreiben. Und bei dieser Reise in das Silicon Valley ist in diesen zehn Tagen, die wir dort mit unseren Partnern verbracht haben, ein einziges Mal der Name eines europäischen Unternehmens genannt worden. Und das war die Firma Herrenknecht. Dazu muss man wissen: Das ist ein deutsches Unternehmen, das Tunnelbaumaschinen produziert mit österreichischen Zulieferern und österreichischen Kunden. Und diese Geschichte sollte uns zuversichtlich machen, denn dahinter steckt ja ganz etwas anderes. Nämlich, dass wir in Europa, dass wir in Österreich in bestimmten Sektoren unglaubliche Stärken haben. Und diese Stärken zu stärken, das muss unser Bild sein. Das ist der Maschinenbau zum Beispiel. Das ist der Automotiv-Sektor, das ist die Energietechnik, wo wir eine Basis haben, eine Position der Stärke hier konsequent auszubauen. Es geht um die Vernetzung von öffentlichen und privaten Investitionen. Es geht um die Verbindung von Unternehmen, die in die Grundlagenforschung gehen. Es geht um Unternehmen, die diese letztlich anwenden. Wir müssen unsere Hochschulen darauf abstimmen. Wir müssen den gesamten politischen Rahmen darauf abstimmen.

Neben diesem Bekenntnis zum Design unsere Wirtschaft im Sinne der Menschen, die hier leben und vor allem im Sinne der Steigerung der Beschäftigung geht’s mir noch um einen zweiten Punkt: Wenn man sich die großen internationalen Entwicklungen anschaut – und wir wissen, die treibenden Kräfte sind Globalisierung und Internationalisierung und natürlich auch im hohen Maße die Digitalisierung – dann wissen wir, dass wir uns diesen Entwicklungen gar nicht entziehen können.

Wir stehen jetzt an der Stelle uns zu fragen:

Wollen wir warten bis die Entwicklungen wie eine Dampfwalze auf uns zukommen oder geht es uns darum, diesen Ball aufzunehmen und rechtzeitig die Voraussetzungen zu schaffen, damit Österreich erfolgreich in diesem Kontext agieren kann? Und was ich meine ist folgendes: Dass diese Entwicklungen – Digitalisierung und Globalisierung – unsere gesamte Arbeitswelt massiv verändern werden. Dass es die Wertschöpfungskette in der Wirtschaft verändern wird und dass es letztendlich bedeutet, dass wir in traditionellen Industrien, in traditionellen Dienstleistungssektoren mit signifikant weniger Arbeitskraft in Zukunft auskommen werden (!!!!).

Das bedeutet für uns aber, dass wir uns Fragen zu stellen haben, die sehr ins Grundsätzliche und Wesentliche gehen. Nämlich die Frage: Wie wollen wir Arbeit verteilen? Die Frage, wie wollen wir schlussendlich unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren, die wir auf eine wesentlich breitere Basis, die Finanzierung, stellen werden müssen, die notwendig sein wird. Und es geht auch um die Frage, wie wir unsere Bildungssysteme daran ausrichten, weil eines ist völlig klar: Bildungspolitik wird in Zukunft die beste Sozial- und die beste Arbeitsmarktpolitik sein.

Ich habe hier versucht, in ein paar Minuten ein paar Fragestellungen zu skizzieren, die bei weitem nicht erschöpfend sind. Und es gibt natürlich eine Vielzahl von interessanten Fragestellungen, die politische Antworten erfordern. Mein Verständnis ist, dass wir hier nicht über fertige Konzepte reden, über Dogmen reden, über Doktrine reden. Mein Verständnis ist, dass es eine offene politische Diskussion geben muss, zu der ich Sie persönlich einladen möchte. Ich möchte insbesondere in den nächsten Wochen auch die Gelegenheit vertiefen, mit Ihnen persönliche Gespräche zu führen, über Ihr Bild, über Ihre Sicht der Dinge, die wir gemeinsam anpacken müssen. Wir werden das tun, allerdings aus einer Position heraus, aus einem positiven Weltbild. Ich glaube, es geht darum, positive Politik zu machen und nicht Verzweiflung und Ängste zu bedienen.

Und ich bin davon überzeugt, das ist jedenfalls mein Zugang, den ich in einer unglaublichen Intensität erlebt habe, dass es in diesem Land gar keine Politikverdrossenheit gibt. Aber es gibt natürlich eine große Distanz zu dieser Kapselpolitik, die sich von den Menschen und den tatsächlichen Interessenslagen, Sorgen und Notwendigkeiten mittlerweile deutlich entfernt hat. Und wenn ich das sage, dann meine ich keineswegs nicht nur die Regierungspolitik, sondern dann meine ich im höchsten Ausmaß auch die Verantwortung der Opposition für diesen Zustand. Die Politik muss raus zu den Menschen. Und wir müssen versuchen, die Menschen zu aktivieren, um sie in diesen Dialog aufzunehmen. Das steht für mich fest. Ich bin davon überzeugt, dass unsere größte Intention und unser größtes Drängen sein muss, Menschen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich wieder zu engagieren. Weil am Ende des Tages ist es selten so, dass einzelne Personen, auch nicht hier auf dieser Regierungsbank, die Geschichte bewegen können, den großen Unterschied machen. Am Ende ist es die Vielzahl des Engagements von Einzelnen, das die Geschichte prägt. Und in dem Sinn würde ich mir wünschen, einen konstruktiven Dialog mit Ihnen hier im Hohen Haus zu führen, aber auch, dass es uns gelingt, Menschen dazu zu bewegen, sich wieder politisch zu engagieren. Danke!

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