Sehr geehrter Herr Doktor Fischer,
als langjähriger, österreichischer Leser der NZZ.ch überrascht es mich, dass sich die NZZ in ihrer bisherigen Qualitätsführerschaft einer ausbalancierten Berichterstattung widersetzt, wenn es um das Thema TTIP geht. Auch in dem heutigen Beitrag „TTIP ist nicht böse“ wird einseitig Position für die Interessen transnationaler Konzerne bezogen und das "TTIP" ausschließlich verherrlicht. Dass dabei die Rechte der Bürger, Konsumenten und Arbeitnehmer erodiert werden oder ganz auf der Strecke bleiben, scheint für die NZZ nicht weiter wichtig zu sein. Demnach habe der Mensch der Wirtschaft und nicht die Wirtschaft dem Menschen zu dienen.
Am 26.3.15 übermittelte ich Ihnen ein Email mit nachstehend gekürztem Inhalt:
„Ich bin kein Gegner des Freihandels per se, weil er den Welthandel beflügelt. Das TTIP scheint sich jedoch über umweltrechtliche, sozialrechtliche, lebensmittelrechtliche, gesundheitsrechtliche und demokratiepolitische Standards weitgehend hinwegzusetzen und wird im Geheimen ohne demokratische Partizipation und Transparenz für den Souverän (=Volk) verhandelt". Daher Freihandel ja, aber nicht um jeden Preis, wie es das TTIP zu werden scheint, folgt man bisherigen Medienberichten.
Darauf antworteten Sie via Email gekürzt wiedergegeben u.a.:
“Wir sind mit Ricardo und seinen handelstheoretischen Nachfolgern nicht der Ansicht, dass beim Freihandel der Mensch der Wirtschaft geopfert wird; ganz im Gegenteil. TTIP sehen wir als Chance, unnötige bürokratische Hürden zwischen den Wirtschaftsräumen der USA und Europas effizient abzubauen“….etc…..
Der heutige NZZ-Beitrag „TTIP ist nicht böse“ wirkte auf mich wie eine TTIP-Werbeanzeige der EU-Handelskommissarin Malström. Es werden ausschließlich nur TTIP-Pro Argumente aufgezählt, ohne auch berechtigte TTIP-Gegenargumente zu bringen. Die NZZ verlässt dabei ihre Tradition einer objektiven und ausgewogenen Berichterstattung mit Qualitätsanspruch und missachtet die Gesetze der Dialektik (These + Antithese = Synthese) als Fundament intellektueller Redlichkeit.
Sie wollen in diesem Beitrag einseitig den deutschen Mittelständlern Angst machen, dass sie viel Geld und Zeit verlieren würden, wenn das TTIP scheitert. Auch Merkel als strikte TTIP-Befürworterin tut es Ihnen gleich, obwohl lt. Umfragen zwei Drittel der Deutschen das geplante TTIP-Abkommen ablehnen, wie Sie selbst schreiben .
Dass Merkel überheblich gegen den Mehrheitswillen des Volkes regiert, wenn es um das Thema TTIP oder „Offene Grenzen beim Flüchtlingsproblem“ geht, ist ja nicht neu. Ihr politisches Überleben hängt daher nur mehr an einem dünnen Faden. Ihre Art, Politik zu betreiben, steht nicht nicht mehr im Einklang mit dem Mehrheitswillen des Souveräns, der noch immer lt. Grundgesetz das Volk ist.
Ihre TTIP-Pro Argumente in Stichworten waren:
o Zölle, die aber ohnedies jetzt schon niedrigst sind infolge WTO
o Ein Anorak mit zuviel Chemiefassern wird statt mit 9% dann mit 27% verzollt
o Die USA hebt bis 4,2% Zölle ein, die EU 1,7% bis 6,5%; so sind Motorsägen in die USA zu verzollen
o Gemeinsame gesetzliche Standards erleichtern bei Harmonisierung den Freihandels, Bisher werden die Pharmafirmen Merck und Bayer zweimal von den Arzneimittelbehörden – hier und in den USA überprüft, das koste ihnen Millionen. Auch Testverfahren auch die KfZ-Industrie betreffend werden nicht immer automatisch in den USA anerkannt. Rittersport-Schockolade wird manchmal beim US-Zoll zu lange blockiert und diverse administrative Hindernisse.
o Ettiketten bei Hemden sind bei uns seitlich und in der USA in der Mitte anzubringen.
o Brand-und Lärmschutzvorschriften seien unterschiedlich
Das mag alles schön und richtig sein, jedoch nicht alle NZZ-Leser sind nur am rechten Auge Sehende und am linken Auge blind. Es gibt nämlich viele wenn nicht sogar gewichtigere Gegenargumente nur gegen das TTIP, nicht jedoch grs. gegen den Freihandel,die in Ihrem Beitrag geflissentlich unterschlagen wurden.
Es wird bei TTIP immer sehr im Geheimen verhandelt und über die Inhalte erfährt der Souverän (= das Volk einer Demokratie) de facto gar nichs. Es geht keineswegs nur um Zollabbau, wie gerne behauptet wird, sondern um Handelshemmnisse aus der Sicht grosser Konzerne, nämlich sehr wichtige Schutzvorschriften in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, genetisch modifizierte Agrarprodukte (GMO's), Arbeitnehmer-Schutzrechten, etc....
Stein des Anstoßes sind auch die geplanten, von der EU-Kommission als Kompromiss vorgeschlagenen Investitionsgerichtshöfe:
Der Schutz des physischen, finanziellen und immateriellen Eigentums wird noch durch einen "indirekten Schutz" raffiniert erweitert, was soviel wie Klagerecht gegen Steuererhöhungen oder neue Steuern (zB. Vermögensteuern) wohl heißen dürfte.
Das Einklagen besonderer Freihandelsrechte steht nur ausländischen Konzernen in der EU zu, europäische Unternehmen haben dieses Klagerecht nicht innerhalb der EU (= Ungleichbehandlung) und werden somit gegenüber ausländischen schlechtergestellt. Der neue Begriff Schutz des "indirekten" Eigentums geht weiter, als der nationale Eigentumsschutz und diskriminiert inländische Firmen, die nur nationales Recht ohne indirekten Eigentumschutz einklagen können.
Im Klartext, wenn transnationale Konzerne Menschenrechte verletzen (zB.Ermordung von Gewerkschaftern), die Gesundheit schädigen (zB.Bhopal Chemiefabrikexplosion), die Umwelt zerstören (zB. Fracking), die Arbeitsrechte missachten (zB.Sweatshops Bangladesh), ihre Steuerpflicht verletzen oder umgehen oder wie der Monsanto-Konzern, seine Gentechnik durchboxt, wird auf Schutz "indirektes Eigentumsrecht" geklagt. Auf den Monokulturen von Monsantos hört man keine Insekten mehr und Dritte haben keinen Zutritt . All diese Missstände wären unabhängig vor welcher Art des Gerichtes auch immer nur einklagbar, wenn dafür eine völkerrechtliche Rechtsgrundlage besteht. An dieser Schraube wird jetzt zugunsten der Konzerne gedreht und damit neue Gerichte case law ohne Gesetze schaffen.
Wenn es bei Gesetzesvorhaben um Fragen des Tierschutzes in der Fleischproduktion oder Standards für Pestizidrückstände im Obst- und Gemüseanbau geht, würden nach den Wünschen der TTIP-Verhandler in Zukunft also Gesetze zuerst unter dem Blickwinkel betrachtet, ob sie den Handel fördern oder beeinträchtigen – ob sie also ein Handelshemmnis darstellen könnten. Zu diesem Zweck soll ein neues, intransparentes Gremium geschaffen werden, der sogenannte „Regulatory Cooperation Body“.
Wollte einer der Partner ein aufgrund neuer Erkenntnisse in Zukunft als gefährlich eingestuftes Pestizid zur Anwendung verbieten oder die relevanten Grenzwerte senken, würde diese Maßnahme damit zuerst unter Handelskriterien betrachtet. Durch die Brille „Maximierung der Handelsbeziehungen“ gesehen, könnten strengere Regeln für die Behandlung von Obst und Gemüse natürlich immer den Handel einschränken und damit indirekt verhindert werden, nicht genehme Gesetzesvorlagen zu Fall gebracht werden.
Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, wichtige Informationen werden unter Verschluss gehalten. Selbst die Abgeordneten und damit die gewählten VertreterInnen der Bevölkerungen bekommen nur eingeschränkten Zugang zu den Dokumenten, während die mächtigen Wirtschaftslobbys in die Verhandlungen direkt eingebunden sind.
Damit entsteht ein Ungleichgewicht zwischen den Interessen der Konzerne und jenen der Bevölkerung. Die halbherzigen Versuche der EU-Kommission, den intransparenten Prozess durchschaubarer zu gestalten, werden konterkariert durch die Ankündigung, TTIP an den nationalen Parlamenten vorbeischleusen zu wollen.
Es geht um Arbeitsrechtsnormen, wie Gewerkschaften und Kollektivvertragsregelungen. Die Gewerkschaften werden in den USA ausgehungert (Unternehmen mit Gewerkschaften erhalten keine staatl. Subventionen), auch gibt es kaum kollektivvertragliche Regelungen mit Mindestlöhnen und Mindeststandards. Die USA will keine amgemessenen Arbeitsrechtsstandards und keine Sanktionen bei Verletzungen von Arbeitsschutznormen.
Die europäischen Werte könnte unter die Räder kommen. Die USA drückt uns ihre Regulierungspolitik auf. Beschränkung staatlicher Souveränität durch die Hintertür. Tiefgreifende Deregulierungen beim Umweltschutz und Klimaschutz, beim Sozialsystem (Arbeitsrecht) und bei Nahrungsmittelzulassungen.
Genmanipulierte US-Agrarprodukte werden ohne Zulassungsbeschränkungen unseren Markt überschwemmen und brauchen nicht mehr gekennzeichnet werden. Kürzlich geisterte der Genlachs mit Turbogewicht durch die Medien.
Keine digitale Zukunfte ohne Wissens-Sharing. Auch das ohnedies unzeitgemäße, exzessive, asymmetrische Urheberrecht soll weiter verschärft werden, indem nicht nur gewerbliche, sondern auch private UrhR-Verletzungen vorm Strafgericht landen könnten, stehen dann Facebook-User alle als Kriminelle da. Sie können nur hoffen, von keinen Abmahnschreiben überrascht zu werden. Jetzt schon viel zu lange, 70-jährige Urheberschutzfrist soll weiter ausgedehnt werden, unglaublich.
Deregulierung auch bei Medikamentenzulassungen, Hormonbeigaben in der Tiermast sollen völlig unkontrolliert frei gegeben werden.
Kapitalistische Profitgier geht vor Volksgesundheit.
Demokratie und unsere Rechtsprinzipien werden am Opfertisch der Wirtschaft ausgehöhlt ("Regulatory Freeze" - Klausel!).
Als Beispiel für WTO-Schiedsgerichtsbarkeit wird der „Vattens-Fall“ zitiert (Schweden klagt Deutschland wegen seines Atomausstieges auf Schadenersatz). Andererseits jedoch, warum muss die Allgemeinheit für wichtige politische Anliegen Strafe bezahlen und sogar der EUGH kann dabei ausgehebelt werden.
Das TTIP-Regulativ ist nicht rückgängig machbar – in meinen Augen eine demokratiepolitische und rechtspolitische Katastrophe.
Dem Transparenzprinzip einer Demokratie völlig zuwiderlaufende Geheimverhandlungen fanden statt, wo zunächst nicht einmal deutsche Bundestagsabgeordnete angemessenen Zutritt erhielten.
Werden mit dem Freihandalsabkommen TTIP zwischen USA und EU die "Büchse der Pandora" mit den Übeln der Welt geöffnet?.
Verhandelt man deshalb so im Geheimen und verstößt dabei gegen Grundprinzipien einer Demokratie (Transparenzprinzip, Partizipationsprinzip, etc..), indem nicht einmal deutsche Bundestagsabgeordnete zunächst angemessene Einsicht in die Verhandlungsprotokolle erhielten und bei der EU-Handelkommissarin Malström protestierten.
Ergänzend darf ich noch einige Gedanken zur Ökonomie festhalten:
Der Neoliberalismus setzt auf Entsolidarisierung, weitgehendsten Vermögens-u. Erbschaftsbesteuerungsverzicht (zumindest in Österreich), permanente Senkung der Unternehmenssteuern zu Lasten der Leistungseinkommensbezieher und auf Kosten des Sozialsystems, Förderung der Selbstausbeutung ("Consultingbranche", 70-Stunden Woche, narzisstisch sektiererische Managementethik, Profitmaximierung um jeden Preis - “Geiz/Gier ist geil” Kultur) .
Die "europäische Demokratie" basiert auf einem historisch gewachsenen, ausdifferenzierten, politischen Konzept, bei dem nicht nur Profitmaximierung an erster Stelle stehen.
Wir haben im GGs. zur USA auch ein humanistisches Erbe zu bewahren, bei dem die Wirtschaft dem Menschen dienen soll und nicht umgekehrt. Wir haben im GGs. zur USA auch eine Verantwortung für das Gemeinwohl zu tragen im Interesse des Zusammenhaltes einer Gesellschaft und auch eine Verantwortung für unsere in eine "Reparaturgesellschaft" schlitternden Kinder und Enkelkinder (Schuldenrucksack, zerstörte Umwelt!, prekäre Arbeitsverhältnisse, hohe Jugendarbeitslosigkeit, etc...) .
Die junge Generation will nicht, dass der Masterplan des Mammons weiter ausgerollt wird, sie wollen keinen krankmachenden Turbokapitalismus (sieht man von ein paar WU-Schnöseln ab), den Kampf des Geldes gegen die Moral.
Wir wollen nicht,das die “Freie Marktwirtschaft mit sozialem Antlitz” durch die "Maximen des US-Turbokapitalismus" mit seinen neoliberalen calvinistisch religiösen Versatzstücken ersetzt wird. Wir wollen keinen degenerierten Finanz-und US-Konzernkapitalismus.
In den USA haben Mensch und Umwelt ausschließlich den Interessen der Wirtschaft zu dienen, wobei im neoliberalen Wertesystem seit Reagan die Ausbeutung des Menschen wieder stark zugenommen hatte. Maximierung des Reichtums und des schnöden Mammons (USD) stellen in den USA den höchsten, gesellschaftlichen Wert dar, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Armut als sichtbares Zeichen der Schande jener von Gott nicht Auserwählten, wie es uns die calvinistische Ethik ("Prädestination") vorgaukelt.Max Weber hat das schön beschrieben. Ungleichheit und Profitgier anstatt Verteilungsgerechtigkeit.
Piketty weiß dazu einiges zu berichten, wenn man heutzutage nicht mehr durch Leistung, sondern nur mehr durch ererbtes Vermögen es zu etwas bringen kann. Die Vermögensrendite liegt um ein Vielfaches über der Rendite des Leistungseinkommens. Die Tellerwäscherstory vom unbeschränkten Land der Möglichkeiten ist längst obsolet, wer Tellerwäscher ist, wird es auch weiter bleiben und arm bleiben.
Downsizing bzw. prekäre Arbeitsverhälnisse für die Jugend. Die neoklassischen Ökonomen in ihrem religiösen Eifer vertreten noch immer die längst empirisch widerlegten Dogmen der Klassiker, ob "invisible hands" mit ihren"selbstregulierenden Kräften" am Markt, die nicht reale Kunstfigur des "homo oeconomicus" ohne "Fairnessprinzip" (Verhaltensökonomie) oder die völlig entgleiste, selbstreferenziell gewordene realitätsferne Wirtschaftsmathematik an den Wirtschaftsuniversitäten, die noch dazu in der Derivatebranche dem Finanzbetrug massiven Vorschub geleistet hat. Bisherige Schadenersatz- und Strafzahlungen der Banken aufsummiert liegen schon weit über 100 Mrd. USD.
Die junge Generation diskutiert schon Themen, wie "Shared Economy", "Wachstumsgrenzen", "Klimawandel/CO2-Debatte", "Gemeinwohlökonomie", mehr teamorientierte"Solidaridät", etc...alles Themen, die dem profitmaximierendem Denken großer Konzerne zuwiderlaufen.
NZZ .