Zerbricht Europa, die zivilisierte Welt? - Terrorschockstarre, Flüchtlingsproblem, Renationalisierungstendenzen, digitale Transformation und wachsende Armee der "Überflüssigen".

Die Terror-Schockstarre und das Flüchtlingsproblem lähmen derzeit Europa und gleichzeitig läuft uns die Zeit davon, unsere Zukunft und ihre digitale Transformation proaktiv zu gestalten. "Digitalökonomie" und "Industrie 4.0" führen uns in eine epochale Umbruchsphase mit großen Transformationen und Herausforderungen.

Das Bildungssystem steht still, Lehrer werden administrativ von den Bildungsinstitutionen (BiFi, Ministerium, Landesschulrat) etc..) mit völlig hypertrophen Evaluierungsmatrixen gehänselt, anstatt weitergebildet, um neues, digitales Wissen an Schüler weiterzugeben zu können.

Wir leben in einer der reichsten Gesellschaften unserer Geschichte, schamlos wird öffentlich mit Milliarden hantiert. Trotzdem wächst fast jedes vierte Kind auch schon bei uns schon unter Armutsbedingungen auf, die Schere zwischen Armen und Reichen öffnet sich immer weiter. Unsere neuen, oft fragmentierten Arbeitsplätze zerreißen Lebensperspektiven, von einem Beschäftigungsverhältnis allein können immer weniger Menschen leben, sie benötigen zwei oder drei Jobs; das macht Zukunftsplanung unmöglich.

Der Arbeitsmarkt wird in den beiden nächsten Dekaden massive Einbrüche erleiden, wovon beinahe die Hälfte der klassischen Jobs (Dienstleister, Schreibkräfte, Banker, Journalisten, etc..) und auch der politisch stabilisiernde Mittelstand hinweggefegt wird. Das alles sind Brandherde, die sich zu Flächenbränden ausweiten können.

Wenn Europa scheitert, dann an der Ignoranz der politischen Elite in Brüssel und bei uns gegenüber den die Lebensprobleme berührenden Fragen der Europäer selbst. Scheitern kann Europa daran, dass mit kapitalistischer Produktivität die Armee der dauerhaft Überflüssigen wächst, dass die Jugendarbeitslosigkeit sich weiter ausbreitet.

Europa ist ein einzigartiges geschichtliches Experiment. Um die dreißig Länder , die vor nicht allzu langer Zeit noch teilweise in Kriegskoalitionen miteinander verbunden waren und sich durch patriotische Abgrenzungen feindselig gegenüberstanden, diese Länder sollten ein solidarischen Gemeinwesen entwickeln.

In einer Gesellschaft, in der ein sozialdarwinistischer Überlebenskampf tobt, seit das aus den USA infolge der Globalisierung auch nach Europa importierte, neoliberale Werteethos auch bei uns hoffähig wurde, sammelt sich immer mehr Angstrohstoff, der sich auch für rechtsradikale Bearbeitung anbietet und dies findet bereits besorgniserregend statt. Das Festungsdenken mit Mauern und Stacheldraht, die Schließung der Grenzen und Rückkehr zu Kontrollen, schlägt sich schnell auf alle Beziehungen der Gesellschaft nieder.

Das Primat der Ökonomie ändert das gesamte Menschenbild und wird auch zur Leitnorm im Erziehungs- und Bildungswesen. Robert Musil hat diese Veränderungen auf den Punkt gebracht. Eine Spezialform der Gewalt nennt Musil den Kapitalismus, eine unerhört geschmeidige, entwickelte und nach vielen Richtungen schöpferische Ordnung. Aber sie stützt sich auf ein Menschenbild, das à la baisse spekuliert, mit dressierter Niedrigkeit (die dressierte Kulur habe ich kürzlich unter "Kaputte Elite" der Consultingbranche beschrieben), mit Begierden und “schlechten Fähigkeiten”. Weil die Consultingbranche ganzseitige Anzeigen in Standard, Presse und anderen Medien schaltet, wird sie geschont und wie ein rohes Ei behandelt.

Als Exbanker haben meine Kollegen und ich die Flanellmännchen der Consultingbranche in übelster Erinnerung, die Bank Austria wurde von Accenture u.a. beraten und was erlebt diese Bank derzeit - den totalen Kahlschlag.

Wer nun den linken Kassandrarufen keinen Glauben schenken will, der sollte doch zur Kenntnis nehmen, was Altliberale wie Ralf Dahrendorf und Marion Gräfin Dönhoff von dieser Form des Kapitalismus denken, den sie ursprünglich doch leidenschaftlich als freiheitsverbürgend den Ostblocksystemen entgegengehalten haben. Dahrendorf spricht von den Gefahren einer “ortlosen Welt”, in der die Menschen keine Bodenhaftung mehr haben, in der sie hin und her geschoben werden ohne Halt und Verwurzelung. Gräfin Dönhoff in ihrem Buch “Zivilisiert den Kapitalismus” progostiziert das Auseinanderbrechen einer auf Zerstörung von Bindung beruhende Gesellschaft. „Jede Gesellschaft braucht Bindungen, ohne Spielregeln, ohne Traditionen, ohne einen ethischen Minimalkonsens wird unser Gemeinwesen eines Tages so zusammenbrechen wie vor dem das sozialistische System.”

China und Indien waren bis zum 18.Jh. die führenden Weltmächte und der pazifische Raum mit Asien wird es im 21.Jh. wieder werden. China eröffnet mit dem "Seidenstraße - Investitionsprojekt" einen riesigen Wirtschaftsraum des 21. Jh. mit 300 Mrd. Infrastrukturinvestitionen und greift von den Medien kaum wahrgenommen nach Zentralasien.

Nur wenn die EU nicht zerbricht, Renationalisierungstendenzen (GB, Reformländer, Katalanien, Schottland, etc..) sind ja schon wieder erkennbar, bleiben wir als Globalplayer stark genug. Ansonsten wird sich auch die USA primär dem pazifischen Raum und nicht mehr Europa zuwenden und wir werden Diener fremder Herren werden und unsere Selbstbestimmung verlieren.

Eine Renationalisierung Europas ist der Tod für die Zukunftschancen unserer Jugend und wir verlieren den Status eines Globalplayers. Wir müssen den Glauben an die EU wieder stärken und gleichzeitig neoliberal vom Konzern-Lobbyismus verseuchte Sümpfe der EU-Bürokraten trockenlegen. Massenarbeitslosigkeit im Süden, prekäre Arbeitsverhältnisse zunehmend mit Zweitjobs jetzt auch schon in Europa, um Familien über Wasser zu halten und jedes 4. Kind wächst bereits mehr oder weniger in Armut auf. Wie bereits gesagt, die Spreizung zwischen arm/reich wird immer größer, der Mittelstand verschwindet.

Wo bleibt der Gestaltungswille der Politiker und wielange schaut die Jugend noch zu, es ist fünf nach zwölf. Wir leben in keiner wehrhaften Demokratie und populistische Parteien harren in den Startlöchern, die archaischen Triebteile der Menschen sind ihr Köder.

Was wir brauchen, ist eine intellektuelle und humanistische Renaissance eingebettet in die digitale Revolution. Wir müssen wegkommen vom materiellen Wachstumswahn, er zerstört die Zukunft unserer Kinder. Stattdessen müssen wir dem immateriellen Wachstum wiederum die Tore weit öffnen.

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:18

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