Leise knistert die Glut des Feuers, dass dem Alten half die Schwärme von Stechmücken während der Nacht fernzuhalten, und in dessen Flammen die Geschichte seines Volkes erschien. Die ganze Nacht saß er davor, reiste in Gedanken durch die Zeit, um den Moment des Sonnenaufgangs zu erwarten. Auf der Spitze des Berges, eine Federkrone im silbergrauen Haar, die Kleidung abgetragen aber reinlich, die Decke um seine Schultern feucht vom Dunst, wartet er um mit dem großen Lebensspender Zwiesprache zu halten, und die Geister der Ahnen um ihr Wohlwollen zu bitten. Er fühlt die Zeit, in der die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berge sendet, er kennt ihren täglichen Lauf über das Firmament, die innere Uhr, er kann sich auf sie verlassen. Wie viele Male stand er schon hier um sie zu begrüßen, er weiß es nicht mehr, kann sich nicht entsinnen wann sie seine Geburt segnete, das erste mal sein Gesicht streichelte - lange ist es her, eine Ewigkeit, und doch erst gestern. Die Jahre machen sich bemerkbar. Die Augen sind trüb, die Gelenke schmerzen, das Haar ergraut - doch sein Geist ist rege und frisch.

Mühsam erhebt er sich, die Hände emporgestreckt fängt er an zu singen, Muschelschalen erklingen als er zu tanzen beginnt. Sein Tanz, älter als er, älter als sein Volk, von Mutter Erde gesandt. Doch heute ist etwas anders, beunruhigend anders. Keine Sonnenstrahlen berühren ihn. Dichter schwarzer Rauch verwehrt ihnen den Weg, Dampfkaskaden wirbeln dazwischen - Dämmerung wo Licht sein sollte. Kein Vogel lässt sein Morgenlied erklingen - wann ist der Wald verschwunden in dem sie lebten? Das Band aus Kristall das sich durch das Tal schlängelt, ist ein trüber, träger Wurm geworden - Ehemals ein Nahrungsspender, jetzt eine stinkende Kloake. Kein Fisch darin, kein Tier an seinem Ufer um den Durst zu stillen, keine Pflanzen die noch an den Ufern gedeihen.

In den Bergen und der Erde klaffen Löcher und Gruben, zerfressen von Maden aus Stahl, dazwischen ameisengleich, behelmte Männer und Kinder, aufgezehrt und krank, auf das wenige an Geld angewiesen dass sie nun zum Leben, zum Überleben brauchen. Keine Zeit der Ernte, keine Zeit der Jagd, des Tanzes, der Rituale - Zeit des Geldes.

Vereinzelt fallen Regentropfen, der Alte spürt sie, legt den Kopf in den Nacken und flüstert: "Sei mir gegrüßt mein Freund, einziger noch wiederkehrender!" doch selbst der Regen fällt schmutzig grau, zieht furchen durch das ausgebeutete Land, Nichts dem er noch Erfrischung spenden könnte - nur ein weitere Zeuge des Todes. Tod der Mutter, der Erde.

Tränen laufen dem Alten über die Wangen, wecken ihn aus dem Traum der so viele Jahre dauerte. Die Hoffnung, wie schon die Ahnen leben zu können ist dahin, die Realität hat längst schon grausam die Verbindung zur Geisterwelt gekappt. Traurig macht er sich auf den Heimweg, den Weg in ein Dorf, das kein Kinderlachen mehr birgt. Keine Jungen die sich balgen. Keine Männer die zur Jagd gehen, sondern schmutzig und hustend jetzt in Baracken hausen, geschunden für kargen Lohn. Alte Frauen in bunten TShirts, die Blöße verdeckt um den Idealen zu entsprechen die die Männer in Schwarz ihnen predigten. Geben ist Seeliger denn nehmen, sagten sie, doch gaben sie nichts als gute Worte und Krankheit. Teufelswerk seien seine Gesänge, Tänze und Medizin. Er müsse jetzt Joseph heißen sagten sie, und er weiß nicht warum.

Rund um das Dorf vereinzelt tote Bäume. Die Welt stirbt, seine Welt - und er mit ihr. Kein Platz mehr für ihn, keine Notwendigkeit mehr. Motorengeräusch, er nimmt es kaum wahr. Große, grüne, stinkende Ungetüme nähern sich, blauen Rauch nach sich ziehend. Dahinter ein kleineres - Männer sitzen darin, fleckige Kleidung, Gewehre in den Händen. Er hat schon von ihnen gehört, aber noch nie einen gesehen. Einer von ihnen hält ein Blatt in der Hand, das er den wenigen verbliebenen Bewohnern zeigt und in für ihn unverständlichen Worten zu ihnen spricht. Der Alte spürt eine Hand an der Schulter, ein Mädchen steht neben ihm, er kennt das Gesicht, die Stimme, selbst der Name ist irgendwo in seinem Kopf, doch zu lange war er in der Geisterwelt, vergeblich auf Antwort, auf Hilfe wartend. Er kann sich nicht entsinnen. "Großvater komm" sagt das Mädchen, "die Soldaten warten. Wir müssen gehen. Wir bekommen neue Hütten im Reservat. Und du wirst keinen Hunger mehr leiden"!

Still folgt er ihr, er wird auf den Lastwagen gehoben. Ein letzter Blick zurück, als sich die Kolonne durch die trostlose Landschaft schlängelt. Tage später ist das Dorf unter riesigen, schmutzigen Wassermassen verschwunden. Wassermassen gehalten durch Wände aus Stahl und Beton - Strom für die stählernen Maden, die Baracken, für Krankheit und Verderben, die Profitgier.

Still wirkt die Wasserfläche, kaum Bewegung ist erkennbar. Langsam, ganz langsam treibt eine Federkrone vorbei.

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