Ihr kennt sicher die Aussagen "Früher war alles besser " und "Ihr wisst gar nicht, wie gut es euch heut geht ". Großeltern und Eltern, Onkel und Tanten - irgendjemand aus eurem Umfeld hat so oder ähnlich eine belehrende Geschichte begonnen. Am besten, wenn beides in eine Erzählung gepackt wurde.
Meine Beziehung zu meinen Großeltern väterlicherseits war, nennen wir es mal so, sehr speziell. Aufgewachsen in einem Mehrgenerationen-Haushalt eines Bergbauernhofs, war die Bindung zur Großmutter von klein auf eine sehr innige, hütete sie doch uns Kinder, während die Eltern und der Großvater der ländlichen Arbeit nachgingen. Ich habe es genossen, in der Küche der Vorkoster zu sein, ein Zuckerl aus der Tasche der Mantelschürze fischen zu dürfen und mir Geschichten von früher anzuhören. Und immer waren diese gespickt mit "hart wars schon, fest habma arbeitn miasn - da gehts eich heint vül bessa". Meine Großmutter war eine stattliche Frau, die Knie und Sprunggelenke ruiniert von der Arbeit im steilen Gelände - "de Bockleitn de grausige" - die Finger krumm und die Hände rauh. Aber den Kopf hoch erhoben und ein stolz aufrechter Gang, und wenn des Rheuma wieder gnadenlos zuschlug, hat sie die Zähne zusammengebissen - "weil vom jammern werds a nit bessa!" Stolz! Ja stolz hat sie sein dürfen - der Vater Holzknecht beim Grafen, hat die Landwirtschaft gekauft, zurückgekauft, der Ururururgrossvater hat sie beim Kartenspiel verloren, an den Grafen sein Urururgrossvater. "Fest hat er hagln miassn bis er des Geld dafür zam ghabt hat. Damit mia Kinda was habn."
die Mutter im Kindbett gestorben, hat meine Großmutter als Älteste ihre sechs Schwestern aufgezogen. "Und Schul hab i a gehn miassn, eh so miad und daham dann die Arbeit, aber i hab nur amol an dreia kriagt, in Religion, weil i dem Herrn Pfarrer zruck gred hab. Da war kana der auf uns aufgepasst hot, da habts des es heit schon guat!" Zwei der Schwestern sind "ins Wasser gangen" - warum hat man nie erfahren, aber es war immer genug zum Essen am Tisch, und "des Gewand habma eh selba gnaht, und ostan hats schuah gebn, de san halt nachgetragen wordn bis sie gonz hin warn." Wenn die Kleidung auch oft geflickt war, so war sie doch immer sauber, die Frisur immer makellos, aber das hat früher keinen interessiert, das war einfach nicht so wichtig wer wie viel hat, da eh alle gleich viel oder gleich wenig gehabt hat. " hat eh fast jeder nachn stall grochn in da schul, war ja zerst zum melchn und mistn vorm weggehen in da fruah, aber des war normal. Da hat kana wen ausglacht, kana angebn, mia habma ka Zeit ghabt für so was, und was anders habma nit gekennt - viel zum tuan war schon, aber stress habma nit ghabt - früher wars schon besser!" Als kleines Mädchen hat sie in der Schule noch den Kaisergeburtstag feiern dürfen. "Gfreit habma uns drauf, und dann is der gar nit aufgetaucht. War sicha zweit, da von Wien eina"
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Beruf durfte sie keinen lernen, als Ältest musste sie den Hof übernehmen. Ihren Mann lernte sie kennen beim "grantnklaubn" ( Preiselbeeren) - "der war da auf Urlaub, in Kirchheim wegn dem Heilwasser, fesch war der, Offizier, a deitscha, ka richtiga, aus Bayern. Bei da Marine und des wo in Bayern gar ka Meer is, aber der war in Hamburg stationiert". Drei Monate ist er auf kur gewesen, dann kam die Heirat - " wenns passt gspiast des anfoch" - dann musste er zurück um alles zu regeln, zwecks Austritt aus der Marine, und der Vater war froh einen Mann am Hof zu haben. Am Tag der Abreise gab sie ihrem Angetrauten bekannt, dass sie schwanger sei. "Da wollt er gar nit fahren, aber i hab gsagt dann bist a Fahnenflüchtiger und a toter Ehemann nutzt ma nix". Am selben Tag überfiel Deutschland Polen. " am nextn Tag is da Nachbar kuman und hat gsagt mia san im kriag. Mia habn ja ka Zeitung ghabt, Fernseher a nit und radio hats a kan gebn, habma eh kan Strom ghabt für des zeig." Und als ob sie es geahnt hätte kam die nächste schlechte Nachricht: "als kriegswichtig habns ihn behalten, a Offizier druckt sich nit vor seina Pflicht habns gsagt. Und hiatz muas er dem Führer dienen. Der hat bei uns kan interessiert, de paar was in da Partei warn waretn eh jedn andern todl a nachglafn. Wenn er anfoch vaschwundn war hättn se ihn gsuacht und daschossn. Was hätt i machn solln. Des is heit ganz anders - des wissts gar nit wie guat des es habts"!
Um das ganze jetzt zu verkürzen - sie arrangierten sich, schrieben sich so oft es nur ging, das Kind (meine Tante) kam gesund zur Welt und mit Fronturlaub nutzten sie die Zeit so gut es ging. Beim letzten Fronturlaub schlug der Storch wieder zu " i hab nit gwusst wie des gehn werd, die Herta hat grad erst zum lafn angfangen, wieda schwanger, da Mann im Kriag und zum heign war a"! Die Geburt der Zwillinge hat er nicht mehr erlebt "im März 41 habn sie des U-Boot vor Island versenkt, an briaf habns gschriebn, als ob i davon was ghabt hätt, und die ordn habns vorbeigebracht, aber den Mann und Vater habns ma gnommen. Nit amol beerdign hab man kennen." Aber die Arbeit und die Kinder haben ihr über die Trauer hinweg geholfen. "Da san an Haufn nit mehr zruck kuman. Des lebn hat ja weitergehn miassn, vakriachn hätt a nix genutzt!" Zu den Gräueltaten befragt sagte sie immer, dass sie schon gewusst hätten was vor sich geht, sogar aus ***** haben sie die Juden abgeholt - "Des hab i nit vastandn, beim Kaufhaus vom I. Nacht hab ma sogar mal eingekaft, der war ganz a freindlicha, und dann habns ihn weggebracht. Aber mia habma uns nix sagn getraut, weil dann hättn se uns a gach eingesperrt!" Ob früher echt alles besser war?!
Die Zwillinge starben nach der kurzen Lebensdauer von zwei Jahren und meine Großmutter machte weiter, weil ihr nichts anderes übrig blieb. Bis sie meinen Großvater traf, im Jahr 1948.
Mein Großvater war einer der alles konnte. Nur mit uns Kindern konnte er nichts anfangen. Ich bewunderte ihn, und saß oft daneben wenn er im "Machlkammerl" (Werkstatt) etwas herstellte. Er hielt es nach dem Motto: "Wenn i des selber mach, brauch i kan drum fragen. Und wenn i kan fragen muas, bin i kan was schuldig!" - und ja, er machte alles was nur ging selber. Jähzornig, stur, lieblos, fleißig, penibel, verschlossen, geizig - aber mein Opa. Ich lernte durch zusehen, denn er erklärte nichts, denn "mir hat a kana was erklärt oder gezagt wies geht". Und ich lernte vieles. Vor dem Krieg war er Rossknecht, hat im Wald mit Norikern Holz gerückt und Pferdefuhrwerke bedient. Aufgewachsen in eher armen Verhältnissen, kaum Schulbildung, Arbeit war wichtiger denn die machte satt. Hart war das Leben, wir wüssten gar nicht wie gut es uns heut ginge! Da war es schon wieder.
Als ich vierzehn war und somit " alt und gscheit gnuag dass des vastehst" erzählte er mir das erste mal vom Krieg. 28 Jahre alt war er als er eingezogen wurde, zur Infanterie, sein Bruder ein Jahr früher. "I wollt mi verstecken, aber irgendwann hättn se mi gfundn, und den nachbarbuam habns gholt weil er davon glaufn is - den hab i dann a nie mehr gsegn. Aber wie i dann in da kasern war, wars gar nit so schlimm. Mia habn uns nix vurstelln kennan was kriag is - des war weit weck. Und für die Wochenschau habma ka geld ghabt und fürs Gasthaus wo da Volksempfänger gstandn is a nit. In da kasern hab ma dann von die großen Siege gheat und wie wichtig ma sein fürn Führer. Und mia warn so bled und habn den Dreck geglabt. Aber des erste mal dass i drei mal am Tag was zum essn ghabt hab! Guat is ma gangen. Dann habn sie uns in an Zug gsetzt und in die tschechei gschickt. Von durt aus is dann rund gangen, und nur mehr zfuas weita. Da war dann des essn a nit mehr so guat."
Es verschlug meinen Großvater an die Ostfront. "Russland. Mia habma nit amol gscheide wintersachn ghabt. I hab mei schokolad gegn gestrickte sachn getauscht, da Bruder war schon durt und hat gschriebn dass arschkalt is!" In Stalingrad war dann Endstation. Da wurden auch die Haare meines noch jungen Großvaters über Nacht weiß. Er hat mir nie irgendwelche Einzelheiten erzählt. Auch nicht vom Weg nach Russland, außer: "da samma marschiert, und da waren kirschbama und zwetschgnbama, überall. So große kerschn hab i noch nia gsegn. Und de habma geklaubt und gessn. Und kana hat gsagt, he des is mei bam, des derfst nit. Früher wars schon bessa. I wollt beim ham gehn ane reissa mitnehmen, zum veredln von unsan kirschbam daham. Aber daraus is nix worden!" Der Grund waren drei Granatsplitter im Allerwertesten meines Großvaters, verwundet in der Hölle von Stalingrad. Zu seinem Glück - Dadurch wurde er ausgeflogen bevor der Kessel geschlossen war. "I hab mi gfreit dass i durt weck kum, mia habma gwusst dass durt nit lang überlebst. Da ane neben mir im grabn hat sich selba in hax gschossn damit er ham kumt."
Er wurde ins Lazarett geflogen, zwei Splitter konnten entfernt werden, "den dritten habn se nit gfundn, und i hab mir gedacht, nit dass der drin bleibt und deswegn da Blitz einschlagt. Des tat an Brenner machn". Nach einem zweimonatigen Aufenthalt wurde er Diensttauglich geschrieben und erhielt den Marschbefehl. " I hab gedacht hiatz werdn se wohl gnuag habn von mir und mi ham lassn. Dann habn se mi Frankreich gschickt. Normandie. Ruhig is durt, da passiert an nix. Hab i eh gsegn." Am Atlantikwall angekommen sah es zunächst etwas besser aus, Essen gab es auch und neue Uniform, und die Temperaturen waren besser als in Russland. Und dann kam der D-Day. "Auf amol habn die Sirenen gjault und i hab gwusst hiatz sitzt in da nextn scheisse. Und genau so wars. Mir hats greicht, i wollt kan kriag, i wollt ham." Als einziger Überlebender seiner Stellung ergab er sich und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Dort erfuhr er, dass sein Bruder beim Rückzug aus Russland gefallen war. "Gfalln is er nit, daschossn habn se ihn, aber nit da russ, die deitschn, die eigenen leit!" Ich fand im Nachlass meines Großvaters ein Kriegstagebuch seines Bruders mit Einträgen von der Front.
"Donnerstag, wir fuhren Streife und kamen zu einem Bauernhof. Die Bewohner die nicht rechtzeitig flohen fanden wir verstümmelt, erhängt, die Frauen vergewaltigt mit Schildern um den Hals auf denen Nazischwein stand. Das waren einfach nur Bauern. Die haben doch niemand etwas getan. Vier Tage folgten wir der Spur, bis wir den russischen Stoßtrupp fanden als sie ein Haus plünderten. Keiner hat es überlebt."
"Samstag, zwei Kilometer vom Kommandostab entfernt griffen wir heute zwei Landser ohne gültige Papiere auf. Sie liefen genau in Richtung Kommando. Ich sah meinen Kameraden an, er nickte und sagte zu den beiden, sie sollten die Hände runter nehmen und sich etwas weiter südlich halten, wenn sie lebend nach Hause wollten. Ich kann doch nicht auf unsere eigenen Leute schießen!"
"Montag, ich fand heute die beiden Landser vom Samstag. Aufgehängt auf einem Laternenpfahl. Deserteur stand drunter. Das Standgericht hat sie erwischt. Können wir noch entmenschter werden? Sie wollten einfach nur nach Hause. Jeder will das"
Ca. drei Wochen nach diesem Eintrag wurde er vom Standgericht hingerichtet, weil er sich weigerte "Deserteure" zurück zu schicken oder zu erschießen. "Soldat war er, da Christian, zum Mörder habn se ihn gmacht, wie alle von uns, und dafür habn sie ihn dann daschossn wia an Hund!" Mein Großvater hatte nur dieses Tagebuch und ein Foto als Erinnerungsstücke. Ob früher echt alles besser war?
In der Gefangenschaft arbeitete er als Koch im Lager und lernte Englisch - selbst mit 85 konnte er noch alle Tiere, Farben und Zahlen benennen. Das Wörterbuch aus der Gefangenschaft befindet sich in meinem Besitz. "Bei die amis is ma guat gangen. Da hats sachn zum essn gebn, de hab ma gar nit gekennt. Ananas, Kaugummi, Truthahn, und Siases, was ma daham gar nit ghabt habn. Da hab i sogar zuagnommen."
1948 kam er aus der Gefangenschaft, und fand eine Anstellung als Knecht am Hof meiner Großmutter. "Arbeit war überall, die Männer sind abgangen. Und beim Bauer hast a zum essn kriag. Des war früher schon bessa".
1950 kam dann mein Vater zur Welt. Mein Großvater blieb am Hof, heiratete meine Großmutter aber nie, trotzdem waren sie bis zu seinem Tod fünfzig Jahre ein Paar, mit gelegentlichem Streit, aber doch gemeinsam alt geworden. Mein Vater wurde, ebenso wie seine Halbschwester mit mehr als strenger Hand erzogen und stellt euch vor was er wenn er über seine Kindheit erzählte immer sagte? Richtig. Ihr wisst gar nicht wie gut ihr es heut habt.
ICH weiß nicht ob früher alles besser war, vielleicht empfindet man einiges so, und die Schicksalsschläge die man erfahren hat wiegen das wieder auf. Ich weiß auch nicht ob ich meinen Enkeln mal erzählen werde, wie gut alles war, und ob sie wüssten wie gut es ihnen gehe, aber eines weiß ich - ich versuche mein bestes, ich selbst zu sein, und Gegenwart und die Zukunft so gut es geht zu gestalten. Ich möchte nichts bedauern oder bereuen, und selbst die Fehler die ich machte, haben mich zu dem geformt was ich bin. Möglich dass auch einiges für mich früher besser war, aber dann habe ich die Pflicht es mir und meiner Familie auch so gut es nur geht zu richten. Dann wissen meine Kinder und Enkel selber wie gut es ihnen geht. Wenns früher besser war, na dann kanns nicht schlechter werden - ergo geht es wieder bergauf ;)