Und dann war Folgendes: „Ich weiß noch nicht wen ich wähle, aber Van der Bellen sicher nicht!“, sagte Frau S. zu mir auf die naheliegende Frage nach der Bundespräsidentenwahl am Samstag vor nämlichem 1. Durchgang. Auf die schüchterne Gegenfrage, wo denn diese strikte Ablehnung herkommt, die prompte Antwort: „Weil die Vassilakou in meinem Bezirk das Parkpickerl eingeführt hat! Ich war total enttäuscht, dass sie den Unfall [mit dem Fahrrad im April, Anm.] überlebt hat!“

Auch heute, zwei Wochen später, ist meine Spucke noch immer nicht an ihren angestammten Platz zurückgekehrt.

Jene Frau S., mit der sich obige Konversation abgespielt hat, ist eine entfernte Bekannte. Sie gehört sicherlich nicht zu den ganz großen Geistesakrobatinnen des Landes, ist aber von himmelschreiender Dummheit weit entfernt. Kurz gesagt, die paar Mal im Jahr, wenn wir uns zufällig über den Weg laufen, kommen wir ganz gut aus miteinander.

Es ist ganz heilsam, hin und wieder aus der eigenen Blase herauszukommen. In den englischsprachigen Ländern wird das auch echo chamber genannt – man ist sich im Freundeskreis eigentlich einig, man liest nur, was man lesen will und ignoriert die Welt rundherum ansonsten geflissentlich. Das überrascht nicht wirklich. Aufrechte Nazis, beispielsweise, könnten nicht meine Freunde sein und seien sie noch so nette Menschen. Vegane Anarchist*_!?%Innen auch nicht. Oder Vogelspinnenfreunde. So bildet man sich eben die angesprochene Blase, in die kaum was hineindringt.

Im Extremfall bleibt die reale Welt draußen. Als Newsjunkie verfolge ich die Nachrichten durchaus aufmerksam, mehrmals am Tag, und decke dabei eigentlich die gesamte Bandbreite ab. Und doch ist es eine echo chamber. Egal, ob jetzt konservative Presse oder liberaler Standard oder gar die Kronen Zeitung, auf eines nimmt niemand Rücksicht: Die absolute Unbildung der Massen. Ja, da wird das Parkpickerl dem Bundespräsidenten umgehängt. Und selbstverständlich ist der Bezirkskaiser verantwortlich dafür, dass an den europäischen Außengrenzen keine Minengürtel und Selbstschussanlagen installiert werden.

Ich laste das nicht dem Einzelnen an

Frau S. hat andere Sorgen, die sie in Beschlag nehmen. Der Luxus, den ganzen Tag vor einem Bildschirm zu sitzen und sich alle Facetten der KandidatInnen genau ansehen zu können, den hat sie nicht. Weil sie auf den Beinen ist, Geld verdienen, laufen, schleppen, Kreuz ruinieren, am Abend todmüde aufs Sofa fallen, Abschalt-Dumm-TV, und am 1. nachdem die Miete abgegangen ist schaut’s am Konto trotzdem wieder recht mager aus. Dann kommt da die Vassilakou mit ihrem Parkpickerl. Das tut weh. Dafür müssen die Grünen jetzt büßen. Egal, worum es geht. Wären es die Blauen gewesen, müssten die Blauen büßen. Das ist alles vollkommen unideologisch, aber irgendwer muss für Wut und Angst zahlen.

Schon wieder die Bildung

Das Problem ist, dass S. wie so viele aus ihrer Schulzeit – Hauptschule, HASCH irgendwann in den 90ern soweit ich weiß – nichts hat, wovon sie in dieser Richtung zehren könnte. Das Grundlagenwissen zu derart wichtigen Fragen ist nicht vorhanden. Es ist leider auch 2016 noch wichtiger zu lernen und abzuprüfen, wie viele Wimpern der australische Grubenmulch hat denn die Grundsätze der Republik und wie sie funktioniert zu vermitteln. Wie bei so vielen Dingen kann man hier wieder einmal das Hauptproblem an der Bildung festmachen.

Kein Wunder, dass Menschen wie S. keine gefestigte, fundierte Meinung bilden können. Keinen Überblick haben außer über ihre unmittelbaren Lebensumstände. Sie dem nachlaufen, der ihnen am lautesten nach dem Mund redet, ihre Ängste geschickt verstärkt und unrealistische Nichtlösungen für eh alles andienert. Denn Angst funktioniert. Und umso mehr Unbildung und damit konkrete Existenzangst wir uns leisten, desto besser wird sie funktionieren. Das müssten die etablierten Parteien endlich verstehen (und vor allem wer immer unser neuer Bundeskanzler wird). Dann bräuchten sie auch am Wahltag nicht immer so betreten in die Kameras schauen.

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robby

robby bewertete diesen Eintrag 09.05.2016 16:40:33

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