Die Probleme der Satten, die hungrig gemacht werden müssen

Essen ist etwas, das man in den Mund steckt. Unter anderem. Im Moment ist das Essen dabei, sich auf die egozentrische Vorstellung von höchst persönlich tolerierbaren Nahrungsbestandteilen zu reduzieren. Es handelt sich nicht mehr um die triviale Aufnahme von Speis und Trank, sondern um ein Bekenntnis, ein Statussymbol. "Mein Auto", "mein Haus" sind überholt, jetzt punktet "mein Japaner", "mein Veganer".

Man diniert dem Zeitgeist entsprechend nach strikten selbst auferlegten Regeln und da ist politisch korrekte Nahrung das Mindeste. Regional und nachhaltig: Das tut dem Selbstwert gut und streichelt das schlechte Gewissen, das man möglicherweise dem Brathuhn gegenüber empfindet. Vorhang auf für den viel zitierten Metzger des Vertrauens, der das Schwein ganz sicher am Stroh hinter der Theke hält und tot streichelt. Niemand würde freiwillig Hühner und Schweine zum Kilopreis von Zwei-Euro-Neunundneunzig in den Einkaufswagen legen. Außer den paar Millionen Kunden in den Supermärkten.

Der Esser von heute ist kein Allesmampfer sondern selbstverliebt auf seine Geisteshaltung gegenüber dem Produkt, das er in den Mund steckt, bedacht, gerade so, als wäre die Abweichung vom unerschütterlichen Glauben an das eine oder andere Lebensmittel, das längst zum Symbol einer Lebenseinstellung mutiert ist, eine Tragödie sondergleichen.

In der Verweigerung liegt die Kraft und das selbst auferlegte Verbot bestimmter Nahrungsmittel, das bisweilen in neurotischen Zwängen mündet, erhebt den Asketen aus der Masse. Kasteiung wird als wohltuender Masochismus zelebriert, eine Art von Qual, die gut tut im Meer des Überangebots.

Beim gemeinsamen Essen tun sich tiefe Gräben auf, zwischen Grüntee, Latte Macchiato und Smoothies brechen Glaubenskriege aus. An vorderster Front ziehen kämpferische Allesvernichter gegen erbitterte Veganer ins Feld und umgekehrt. Andere umgeben sich mit dem Nimbus diverser Unverträglichkeiten und schwören sich gluten-, fructose und lactosefrei ein: So erklärt sich der rasant wachsende Sektor dieser "frei von" und "ohne" Lebensmittel, die in Wahrheit nur eine minimale Anzahl von Bürgern benötigt.

Detox und clean muss das Essen sein, unberührt von all dem Bösen dieser Welt. Gerne darf es auch Superfood sein, das nach Goji oder Acai klingt, je exotischer umso lieber. Da lässt man sogar die Regionalität von heimischem Obst und Gemüse links liegen, das so triviale Namen wie Äpfel, Birnen oder Karotten trägt. Das ist für viele fast so schlimm wie die Vorstellung, Leinsamen zu essen, lieber giert man Chia.

Längst hat die Industrie erkannt, dass es nicht darum geht, hungrige Menschen satt zu machen sondern satte Menschen hungrig und diese gelüstet es nicht nur nach ethisch und moralisch einwandfreiem Essen. Das, was man in den Mund steckt, muss eine Aussage haben, ein individuelles Statement, oder zumindest das Flair der Selbstoptimierung. Vor lauter rigidem Streben nach Exklusivität merken die Meisten gar nicht, dass der ganze Zauber von der persönlichen Präferenz dabei ist, Allgemeingut zu werden und vom Mainstream verschlungen zu werden.

Was kann an der Produktion jeglicher Art von Lebensmitteln für Millionen von Menschen  schon individuell sein, außer der Illusion, dass man sich von der Masse abgehoben ernährt? Glaubt wirklich irgend jemand, die Milliarden von Acai-Beeren, die tagtäglich über die Märkte rieseln, wachsen gemütlich im peruanischen Kleingarten?

Immer größere Massen kochen ihr scheibar individuelles Süppchen auf der Suche nach außergewöhnlicher Kost, sie sitzen in Heil oder wenigstens Prestige versprechenden Lokalitäten und während sie sich durch die Exklusivität futtern haben sich die geheiligten Hallen ihrer Ersatzreligion längst zu Konzernketten gemausert. Was zählt, sind die Zehntelsekunden beim Steak oder den Jakobsmuscheln und nicht die unbezahlten Überstunden der Bedienung und auch nicht, dass die teuren Scampi, die nonchalant verputzt werden, in Wahrheit billige Garnelen sind oder dass die Geschmacksknospen so mancher Slow-Food-Anbeter bei Gammelhuhn an Schimmelpasta explodieren. Kein Wunder, ist doch das Gehirn erwiesener Maßen das effektivste Manipulationsorgan des Menschen, das sich notfalls selbst den schlimmsten Fraß zurecht biegt, wenn das Ambiente passt.

Die Regale in den Supermärkten tragen millionenfach die vermeintlich alternativen Gustostückchen, die längst lukrativ eine immer breitere Konsumschar erobern samt all den zwielichtigen Bestandteilen und Inhaltsstoffen, die die vom eigenen Ernährungscredo verblendete Kundschaft durchwegs ignoriert.

Das gemütliche Beisammensein zum gemeinsamen Essen wird zum peinvollen Spießrutenlauf durch die diversen Ess- und Trink-Ideologien der Gäste, die nach persönlichem Gutdünken ihre streng geordneten Prinzipien aus dem Überfluss picken. Da bekommt sogar die ehemals ausschließlich als Schweineschmaus verfütterte Sojabohne den Nimbus einer besonders ethischen Form der Ernährung und wer derlei Ersatzprodukte ekelhaft findet, landet sofort in der Fleischfresser-Schublade. Wie trivial auch, sich als Veganer oder Vegetarier aus den prall gefüllten Gemüsetheken der Märkte zu bedienen und selbst zu kochen anstatt das Sojalaibchen aus der Folie zu reissen. Da lebt man am Zeitgeist vorbei.

Besser man lobt die einzigartge Optik der phantasievollen Happen auf den großen Tellern bevor man sich die Kunstwerke der Showmaster im Koch-Outfit einverleibt. Kein Mensch käme dabei auf die Idee, an so schreckliche Dinge zu denken, wie etwa, dass in manchen Teilen der Welt jedes zweite Kind verhungert. Da könnte sich einem glatt der Magen umdrehen und der falsche Scampi hochkommen.

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billi57

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Andreas Dolezal

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fischundfleisch

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