Viele haben sich die Vorstellung zu eigen gemacht, dass Russland aufgrund seiner Staatstraditionen für die Demokratie völlig ungeeignet ist. Ein Empire of Evil. In Ewigkeit. Amen.
Oft heißt es, dass Russland viele staatliche Institutionen von der Goldenen Horde geerbt hat. Und darum schon immer in einer Autokratie war. Die Russen haben immer Zaren, Generalsekretäre oder autoritären Präsidenten. Was anderes könne es nicht geben.
Wenn z.B. ein Navalny oder Ilya Yashin an die Macht kommen würde, würde er unweigerlich früher oder später sich zu einem neuen Stalin-Putin entwickeln. Russland in einem ewigen historischen Teufelskreis.
Denn Russland habe nie einen echten Parlamentarismus, einen Rechtsstaat und Gewaltenteilung gehabt. So etwas wie die Französische Revolution, aus der der heutige Westen hervorging, hat es in Russland nie gegeben.
Die Schlussfolgerung daraus ist oftmals, dass man aufhören soll, naiv von einem demokratischen Russland zu träumen. Es ist erwähnenswert, dass auch Putin immer wieder versucht hat, den Westen davon zu überzeugen, dass Russland keine Chance hat, demokratisch zu werden.
Durch sein eigenes Handeln hat Putin das Bild eines wilden, orientalischen Russland geschaffen, das seine Gegner mit Polonium vergiftet, Dissidenten wegsperrt und überhaupt ein riesigen Atombomben-Arsenal besitzt und daher nicht "heilbar" sei.
Laut Putin wird es in einem solchen Staat niemals eine Demokratie geben und der Westen muss daher aufhören, naiv über die Aussichten auf eine Demokratie in Russland zu sprechen, denn das könnte Putin nervös machen und ihn provozieren → Atomwaffen → Man kann nichts tun.
Putin zufolge muss sich der Westen einfach anpassen: an das heutige Russland, was bedeutet, dass der Westen lediglich einen Dialog mit Putin führen muss, unabhängig davon, wie er sich verhält.
Angela Merkel sagte vor 1-2 Jahren: "Wir haben unser System, und in Russland haben sie ein anderes System.” Klingt zunächst nach einer realpolitischen Tatsachenbeschreibung. Der Kern ist aber “Wir werden Russen nie ändern können, daher müssen wir sie nehmen, wie sie sind”
Auch Emanuel Macron ist ein Beispiel dafür, dass westliche Staats- und Regierungschefs bereit sind, diese von Putin auferlegte Doktrin zu akzeptieren und sich ihr anzupassen, weil Macron nicht glaubt, dass Russland anders sein kann.
Es ist problematischer als es auf den ersten Blick erscheint. Denn wenn man Russland akzeptiert, wie es (angeblich auf Ewigkeit) ist, dann akzeptiert man auch den russischen Imperialismus. Eine zu tolerierende russische Hegemonie im Post-Soviet-Space ist die logische Folge.
Inklusive Belarus und der Ukraine. Dies hat zur Folge, dass viele westliche Politiker immer noch bereit sind, die Ukraine geopolitisch zu "opfern", um Putin "entgegenzukommen".
Man kann die Argumente, die sich auf den historischen Determinismus stützen, dass Russland niemals in der Lage sein wird, eine Demokratie zu werden, weil seine Vergangenheit es angeblich daran hindert, eine Demokratie zu werden, auf verschiedene Weise bewerten.
Ich glaube nicht an solche Argumente, denn ich kenne viele Beispiele von Ländern oder Nationen, die keine demokratische Erfahrung hatten, bevor sie sich Ende des 20. Jahrhunderts zu erfolgreichen Demokratien entwickelten.
Das beste Beispiel ist Taiwan. Chinesen (ebenfalls angeblich auf Ewigkeit demokratieunfähig) zeigen in Taiwan eine außergewöhnliche Fähigkeit zur Demokratie. Trotz aller "Beweise" warum die Chinesen und der Konfuzianismus nicht mit der Demokratie vereinbar sind.
Daher glaube ich nicht, dass Russland niemals eine Demokratie werden kann. Denn das ist es, was Putin behauptet.