Seit die Menschheit weiß, dass die Welt rund ist hat sie jede Ecke des Globus erforscht und erkundet. Es gibt keine weißen Flecken auf der Weltkarte und das Weiß an den Polen gehört bald der Geschichte an.
Da sollte man meinen das Leben ist langweilig geworden und es gäbe nichts mehr zu erforschen. Man könnte daheim vor dem Computer versauern und versuchen, seine virtuelle Umwelt mit seiner Anwesenheit zu belästigen. Die Welt denen zu erklären, die ebenfalls zu faul sind, sie selbst zu erforschen. Was, wie wir wissen, hier einige tun.
Doch in Zeiten von Krieg gibt es wieder diese Abenteuer, diese Ländereien die niemand mehr besuchen will, die plötzlich wieder ganz weit weg und unerreichbar erscheinen.
Was zuvor ein Katzensprung war, wird zum No-Go-Ziel aus dem man versucht möglichst bald zu verschwinden versucht; zur Not mit Hilfe von Papa Staat, den man sonst so sehr verachtet.
Oder man versucht den Menschen das Land zu erklären, wo man doch selbst seit Kriegseginn nicht mehr da gewesen ist, aber noch ein Schoßhündchen bei der Schwiegermama dagelassen hat. Man hat sich sein Weltbild aus Propaganda-Schnipsel zurechtgelegt hat und fühlt sich als Experte, verkennend dass es einen großen Unterschied zwischen der offiziellen Verlautbarung und dem Denken der Menschen gibt, was sie aus bekannten Gründen nicht öffentlich äußern können.
Was also liegt näher, dieses Abenteuer doch zu wagen? Ja, wir sind gar gezwungen das Abenteuer zu wagen, wollten wir uns den Ruf als erklärende Plaudertasche nicht zu eigen machen wollen.
Ein großer Gedanke will leben, er will sich bewegen, er will arbeiten, er will aktiv sein. Er reicht ihm nicht in den digitalen Welten mit dem einen oder anderen kleinen Rülpser zu verstauben.
Die Visastelle der Botschaft ist derzeit nicht ausgelastet, die botschaftseigene Werbung für die Krim als Urlaubs-Geheimtipp etwas befremdlich. Andere Länder haben andere Sitten? Die Bearbeitungszeit des Visa beträgt einen Tag plus die Zeit für den Kurierdienst und dann war auch schon das Flugticket nach Tallin und das Busticket nach Leningrad gebucht.
Leningrad? Heute heißt das ja anders.... Wartet mal... St. Petersburg heißt es heute wieder. Trotzdem ist Leningrad ein bemerkenswerter Begriff, denn viele wissen nichts mehr von der Belagerung im WWII, 28 Monate dauerte die Belagerung und kostet über einer Million Menschen das Leben, 90% davon sind elendig verhungert. Doch in deutschen Hirnen ist nur Stalingrad präsent.
Nach einigen Stunden Fahrt und einigen Stunden in den Grenzkontrollen dämmerte es in der Frühe und am Horizont vor St. Petersburg stand eine schwarze Rauchwolke hoch am Himmel. Ich weiß nicht, ob die immer dort ist, es könnte was Wahres dran sein, dass Putin da schmollend unser Gas abfackelt. Es muss in der Seele weh tun, denn es zeigt, dass die Gasförderung nicht so einfach abgedreht werden kann, ohne die logistischen Einrichtungen nicht zu beschädigen. Viel Gerede um Lieferungen nach China, wo doch die Leitungen nicht existieren.
Weithin sichtbar auch der Gasprom-Tower, mit über 430 Meter das höchste Gebäude Europas. Außer ein paar Büros von Gazprom soll da nicht viel drin sein, wenn auch vieles angekündigt wurde. Da fehlte wohl das Geld oder die Inspiration nachdem die Fassade fertig gestellt wurde.
In St. Petersburg herrscht touristischer Trubel. Die Stadt ist voll mit russichen Touristen. Wo sollen sie bei dem Embargo sonst auch Urlaub machen? Gefühlt war ich der Einzige aus dem Westen; was sicher nicht den Tatsachen entsprach.
Vom Krieg sieht man nichts, es ist nicht Thema im öffentlichen Raum. Allerdings ist der auch flächendeckend mit Kameras überwacht. Ein müder Reisender der mal eben auf einer Bank die Augen pflegt, erweckt bald die Aufmerksamkeit irgendeines Wachmannes/fraues. Ich bin mir sicher, dass diese Kameras auch Ansammlungen und Proteste unmittelbar erkennen und dann den einen oder anderen Trupp mit uniformierten Schlagstockträgern hinschicken, die hin und wieder im Stadtbild zu sehen sind.
Wer sich hier im feinen Westen Europas über fehlende Meinungsfreiheit, Zensur oder Überwachung beschwert, dem rate ich, - es gibt ja kein Reiseembargo - einen Ausflug in diese schöne Kulturstadt an und sich dort mit einem politischen Anliegen auf die Strasse zu stellen. Er wird dann alsbald die Unterschiede erkennen.
Zu den touristischen Schönheiten, wie die Metro, Eremitage oder den vielen Kirchen braucht man hier nichts zu schreiben. Der interessierte Leser kaufe sich einen der vielzähligen Reiseführern.
Ganze Ladenzeilen mit westlichen Firmen stehen leer, die Schaufenster mittlerweile ungepflegt und verschmutzt, die Schaufensterauslagen halb ausgeräumt. Der Abzug der westlichen Firmen soll mittlerweile 5 Millionen Arbeitsplätze gekostet haben; diese Zahl könnte nachvollziehbar sein.
Ein paar Kettenrestaurants wie BurgerKing und Subway gibts noch. Ob die in Eigenregie betrieben werden, ist mir nicht bekannt. In Supermärkten sind westliche Produkte, wie Pepsi, noch erhältlich. Ob sich das Warenangebot seit dem Embargo verändert hat, wissen andere vielleicht besser.
Weithin ein Rätsel wird sein, wie man diese Mengen an modernen westlichen Autos in Betrieb halten will. Ob Deutsche, Japaner, Franzosen, Briten oder US-Cars, die Stadt quillt über mit Autos. Ersatzteillieferungen sollen derzeit über Kasachstan und dort mit Amazon erfolgen. Ich gebe dem Land noch ein halbes Jahr, dann werden sich Halden von reparaturbedürftigen Autos auftürmen. So schnell kann Russland keine eigene Produktion starten, als dass es die Nachfrage nach Fahrzeugen bald befriedigen kann. In Elektronicshops sind deutliche Warenlücken erkennbar. Was die Technik angeht lebt Russland derzeit nur von der Substanz. Die Zukunft wird sich zu einer mindertechnisierten Welt, wie wir sie vor 30 Jahren kannten, hinbewegen. Mit diesem Krieg hat Putin den Russen keinen Gefallen getan, das ist jetzt schon sichtbar, auch wenn es in der öffentlichen Diskussion noch unter der Decke gehalten wird.
Die Grenzkontrollen erinnerten in Teilen an DDR-Standards. Vor allem die Fahrzeugkontrollen, ob Bus oder Privatfahrzeuge erfolgt intensiv: Alles ausräumen, jede Verkleidung abgeklopft, mit Spiegeln unters Fahrzeug, usw. Mit dem gesamten Gepäck musste man durch die Pass- und Zollkontrollen, die zäh und langsam vorangingen. Das Gepäck wurde wie am Flughafen gescannt, jedoch nicht durchsucht, zumindest nicht bei meinen Grenzübertritten. Der Pass wurde mindestens vier mal kontrolliert. Zu den Personenkontrollen hat man Vorfeld viel Schauergeschichten gehört. Es wird viel von intensiven Befragungen und Verhören, auch zu nichtigem oder gar ohne Anlass, berichtet. Davon kann ich persönlich nichts berichten und ich wollte das schon in die Kategorie der urbanen Märchen abtun - bis bei der Ausreise alle im Bus anwesenden Ukrainer vorweg ausgerufen und separatiert wurden. Sie wurden lange kontrolliert, die Männer intensiven Befragungen in Büros verbracht. Nach langer Wartezeit haben wir dann doch alle - ziemlich schweigsam - wieder zurück bekommen. Einige sind später dann nach der EU-Grenze in Flüchtlingsaufnahmelager gegangen.
Im Gesamten betrachtet kann man St. Petersburg mit Städten der Ost-EU-Länder vergleichen, die Standarts kann in vielen Dingen miteinander vergleichen. Mit der Dauer des Krieges und des Embargos wird sich manches zum Negativen ändern.
Mit einer anständigen Regierung und Höflichkeitskursen für den einen oder anderen Grenzer wäre eine Mitgliedschaft in der westlichen Gemeinschaft bald denkbar. Der Schlüssel hierzu liegt im Kreml; die Türglocke an Nachbars Gartenzaun im Donbas.