AUXIT – BREXIT – CZEXIT – DAEXIT – FREXIT – GREXIT – ...?

France 2

Auch Teile der französischen Linken schließen ein FREXIT nicht gänzlich aus: Jean-Luc Mélenchon und die Journalistin Léa Salamé in der Kultsendung des Kanals France 2 »On n’est pas couché« am 20.02.2016

Sind die wenigen, die bisher gegen einen Beitritt zur EU optierten, jene, die den Austritt schon beschlossen haben oder es zu tun erwägen per se »schlechte Europäer«? Wohl kaum! Wenn man genau hinsieht, und dies gilt auch für die Briten, möchten sie einer EU nicht angehören, wie sie in Brüssel von Theoretikern aufgezogen worden ist und die für basisdemokratische Entscheide nichts übrig hat. Die Erschaffer der jetzigen EU geben ungern zu, dass de Gaulle recht hatte, als er ein Europa der Vaterländer postulierte.

Wer sich den Istzustand der EU vergegenwärtigen möchte, tut gut daran, den Kommentar »Die Lebenslüge der EU« von Thomas Fuster zu lesen, der gestern, am 6. August 2016 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) erschienen ist. Ein Kernsatz darin lautet: »Gefordert ist ein kontrollierter Rückbau, der die EU wieder in Einklang bringt mit der Realität souveräner Mitgliedstaaten.«

http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/europas-institutionen-die-lebensluege-der-eu-ld.109388

Meines Erachtens erklärt sich die Duldsamkeit der EU-Mitgliedsländer durch die Tatsache, dass sie samt und sonders und nach geschichtlichen Maßstäben bis in die Neuzeit autokratisch regiert wurden oder immer noch Monarchien sind.

Soll das heißen, dass Nationalgefühl, ja Nationalstolz, gänzlich zu verbannen seien? Um ein letztes Mal auf Thomas Fuster zurückzukommen: Er untertreibt, wenn er schreibt: »Weil sich in Europa die meisten Bürger auch 65 Jahre nach Gründung der Kohle- und Stahlunion noch immer primär als Franzosen, Deutsche oder Italiener fühlen, nicht aber als Europäer, wird der erhofften Identitätsbildung von oben herab nachgeholfen.« Es bleibt nämlich nicht bei dieser Nachhilfe im Heranziehen eines gesamteuropäischen Patriotismus. Hauptsächlich in linken Kreisen ist dieses letzte Wort verpönt, so wie Heimatliebe und Volkstum absichtlich in die braune Schmuddelecke gestellt werden. Offenbar ist ihnen noch nie eingefallen, dass eine starke nationale Identität auch Voraussetzung dafür sein kann, Migrationsströme aufzunehmen und zu integrieren. Frankreich bietet dazu ein gutes Beispiel, wo, hauptsächlich nach der russischen Revolution weißrussische Adelsabkömmlinge Taxichauffeure in Paris wurden und in regelmäßigen Abständen weitere neue Zuwanderer aus allen möglichen Ländern, namentlich aus ehemaligen Kolonien assimiliert werden mussten.

So ist es denn nicht weiter verwunderlich, dass sich für die französischen Präsidentschaftswahlen von 2017 nebst einer Kandidatin vom äußeren rechten Spektrum, Marine Le Pen, auch ein Politiker in Stellung bringt, dem Hollande nicht genügend links steht: Jean-Luc Mélenchon. Dieser sieht zwar ein FREXIT als Plan B für den Fall vor, dass Neuverhandlungen der Europäischen Verträge am deutschen Widerstand scheitern sollten. Deutschland, dessen Überalterung die Willkommenskultur für Migranten am Geburtenrückgang im eigenen Land zurückzuführen sein soll, darf nach Mélenchon beispielsweise nicht weiter am europäischen Sparkurs festhalten. Frankreichs Schwierigkeiten seien darauf zurückzuführen, dass es dank seiner »politique nataliste« (geburtenfreundlichen Politik) dringend Kinderkrippen, Kindergärten und Schulen bauen müsse. Ohne Frankreich gäbe es keine EU mehr. Sein griechischer Genosse, Ministerpräsident

Alexis Tsipras, hingegen, könne sich einen GREXIT nicht leisten, Frankreich einen FREXIT aber schon.

Ein entsprechend hitziges Wortgefecht leisteten sich am 20.02.2016 Jean-Luc Mélenchon und die Journalistin Léa Salamé in der Kultsendung des Kanals France 2 »On n’est pas couché*«.

* https://de.wikipedia.org/wiki/On_n%E2%80%99est_pas_couch%C3%A9

https://www.youtube.com/watch?v=1IydqUaJ9rk

Aus Österreich hört man von ähnlichen Wünschen, mit der EU auf Distanz zu gehen (»Initiative Heimat & Umwelt«), ebenso aus den Niederlanden (Geert Wilders).

Ein Detail wird bezüglich Churchills berühmten Zürcher Europa-Rede vom 19. September 1946 gerne vergessen: Er sprach von »... a kind of United States of Europe«. Ihm war natürlich eines durchaus klar: Zwischen einem klassischen – und praktisch einsprachigen – Einwanderungsland wie den Vereinigten Staaten und dem europäischen Kontinent mit seiner Sprachenvielfalt gibt es massive Unterschiede. Im ersten Fall musste nach der Zurückdrängung der eingeborenen Indianerstämme in Reservate eine völlig neue Lebensart erfunden werden. In Europa gehört (mindestens zu jeder Sprachgemeinschaft) eine eigene Kultur, jede ein Hindernis für sich.

Ein erster Schritt, diese Barrieren zu überwinden, könnte darin bestehen, dass Fernsehzuschauer, so weit sie über die sprachlichen Fähigkeiten verfügen, ab und zu die Sender ihrer Nachbarstaaten einschalten. Ein sechzigprozentiges Verständnis von Lesestoff oder Sendungen elektronischer Medien führt wahrscheinlich zu mehr neuen Einsichten als noch so gute Übertragungen in der Muttersprache. Ausländische Beiträge werden da oft durch die landeseigne Optik verfremdet wiedergeben. Von YouTube heruntergeladene Texte bieten sogar die Möglichkeit, auf Anhieb nicht verstandene Passagen wiederholt abzuspielen. Viel Spaß!

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Margaretha G

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