Versuch, die Übersicht nicht zu verlieren

Enrico Bergmann

Ein paar einleitende Worte

Wie lange es gehen wird, bis die weltweite Bevölkerungsexplosion und das weitere gleichzeitige Fortbestehen des Nebeneinanders hoch entwickelter Zivilisationen und Steinzeitmenschen andauern wird, kann ich nicht sagen. Das Gefühl täuscht wohl nicht: Je niedriger der geistige, kulturelle, technisch-zivilisatorische Entwicklungsstand, desto größer das ungehemmte Fortpflanzungsbedürfnis.

Auch mit einer Explosion schlechthin muss gerechnet werden. Ein Massenvernichtungsmittel in den Händen eines einzigen religiös oder weltanschaulich irregeleiteten Fanatikers, der versehentlich, ja absichtlich den roten Knopf drückt, kann zur Apokalypse für den Planeten Erde führen. Angesichts der Liste der Atommächte könnte es einem unheimlich werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Atommacht

Über die unterschätzte Bereitschaft zum (kollektiven) Selbstmord in anderen als westlichen Kulturen habe ich mich ja schon in meinem letzten Artikel »Eine Zeitbombe« geäußert.

Schade um den wunderschönen Himmelskörper, für den man bis zur Stunde seinesgleichen noch nicht entdeckt hat. Andere, namentlich nachfolgende Generationen, hätten ihn vielleicht gerne noch gesehen.

Selbstzerstörung könnte auch schleichend kommen. Durch den Exzess an umfassender Globalisierung und grenzenlosem Austausch von Menschen und Waren. Denn mit dem frenetischen Umherreisen und dem ungebremsten transkontinentalen Handel gehen andere Phänomene einher: Menschen-, Tier- und Pflanzenkrankheiten verbreiten sich massiv und in blödsinnigster Weise (im Gepäck von Billigfliegern). So wird aus einem lokalen Befall rasch eine globale Bedrohung. Wie viele unerwünschte Insektenarten und andere Schädlinge wurden in den letzten Jahren in Gebiete eingeführt, wo sie keine natürlichen Feinde haben?

Wenn vor 500 Jahren ein Mädchen aus der Innerschweiz in den Aargau heiratete, konnte es durchaus sein, dass es seine Eltern nie wieder sehen würde. In der Agrargesellschaft mussten die Leute auf dem Hof oder bei ihrem Gewerbe bleiben. Ferien gab es keine, die einen langen Fußmarsch hin und zurück erlaubt hätten. Schnellere Transportmittel waren zu teuer. Ein allgemeines Postwesen war inexistent.

Heute gibt es Skype und sowohl im Schienen- als im Straßenverkehr schnelle Fahrzeuge. Arbeit, auch hoch qualifizierte, könnte dank der Telematik noch in einem viel größeren Maß über große Distanzen hinweg erledigt werden. Das Verschieben von Waren und Arbeitskräften ließe sich stark vermindern. Das riesige Potenzial an hervorragend qualifizierten jungen Müttern könnte besser genutzt werden. Es stört weder Kollegen noch Kunden, wenn eine Übersetzerin oder Schreibkraft zwischen zwei Textabschnitten zu ihrem Baby schaut.

Längerfristig sehe ich hier auf Erden eine Rückkehr zu einer größeren Autarkie in einer Vielzahl von Gebieten, eine Abnahme der physischen Kommunikation (Personen- und Warenverkehr). Natürlich bei fortbestehendem Austausch an virtueller Präsenz und Information. Unfälle beim Personentransport, Übertragung von Krankheitskeimen, Umweltbelastung würden so stark gemindert. Vermutlich würde eine residente ländliche Gesellschaft, wie sie das Mittelalter selbst in ihren Städten kannte, selbst die Sicherheit erhöhen. Nachbarn würden sich wieder kennen, unerwünschte Eindringlinge sofort auffallen.

Ich bin ein Auslaufmodell. Wie lange mein Herz noch mitmacht, können mir die Kardiologen nicht sagen, ein Jahrzehnt, ein Jahr, ... eine Minute. Nicht weiter schlimm, ich hoffe danach auf die Einsicht in weitere Dimensionen und die Befreiung von der zeitlichen mit gestern, heute, morgen. Mit anderen Worten, das Paradies. Auf die 72 Jungfrauen verzichte ich freiwillig.

Meine Hard- und Software gehört ebenfalls zu den Antiquitäten. Natürlich zögere ich, sie noch zu ersetzen. Dies an meine treue Leserschaft, für den Fall, dass ich mich durch einen völligen Blackout französisch verabschiede (English: French Departure!).

In den nächsten Wochen sollte ich noch ein Versprechen einlösen: Eine meiner langjährigen Korrektorinnen hat einen Erstlingsroman geschrieben. Ich hab ihr versprochen, ihn zu lesen und zu kommentieren. Ich bin ein langsamer Leser. Also, wenn Sie in den nächsten Tagen nichts mehr von mir hören, stellen Sie sich vor ich sitze auf meinem Balkon im Tessin und lese einen Roman, der in der Normandie spielt. Vorher aber noch kurz:

Was uns in dieser zweiten Jahreshälfte noch erwartet

Beginnen wir mit dem Jahresende: Die größte Weltmacht, die USA – mit über zweihundert Millionen Einwohnern – muss zwischen Pest und Cholera wählen. Wohl bekomm’s!

Wie lange die EU noch auf der falschen Spur in eine unsichere Zukunft rasen will, frage ich mich. Sie ist ja inzwischen zum Selbstläufer geworden.

Wie lange die Linken und die Grünen (nach Strauß‹ Definition) mit ihren Patentlösungen noch hausieren gehen wollen? Damit sie mich richtig verstehen: Ich glaube, dass es sie einst gebraucht hat, dass wir ihnen viel zu verdanken haben und ich ihnen grundsätzlich gewogen bin. Aber jene, die mit »Anything goes« menschliche Urzellen wie Einzelwesen, Familie und Clan durch falsch verstandene Toleranz zerstört haben, wollen jetzt vom anderen Ende her, von oben nach unten, die Gesellschaft erneuern. Das wird nicht gehen.

Wie lange auf kurzfristigen Profit und Shareholder-Value getrimmte Abzocker noch schlechte Beispiele liefern wollen, weiß Otto Normalverbraucher nicht. Haben die eigentlich schon mal an ihre Nachkommen gedacht? Unablässig liefern ausgerechnet sie der Linken, die kräftigsten Argumente zur »Überwindung« des Kapitals und zum weltumspannenden Sozialstaat der – die Erfahrung hat es gezeigt – als Modell auch nichts taugt.

Die Sozialindustrie ist mir ebenso suspekt. Die – bis auf einen weit geringeren Teil – mit dem Schwindeletikett »Flüchtlingskrise« bezeichneten Probleme der wilden Massenimigration sollten ja nebenbei auch noch gelöst werden.

Was schlage ich vor?

Ich habe nicht die Ambition, allein die Welt oder wenigstens das Abendland zu retten. Was ich zur Lösung beizutragen imstande war, glaube ich getan zu haben: freiwillig darauf verzichtet, meinen Zweig am Familienstammbaum weiterwachsen zu lassen; von einem Haus mit 264 Quadratmetern zusammen mit einer verständnisvollen Frau einen Haushalt und eine sehr umfangreiche Bibliothek rigoros reduziert, bis sie in eine Einzimmerwohnung von 50 Quadratmetern passten; drei vierräderige Motorfahrzeuge liquidiert und ein Jahresabonnement für die öffentlichen Verkehrsmittel für drei Zonen unserer Agglomeration gekauft.

Reduzierte Kräfte und ein labiler Gesundheitszustand haben unsere ursprüngliche weltweite Reisetätigkeit praktisch zum Stillstand gebracht. Wir genießen jetzt den Umstand, in einer Gegend wohnen zu dürfen, die für ein Traktat der Zeugen Jehovas grafisch als Hintergrund einer Darstellung des Paradieses verwendet wurde. Da fällt einem das Zu-Hause-Bleiben entsprechend weniger schwer!

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ari

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 11.08.2016 19:26:41

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