Enrico Bergmann
Am 15. Februar 1941 schreibt Winston Churchill an Roosevelt einen Brief, der – im Unterschied zu dem sonst kriegsbedingten lapidaren Stil – mit einem höchst poetischen Bild beginnt: »Many drifting straws seem to indicate Japanese Intention to make war on us or do something that would force us to make war on them ...« Etwa: »Stoppeln, die vom Wind verweht werden (Gerüchte, Anzeichen) scheinen darauf hinzuweisen, dass die Japaner die Absicht haben, uns den Krieg zu erklären oder etwas zu unternehmen, was uns zwingen wird, gegen sie anzutreten.«
Das Bild evoziert für mich im Wasser treibendes Stroh, das einem Schiffer die Annäherung an eine Landmasse voraussagt, deren Küste er selbst vom Ausguck her noch nicht erspähen kann. Churchill, eine »Former Naval Person«, wie der ehemaliger Seefahrer sich als Absender in seiner gesamten Kriegskorrespondenz mit dem amerikanischen Präsidenten bescheiden selbst bezeichnete, sollte sich nicht täuschen: Am 7. Dezember 1941 bombardierte in einem Überraschungsangriff der Hitler-Bündnispartner Japan, die in Pearl Harbor auf Hawaii vor Anker liegende Pazifikflotte der USA. Ende dieses Jahres werden es also 75 Jahre her sein, und dann wird man sich vermutlich wieder an das Ereignis erinnern. Die USA, die bis zu diesem Angriff eine Teilnahme an Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs formal verweigert hatten, zögerten nun nicht mehr lange. Mit der Deklaration der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 traten die Vereinigten Staaten in die Anti-Hitler-Koalition mit Großbritannien und der Sowjetunion als den Hauptalliierten ein und übernahmen die führende Rolle.
»Gouverner c’est prévoir«, sagen die Franzosen; Regieren heißt vorausschauen. Churchill war offensichtlich mit dieser Fähigkeit ausgestattet. Wobei er in seinen Memoiren gesteht, schwere Fehler begangen zu haben.
Ich weiß, man soll Krieg nicht herbeireden. Aber Vogelstraußpolitik ist auch nicht sinnvoll. Zu einem Zeitpunkt wo gut meinende Menschen die Devise »Tu veux la paix? Prépare la guerre!« (Du willst Friede? Bereite dich auf den Krieg vor!) vergessen haben und in naiver Weise westliche Verteidigungsbudgets zusammenstreichen, scheinen mir einige weitergehende Überlegungen angebracht.
Das Gegenteil von »gut« ist »gut gemeint«
Dass ebensolche gut meinende Politiker (darunter Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier) den Beitritt zur NATO anempfehlen, zeigt, mit was für »vorausschauenden« Leuten wir es da zu tun haben. Gut, mir scheint dass sie sich seit dem letzten NATO-Gipfel in Warschau und den neuesten Entwicklungen in der Ukraine etwas mehr Zurückhaltung auferlegen. Dennoch, die Stimmbürger täten gut daran, sich bei den nächsten Wahlen zu erinnern, wer ihnen da »in weiser Voraussicht« welche Patentlösungen aufschwatzen wollte.
Ein helvetischer Klub, der sich für eine Elite hält, würde ebenfalls lieber morgen schon der EU beitreten. Hand aufs Herz, wenn Sie in eine neue Wohngemeinde ziehen und dort in einem Verein mitwirken wollten, würden sie es sich vermutlich gründlich überlegen, wo sie mitmachen möchten! Wäre da Ihre Wahl jene Gruppe, wo die Stimme des Einzelnen wenig gilt und stattdessen ein paar Führungsgestalten sich über die Köpfe der Mitglieder hinwegsetzen um ihnen Dinge aufzuzwingen, zu denen sie wenig Lust haben?
In der Schweiz werden dieselben Kaffeesatzleser nicht müde, bei gewissen Initiativen ihrer politischen Gegner darauf hinzuweisen, dass deren Annahmen im Widerspruch zu internationalen Vereinbarungen stünden. Nun beruht aber gerade die Neutralität der Schweiz auf einem solchen Abkommen (Verträge mit den Signatarstaaten des Wiener Kongresses und des Zweiten Pariser Friedens 1814/1815)! Expansionsgelüste hat der Zwergstaat in der Mitte Europas schon seit 500 Jahren keine mehr. Im Gegenteil, »anschlusswilligen« Gebieten umliegender Länder wurde mit einem gewissen Bedauern eine Absage erteilt.
Die genannten elitären Gestalten, oft aus Wirtschafts- oder wirtschaftsnahen Kreisen, versuchen jetzt ihre »hehren« Ziele durchs EU-Hintertürchen zu erreichen. An Lächerlichkeit grenzt es, wenn eine Zwergpartei eines Zwergstaats wie die Schweiz, verlauten lässt:
Nach der Annahme der Zuwanderungsinitiative und dem Ja zum Brexit wollen die Grünen »Europa nicht den Nationalisten, Aufhetzern, Spaltpilzen und Eliten überlassen«, wie sie in der Medienmitteilung schreiben. Der deutsche EU-Parlamentarier Sven Giegold präsentierte vor den Delegierten, wie die EU wieder näher zu den Menschen kommen könnte: Um eine gefährliche Renationalisierung zu verhindern, sei eine Reform der Institutionen nötig.
Von Franz-Josef Strauß soll ja der Vergleich mit der Wassermelone stammen: »außen grün, innen rot mit braunen Einsprengseln«. Da ist mir der Apfel schon noch sympathischer: Er bekennt Farbe (außen gelb, rot oder grün), ist innen gelb (freisinnig-liberal) mit schwarzen Einsprengseln (Kerne mit christlichen Werten).
Etwa so, wie es der neue Präsident der Schweizerischen Christdemokraten, Gerhard Pfister, es neulich formuliert hat: »Wer in der Schweiz Schutz sucht, erhält ihn weiterhin. Wer aber bei uns Schutz sucht und unsere Werte nicht anerkennt, der soll sich doch besser ein schützendes Land suchen, das besser zu seinen Werten passt.» Andernorts spricht er auch vom C im Parteikürzel, dem wieder vermehrte Bedeutung beigemessen werden sollte. Das ist wenigstens Klartext.
Auf kontradiktorische Gespräche setzt die rechte Schweizerische Volkspartei (SVP), der die Linke gerne diffamierend »rechtsextrem« anhängen möchte. (Dümmer geht nicht: Der bekannteste ihrer Gründer, Bundesrat Minger, war ein enger Freund des Generals Guisan, der Hitler gegenüber keine Zweifel darüber offen ließ, dass ein Eindringen über die Landesgrenze die Nazis teuer zu stehen käme. Auch habe ich noch nie gehört, dass die Mitglieder dieser Partei Hitlers Geburtstag feiern würden. An ihrer letzten Delegiertenversammlung vom 20. August 2016 kamen auch Staatssekretär Jacques de Watteville und Nationalrat Tim Guldimann zu Wort. Ersterer ist als Adeliger für das Schweizer Volk nicht gerade die ideale Wahl, um es gegenüber der »monarchistischen« EU zu vertreten. Guldimann, Schweizer Botschafter a. D. in Berlin, gehört einer Partei an, die weiterhin »die Überwindung des Kapitals« in ihrem Programm hat und der »Die Internationale« vermutlich nach wie vor leichter über die Lippen geht als der »Schweizer Psalm«.
Glücklicherweise war Nationalrat Roger Köppel da. In seiner »Weltwoche« kommen übrigens regelmäßig Vertreter der anderen politischen Richtungen zu Wort. Aber er ließ wenigstens keine Zweifel darüber offen, dass die Schweiz die sogenannten Bilateralen Verträge nicht »um jeden Preis« retten will, sprich um den Preis eines »Rahmenvertrags« der zur automatischen Übernahme von EU-Recht und der Anerkennung »fremder Richter« (Strassburg) führen würde.
England besinnt sich auf seine eigenständige Abwehr. Die Schweiz schließt nicht aus, ein drittes Mal Vorkehrungen zu treffen, um ihre Haut im Notfall so teuer wie möglich zu verkaufen. Auch erwägt sie, die allgemeine Wehrpflicht nun auch für Frauen einzuführen (Gleichberechtigung bedeutet auch gleiche Verpflichtungen). Neulich las ich in einem Artikel in »fisch+fleisch«, dass auch die USA diesbezügliche Überlegungen anstellten.
Und wenn es noch weiterer Warnzeichen bedürfte: Ein Titel der Internet-Nachrichten auf der Swisscom-Internet-Zutrittsseite, vor wenigen Stunden aufgeschaltet, lautet: »Deutsche Regierung: Bevölkerung soll Vorräte anlegen«. Eine Vorsichtsmaßnahme, die die Schweizer Jahrzehntelang beachtet haben, bis dann plötzlich der Friede ausbrach. Die damaligen Politiker haben dann auch dafür gesorgt, dass die Schweizerische Nationalbank ihre Goldreserven teilweise verscherbelte, wobei die Linken damit eine besondere internationale Stiftung, ähnlich dem Roten Kreuz, ins Leben rufen wollte (Ausleben ihres Sozialhelfersyndroms auf Kosten der Steuerzahler). Die Gleichen, die auf den Vorschlag, das Geld in die Alters- und Hinterblliebenen-Versicherung zu stecken mit der Bemerkung antworteten, dies wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Inzwischen ist der Stein schon so heiß, dass die jetzige Landesregierung laut darüber nachdenkt, sich die Erlaubnis erteilen zu lassen, das Pensionierungsalter für Mann und Frau notfalls auf 67 Jahre hinaufzusetzen!
Die Schweizer können Gott danken und waren gut inspiriert, dass sie sich nicht mit einer parlamentarischen Demokratie zufrieden gaben. Allerdings, ein offizielles Abwahlverfahren (vor Ablauf eines Politikermandats) gibt es bis heute nicht. Dabei ist das Land doch Weltmeister im Rezyklieren. Das gilt auch für Flaschen.
Die Schweiz hat in einem halben Jahrhundert Zivilschutzanlagen aufgebaut und gut unterhalten. Gutmenschen würden sie zwar der einheimischen Bevölkerung als Notunterkünfte zumuten, aber – wenn es um Migranten geht – bezeichnen sie sie als »menschenunwürdige Unterkünfte«. Wo nicht genügend pleitegegangene Hotels zur Verfügung stehen, werden sie zurzeit mit Wirtschaftsflüchtlingen besetzt. Ein Großteil der in Europa Eintreffenden sind junge Männer im wehrfähigen Alter. Würde man von ihnen nicht eher erwarten, dass sie in ihren Ländern Partei ergreifen und die ihre Völker Unterdrückenden bekämpfen, notfalls aus dem Untergrund (so wie es im letzten Weltkrieg in Europa Hundertausende junge Männer und Frauen gegen die Hitlerei taten)? Jene bereits in der Schweiz ansässigen, auf die im Jenseits dann 72 Jungfrauen warten, müssten sich dann einstweilen nicht länger damit begnügen, an Sylvester auf öffentlichen Plätzen Frauen zu begrapschen. Stattdessen lassen sich ihre in Europa geborenen, fanatisierten Verwandten und konvertierte Einheimische zum Jihad und zu Kriegern des islamischen Staates ausbilden.
Hat Deutschlands Physikerin – mit ihrer Unterstützung der NATO-Säbelrasslerei als Antwort auf Russlands Annektierung der Krim – übers Ziel hinausgeschossen? Wenn ich den Ausführungen auf Wikipedia bezüglich der Zugehörigkeit der Krim glaube, dann sehe ich hier keine Jahrhunderte alte Verbindung zur Ukraine.
Es gibt Ansagen, die tönen wie ein Dialog:
Sarrazin: »Deutschland schafft sich ab.«
Merkel: »Wir schaffen das!«