Ein (nicht ganz real-)satirischer Gastbeitrag von Lars Rizinus, den die PENNTO-Redaktion (das Magazin für grüne Jugend, Langzeitstudenten und andere Betonköpfe) aus nicht nachvollziehbaren Gründen abgelehnt hat: Das (vielleicht gar nicht so) frei erfundene harte Schicksal von Bilal aus Neukölln.
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Bilal ist 17 und heißt eigentlich anders. Aus Rücksicht auf seine Community zu Hause verpixeln wird seine Bilder. „Zuhause“, was ist das eigentlich? Hier, mitten in der Hauptstadt, hat Bilal schon immer gelebt. Seine Eltern kamen in den 90er Jahren aus Ägypten. Als junger Mann musste sein Vater sich vor der Cheopspyramide als Taschendieb durchschlagen. Diese Zeiten sind zum Glück längst vorbei.
Die Familie hat eine lange und betrübliche Tradition von Flucht und Vertreibung. Nachdem drei von Bilals Onkeln aus dem Gazastreifen bei ihrem mutigen Kampf gegen die IDF in Jerusalem zu Märtyrern wurden, haben die israelischen Behörden das Haus der Familie abgerissen. Von da aus ging es direkt nach Ägypten – ohne Chancen und Perspektiven für Bilals Vater, der damals noch jung war.
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Mit den Balkankriegen tat sich nun eine neue Möglichkeit auf, nach Europa zu kommen. Wie genau, das erfahren wir nicht. Nur dass es damals schon couragierte Mitarbeiter*INN*en mit Haltung in den Ausländerbehörden gab, die Menschlichkeit vor kaltherzige Rechtsanwendung gesetzt haben. Doch hat es was gebracht? Ja, sie sind jetzt hier, denn schließlich ist ja kein Mensch illegal.
Die Langeweile tut ihr übriges
Seit die Familie im damals frisch vereinigten Gesamtberlin angekommen ist, lebt sie „von der Stütze“, wie es so schön im deutschen Sozialstaats-Slang heißt. Doch deutsch kann Bilal kaum. Seine 23 Geschwister auch nicht, ebenso wenig wie seine Nachbarn. Es ist einfach eine Fremd-Sprache. Geschäfte haben sich dieser Abwesenheit der deutschen Sprache angepasst, auch das ist eine Form von Marktwirtschaft. So leben die Menschen gemeinsam mit anderen, die ab 2015 neu dazugekommen sind, in ihrer trostlosen Welt und lobpreisen den Länderfinanzausgleich – vielleicht.
Manchmal trauert Bilal um eine seiner Schwestern, Mufida. Sie starb vor zwei Jahren mit 14. Dabei hat ihr Leben gerade erst angefangen: Das erste Mal verliebt, der erste Freund. Als sie ihn in der U-Bahnstation geküsst hat, wünschte sie sich, ihn eines Tages ihrer Familie vorstellen zu können. Doch auf einmal war Mufida tot. Sie wurde erstochen, aber man weiß nichts Näheres. Die Polizei hat die Akte zwar nicht geschlossen, bearbeitet sie aber auch nicht weiter. Vielleicht war es ein Ehrenmord, aber wer will das schon so genau wissen, in einer Stadt, wo es sich ja sonst so gut und gerne lebt?
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Bilal geriet selbst schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt. Lange Zeit wurden alle Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt: Schwarzfahren, Ladendiebstahl, Einbruch, bewaffneter Überfall, Erpressung, Betrug, die ganze Palette war dabei, seit er neun Jahre alt war. Aber nichts mündete in einer Verurteilung. Bilal war nicht strafmündig, doch dann kam der große Knall und sein Leben hat sich verändert – schlagartig.
Lesen Sie den zweiten Teil unserer Reportage: Bilals Verurteilung durch rassistische, alte, weiße Richter*INN*en, Pflichtverteidiger*INN*en, die kein Interesse an ihm hatten und warum es bislang doch gelungen ist, das Gefängnis zu vermeiden.
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