Weckt der Untergangswunsch nicht auch bei manchem einen heimlichen Nervenkitzel?

Katastrophenmeldungen haben einen hohen Nachrichtenwert, jeder interessiert sich dafür, das war schon zu Zeiten der Sintflut so. Katastrophenfilme im Kino sind regelmäßig Strassenfeger. Die Beschäftigung mit Katastrophen zieht Menschen auf eine bizarre Weise an, nicht erst seit Corona. Gerade in Zeiten der sozialen Isolation verfolgten nicht wenige gebannt die neuesten Statistiken über Infektionen, überfüllte Krankenhäuser und Leichenhallen, sie schauen Filme, die am Rande des Weltuntergangs spielen und lesen dystopische Romane. Und nun hoffen viele auf den Crash des Energiemarktes und den Untergang der Gesellschaftsordnung Es ist die Faszination am Untergang.

Die Lust an der Katastrophe erscheint paradox, aber sie hat eine Funktion: Die Vorstellung von Worst-Case-Szenarien. Sie erzeugt Angst, während der Körper gleichzeitig Endorphine, also Glückshormone ausschüttet.

Diese schützen den Körper, lindern Schmerzen und erzeugen Euphorie. Die Mischung aus Angst und Lust hat also eine evolutionsbedingte Komponente. Sie motiviert selbst in aussichtslosen Situationen zum Weitermachen und sichert so das Überleben.

„Thrills“ oder die Lust an der Angst

Es ist dabei zentral die Angst zu überwinden und wohlbehalten aus der Gefahr hervorzugehen. Sie ist ein narzisstischer Triumph. Durch die Überwindung der Angst bestätigt man seine eigenen Fähigkeiten. Daraus folgt eine Sehnsucht nach Geborgenheit. Man begibt sich freiwillig in Gefahr, gibt die Sicherheit auf nur um sie später wiederzulangen. Man fühlt sich anschließend geborgen, im Wissen um die eigenen Fähigkeiten. Schon Kinder suchen nach spannenden, gruseligen Situationen und Spielen, vor denen sie sich fürchten, die sie aber schließlich meistern. Sie gehen gestärkt daraus hervor, weil sie lernen, wie sie in der Zukunft mit der Angst umgehen können.

Motive der Katastrophenlust

Anders als beim Achterbahnfahren oder Bungee-Springen ist man bei der Katastrophenlust auf der sicheren Seite, nämlich in der Rolle des Zuschauers. Die Energie, die sich aus der Angst speist, dient bei der Katastrophenlust nicht zum Kampf, sondern zeigt sich in anderen Gestalten: Zum einen um öden Routinen zu entkommen: „Der Alltag der Demokratie mit seinen tristen Problemen ist langweilig, aber die bevorstehenden Katastrophen sind hochinteressant ..." Wenn wir schon mit unserem Dasein nichts Rechtes mehr anzufangen wissen, dann wollen wir wenigstens am Ende einer weltgeschichtlichen Periode stehen.

"Richtig zu leben ist schwer, aber zum Untergang reicht es allemal.“

Katastrophenlust kann auch Vorstellungskraft freisetzen und erlaubt, sich als Retter zu betrachten.

Sind die Zeiten angekommen, in denen uns eine Katastrophe auch tatsächlich heimsucht, vergeht die Lust daran. Lust kann nämlich nur verspüren, wer die Katastrophe aus der sicheren Position des Zuschauers beobachte ohne selbst betroffen zu sein; nur wenn man nicht selbst in der Ukraine kämpft. Die Lust hat sich verflüchtigt.

Ein weiteres wichtiges Element von Katastrophenlust ist ein spektakuläres Ereignis, das zu sensationellen Bildern führt; etwa ein Unfall oder auch die Terroranschläge vom 11. September.Bei nur mit dem dem Mikroskop sichtbaren Viren auch nicht der Fall.

Die hohen Fallzahlen und Berichte von Toten während der Pandemie haben also zu einer Art Realitätsschock geführt. Viele Menschen schätzen die Gefahr einer Erkrankung und ihre Folgen nun realistischer ein und ergreifen Vorsichtsmasnahmen. Krisenlust tritt deshalb nur in Zeiten der Sicherheit auf.

In den Katastrophengebieten selbst schauen auch viele Menschen solche Filme an, aber sie halten es kaum aus, weil die Realtät ständig der Handlung im Film vorauseilt.

Echte Katastrophenlust ist also frühestens wieder dann zu erwarten, wenn die derzeitige Pandemie vorüber ist und die Sehnsucht nach einem Ausbrechen aus dem Alltag wieder zunimmt – ein Alltag, der derzeit jedoch noch weit entfernt zu sein scheint.

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