...denn wo gehobelt wird, da fallen Späne!

Der Instant-Löskaffe schmeckt nicht besonders, entfaltet aber seine Wirkung. Die Pupillen weiten sich, die Müdigkeit lässt nach. Ich vernehme ein verschlafenes: "Kann ich länger liegen bleiben?" und höre mich antworten: "Ja, leg den Schlüssel dann einfach unter die Türmatte". Zeitgleich klicke ich mich durch Facebook. Eine gute Freundin postet: "Die Ereignisse von Paris machen mich so unendlich traurig". Ich ahne, am gestrigen Fußballspiel Frankreich gegen Deutschland liegt das nicht. Nein, da ist wieder etwas passiert. Da ist wieder irgendetwas oder irgendwer explodiert. Da sind wieder Unschuldige gestorben. Sie haben es schon wieder getan.

Sie sind die, die Ihre Frauen verschleiern. Die mit uns leben, aber unsere Werte nicht verstehen. Manchmal noch nicht einmal unsere Sprache. Aus der emotionalen Empörung heraus flackern Worte in meinen Gedanken auf wie Leuchtreklamen. „RÜCKSTÄNDIG“ steht da geschrieben, und „GRAUSAM“ und „GNADENLOS“. Es wird Zeit, dass das Imperium zurückschlägt. In meinen Kopf ertönt Wagners „Walkürenritt“ als wäre ich in „Apocalypse Now“ und ich sehe Kampflugzeuge aufsteigen, in denen Ares und Libertas sitzen. Sie, die Göttin der Freiheit, sieht verdammt gut aus und fliegt den Jet, ist frei wie ein Vogel. Er, der Gott des Krieges, zerbombt unnachsichtig die bärtigen Typen mit dem Koran in der Tasche und der AK in der Hand. Diese Impulse steigen auf und flauen ab in viereinhalb oder fünf Sekunden. Die Vernunft übernimmt wieder. Die Vernunft sagt auch, es gäbe kein SIE und kein WIR. Es gäbe nur UNS.

Die gestrigen Anschläge und die Vielzahl von Anschlägen davor sind Taten von Verzweifelten. Menschen die in Ihrer Ohnmacht Halt im religiösen Fanatismus suchen. Ein Fanatismus, der geschürt wird von skrupellosen Demagogen. Wir kennen dieses Problem auch in unseren Breitengraden. Nur weil wir nicht ständig von Krieg und Armut bedroht sind, sprengen sich die Sympathisanten von rechtspopulistischen Parteien nicht in einem Einkaufszentrum oder in einer U-Bahnstation in die Luft. Als hierzulande die Luft aus wirtschaftlicher Sicht dünn war, war man aber auch bereit aufs Ganze zu gehen. So lange ist das gar nicht her. Wenn der Leidensdruck und der Frust groß und das kollektive Selbstbewusstsein angeschlagen ist, sind viele dazu bereit zu foltern und zu morden. Dieses hässliche Verhalten liegt nicht in der Natur der Muslime, sondern in der Natur des Menschen.

Die "freie" Welt hätte die militärischen und wirtschaftlichen Mittel um beispielsweise den IS zu besiegen. Wahrscheinlich würde das nicht einmal eine Woche dauern. Das würde den Unterdrückten dort helfen, aber es würde nur ein Symptom bekämpfen – nicht die Ursache. Diese "freie Welt" hat diese Umstände, durch die es heute zum Terror kommt, jahrhundertelang forciert, durch eine ausbeuterische, rücksichtslose und überhebliche Kolonialpolitik. Wir ernten jetzt nur die Saat.

Die Menschen, die damals wie heute profitieren, trifft man nicht mit Bomben. Getroffen werden junge Leute die sich bei einem Konzert amüsieren wollten. Getroffen werden irgendwelche frustrierten, jungen Burschen die man in einer instabilen Phase ihres Lebens instrumentalisiert hat. Sogar soweit, mit einem Sprengstoffgürtel in eine Konzerthalle zu gehen, und sich selbst und Unschuldige in die Luft zu jagen – für Gott.

Dann wird der Vorhang hochgezogen. Die Mächtigen haben eine Bühne. Sie sprechen von unseren Werten, wo es um unsere Interessen geht. Sie stehen Frankreich "in tiefer Trauer" zur Seite. Sie finden die Schuldigen und bestrafen sie. Die anderen Mächtigen im Nahen Osten verkünden einen Freudentag, weil mit Gottes Hilfe die Ungläubigen bestraft wurden.

Für uns öffnet sich auch der Vorhang. Wir können dann auf Facebook posten, wie "unendlich traurig" wir sind. Andere ändern ihr Profilbild. Es ziert die "tricolore" oder "Je sui Charlie" steht stattdessen da. Ich kann einen Blog darüber verfassen. Wir sind ja die Guten. Die Kinder der Freiheit und Toleranz. In ein paar Tagen ist der Hype vorbei. Dann bearbeiten wir wieder Fotos auf Instagram und planen Partys für das Wochenende. Ich für meinen Teil plane mir neue Nike Airmax zu bestellen, im Internet da sind sie nämlich billiger als bei Footlocker.

Der Terror wird weiter existieren und uns alle paar Monate erschüttern. Mit Gewalt wird das Problem nicht zu lösen sein; nur mit einer Verbesserung der Lebensumstände in den Gebieten, wo er entstanden ist. Diese Verbesserung würde mit einer Verschlechterung unserer Lebensumstände einhergehen. Wir müssten zurückstecken, und das wollen wir nicht. Also werden wir das auch weiterhin hinnehmen und alle paar Monate traurig sein. Denn wo gehobelt wird, da fallen Späne!

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

1 Kommentare

Mehr von Felix Koller