Der Bumerang des Außenhandels-Imperialismus

Ditter Teil: Wenn das Kartenhaus einstürzt

Im ersten Teil dieser Monographie habe ich dargelegt, warum ich meine, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Einführung des Euros eine Währungspolitik betreibt, die man als Außenhandels-Imperialismus bezeichnen kann. Ich habe darauf hingewiesen, daß diese Haltung früher oder später wie ein Bumerang auf das Land und seine Leute zurückschlagen wird. Im zweiten Teil habe ich dann das sogenannte Target Zwei System beschrieben, die Methode, mit der die bereits gescheiterte Währungsunion wie ein Zombie weiterhin aufrechterhalten wird.

Allerdings ist es nicht Deutschland allein, das diesem Untoten unter die Arme greift. Auch wenn einige Politiker der anderen Euro-Länder über die Export-Überschüsse der Bundesrepublik mosern und meckern, sind sie nicht bereit, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen und sich aus der Währungsunion zu verabschieden. Sie können einen solchen Schritt auch nicht mehr vornehmen, ohne ihr Land in den Staatsbankrott zu stürzen und ihren Bürgern erheblichen Schaden zuzufügen. Nun kann man ja mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit – nein, eigentlich mit Sicherheit – sagen, daß dieses Kartenhaus einstürzen wird, aber den Zeitpunkt für ein solches Ereignis vorauszusagen, ist um Größenordnungen schwieriger. Alle Euro-Länder werden dabei erhebliche wirtschaftliche Einbußen erleiden, aber das Target Zwei System ist so konstruiert, daß der Großteil der Deutschen den Hauptteil der Last zu tragen haben wird.

Zu den Verlierern wird man in erster Linie dann gehören, wenn man auf die Zusicherungen vertraut, die von Politikern, Journalisten und sogenannten Experten verbreitet werden. Die in der Anfangsphase von Finanz-Krisen am häufigsten gehörte Beschwichtigung lautet regelmäßig: „Ruhe bewahren, nicht in Panik verfallen.” Die Wenigsten erkennen, daß das Befolgen eines solchen „Rates” nur denen nützt, die ihn aussprechen, nicht aber der breiten Masse, an die er gerichtet ist. Ruhe bewahren ist nur dann hilfreich, wenn man sich erstens selbst ausreichend informiert und zweitens ein gutes Maß an selbständigem Denken bewahrt und seine eigenen Schlußfolgerungen gezogen hat. Diese beiden Voraussetzungen sind bei den allerwenigsten Leuten in einem erforderlichen Maß vorhanden. Sich selbst ausreichend zu informieren erfordert Anstrengung, für die die meisten zu faul sind, und Zeit, die man lieber vor dem Fernseher, im Fußballstadion, beim Surfen in den sozialen Medien, oder sonst irgendwo verbringt.

Denkfaulheit ist ja geradezu eine Pandemie. Was die meisten Leute als Resultat selbständigen Denkens betrachten, ist in Wirklichkeit unreflektiertes Vertrauen in die Aussagen jener Politiker, mit deren weltanschaulicher Gesinnung man am ehesten übereinstimmt, oder die Übernahme der Meinung sogenannter Experten. Wenn man aber die bisher erläuterten Zusammenhänge durchdenkt und daraus entsprechende Schlüsse zieht, dann sieht man bereits aus welcher Richtung der Bumerang heranfliegt. Das ist mindestens die halbe Distanz auf dem Weg in die Deckung.

Zwar kann sich niemand zu hundert Prozent gegen die bevorstehenden Widerwärtigkeiten absichern, aber indem man sich ausreichend informiert und alles das, was man hört und liest, unvoreingenommen selbständig durchdenkt, kann man sehr gut die Wahrscheinlichkeit reduzieren, daß man am Ende des Tages zu den Verlierern gehört. Um sich unter die Gewinner einreihen zu können, von denen es nur sehr wenige geben wird, braucht man allerdings auch noch das, was man Kaltschnäuzigkeit nennt, und vor allem auch eine gewisse Portion Glück, eine Voraussetzung, bei deren gänzlicher Abwesenheit man kaum etwas von Bedeutung erreichen kann.

Aber Glück, so sagt man, hat der Tüchtige, und tüchtig ist in diesem Zusammenhang jener, der die nachfolgende Anleitung befolg: (1) Er informiert sich kontinuierlich und ausreichend über das, was in seinem politischen und wirtschaftlichen Umfeld vor sich geht und was für Geschichten Politiker, Journalisten und Experten erzählen; (2) er glaubt nichts davon blauäugig, sondern bezweifelt und hinterfragt zunächst alles; (3) er benutzt seinen eigenen Verstand, um sich verschiedene Szenarien dessen, was passieren könnte, auszudenken; (4) er ordnet diesen verschiedenen Szenarien Wahrscheinlichkeiten für deren Eintreten zu; und (5) weil sich unser politisches und wirtschaftliches Umfeld kontinuierlich verändert, paßt er diese Szenarien und deren Wahrscheinlichkeiten laufend den veränderten Umständen an.

Wenn ich mal ganz grob schätzen darf, befolgen wesentlich weniger als 5% meiner Zeitgenossen diese Regel. Der Grund dafür ist, daß die meisten Menschen kein Vertrauen in ihr eigenes Urteilsvermögen besitzen. Dazu kommt dann auch noch die bereits erwähnte Denkfaulheit. Die Leute wollen gesagt bekommen, wo es lang geht und wie sie sich verhalten sollen. Dabei vertraut man auf das Urteil anderer, die als Sachverständige gelten oder irgendwie als Autoritäten betrachtet werden. Da es aber im Wirtschafts- und Finanzpolitischen Bereich viele Sachverständige gibt, die in ihren Aussagen nicht miteinander übereinstimmen, übernimmt man bevorzugt jene Meinung, die der eigenen ideologischen Überzeugung am besten entspricht oder dem eigenen Wunschdenken am meisten entgegenkommt.

Ideologie ist etwas, das die meisten Menschen bereits von ihren Eltern übernehmen und das sich schon in jungen Jahren zu einem Teil der persönlichen Identität entwickelt, so daß es in den meisten Fällen ein Leben lang nicht mehr verändert werden kann. Das mangelnde Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit erklärt auch, warum kollektivistische Ideologien hohen Zuspruch finden. Hierzu gehören vor allem auch die monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judaismus, deren orthodoxe Sekten man als Paradebeispiele des Kollektivismus betrachten kann. Einige ihrer Ausprägungen entbinden ihre Anhänger weitgehend des selbständigen Denkens, indem sie ihnen genau vorschreiben, wie sie zu leben haben.

So besitzen zum Beispiel Chassidische Juden und Moslems eine von ihrer Religion erstellte Blaupause für den gesamten Tagesablauf. Sie haben Vorschriften dafür, was sie nicht essen und trinken dürfen und wie sie sich kleiden müssen. Strenggläubige Muslime, wissen auch zu welchen Tageszeiten sie beten müssen, welche Körperhaltung sie dabei einzunehmen haben und wohin ihr Blick dabei gerichtet sein muß. Solch kategorische Gebote umgehen den bei uns Menschen weit verbreiteten Mangel an Zuversicht, unser Leben selbst einrichten zu können, verringern die damit zusammenhängende Angst vor der Zukunft und kommen unserer Denkfaulheit weitgehend entgegen.

Das diametrale Gegenteil kollektivistischer Ideologien ist der Individualismus der europäischen Aufklärung. Von dem vielleicht bedeutendsten Aufklärer deutscher Sprache, Immanuel Kant, stammt die Maxime: „Habe den Mut, deinen eigenen Verstand zu benutzen!” Die Betonung dieser Anweisung liegt auf dem Wort „Mut,” womit nichts anderes gemeint ist als die Zuversicht in das eigene Urteilsvermögen. Wir Menschen haben fast alle die gleiche Fähigkeit zu rationalem Denken, und unterscheiden uns in mentaler Hinsicht nur darin voneinander, wie oft und wie sehr wir dieses naturgegebene Denkvermögen einsetzen.

Der weitaus größte Teil des menschlichen Verhaltens wird nämlich nicht von vernunftgeleitetem Denken bestimmt, sondern von den sogenannten Affekten. Diese Hirnfunktionen - wir nennen viele von ihnen auch Gefühle oder Emotionen - sind entwicklungsgeschichtlich viel älter, das heißt sie entstanden in der Evolution viel früher, als unser rationales Denken. Die Affekte residieren im limbischen System, einem Teil unseres Hirns, das wir in unveränderter Form von unseren tierischen Vorfahren übernommen haben. Die meisten dieser neuralen Funktionen haben wir mit den Säugetieren gemein, aber einige reichen zurück bis zu den Reptilien. In vielen unserer Verhaltensweisen – vor allem dann, wenn große Angst eine Rolle spielt - sind wir daher nichts anderes als eine Ziege, ein Zebra, eine Schlange oder ein Frosch.

Die animalischen Affekte greifen viel schneller ein als unsere rationalen Hirnfunktionen, was sich evolutionär daraus erklärt, daß sie sich entwickelten, um das Überleben des Individuums und den Fortbestand der Spezies zu bewirken. Sie sind aber unserer heutigen Umwelt zum größten Teil nicht mehr angepaßt. Wenn wir ihnen nicht bewußt und kräftig entgegenwirken, dann sind sie wesentlich schneller am Zuge als unser vergleichsweise langsamer rationaler Verstand, der Neokortex, der sich in der Hirnrinde befindet. Affekte kontrollieren daher immer unser Verhalten, wenn wir ihnen nicht genügend Gegengewicht entgegenbringen. Ein solcher Widerstand erfordert Anstrengung und das, was Kant als Mut bezeichnet. Und wie schon gesagt, ist Mut hier nur ein Synonym für das Vertrauen in die eigene rationale Urteilskraft.

Wir beobachten ja oft, daß Menschen Behauptungen aufstellen, die der wahrgenommenen Realität eindeutig widersprechen. Daraus erkennt man, wie mächtig sich unsere von den tierischen Vorfahren ererbten und im Laufe des Lebens durch Indoktrination verstärkten affektiven Hirnfunktionen gegen die erkennbare Wirklichkeit durchsetzen. Die Stärke dieser Wirkung korreliert positiv mit zunehmendem Lebensalter. Ab einer gewissen Altersgruppe hat der Neokortex in bestimmten Situationen und bei den meisten Leuten nicht mehr die geringste Chance. Oft werden die Tatsachen nicht als solche verleugnet, sondern das Ego betreibt einen Abwehrmechanismus, wobei den Erscheinungen der Realität rationale Erklärungen zugeschrieben werden, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen aber der eigenen über Jahrzehnte eingetrichterten ideologischen Grundhaltung gerecht werden.

Der Grund, den Leute dafür angeben, daß sie in wirtschaftlichen Angelegenheiten auf Experten hören, besteht meistens darin, daß sie nicht über das erforderliche Fachwissen verfügen. Wer sich aber selbst informiert und über das, was er da liest, sieht und hört, selbständig nachdenkt, der weiß, daß Wirtschafts- und Finanz-Experten selten miteinander übereinstimmen und daß die meisten von ihnen sehr oft mit ihren Vorhersagen kläglich auf die Nase fallen. Also kann Fachwissen nicht das entscheidende Kriterium für wirtschaftlichen Erfolg sein. Wesentlich wichtiger ist eine Fähigkeit, die man umgangssprachlich als gesunden Menschenverstand bezeichnet. Der besteht zu einem überwältigen Teil darin, daß wir unsere Emotionen der Beurteilung durch unsere Vernunft unterwerfen, bevor wir diesen Affekten erlauben, unser Verhalten zu lenken.

Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein oder zumindest nicht unter die Räder zu geraten, müssen wir also unser rationales Hirn, den Neokortex, zum Zuge kommen lassen. Die Anweisung hierzu besteht in dem bereits erwähnten überaus kurzen und vor mehr als 200 Jahren von Immanuel Kant formulierten zentralen Lehrsatz der europäischen Aufklärung, der so bedeutend ist, daß ich ihn hier wiederhole: HABE DEN MUT, DEINEN EIGENEN VERSTAND ZU BENUTZEN! Oder mit anderen Worten: Vertraue deiner eigenen Urteilskraft!

Wie man sein eigenes vernunftgeleitetes Denken in dieser Hinsicht einsetzen muß, ist in der weiter oben beschriebenen Fünf-Stufen-Regel genau dargelegt. Sie beginnt damit, daß man sich selbst so ausführlich wie möglich über die betreffende Thematik informiert. Ohne weitgehende Information geht gar nichts. In Ermangelung einer umfassenden Datenbasis kann auch unser rationaler Verstand nichts ausrichten. Damit ist klar aufgezeigt, was man als Einzelner tun muß, damit man die Wucht des Bumerangs, der Deutschland wegen seines Außenhandels-Imperialismus treffen wird, für sich selbst auf ein Minimum beschränkt. Ein besserer Rat als der von Immanuel Kant kann nicht gegeben werden – nicht von sogenannten Experten, und schon gar nicht von solchen Leuten, die man aus ideologischer Indoktrination – und bei vielen auch aus purer Einfalt - für Autoritäten hält.

Um wirtschaftlich nachhaltig über die Runden zu kommen, muß man sich ständig bewußt sein, daß wir in einer demokratoiden Kleptokratie leben, einem politischen System in dem dem angeblich mündigen Bürger ein immer größerer Teil seines Wohlstands durch rhetorische Taschenspielertricks abgeluchst wird, um damit in erster Linie unsinnige ideologische Vorstellungen zu verwirklichen. Aber „mündig” ist ein Bürger nur dann, wenn er die Aussagen von Politikern, Experten, und vor allem auch Journalisten seinem eigenen rationalen Denkvermögen unterwirft, was umgangssprachlich ausgedrückt nichts anderes ist als gesunder Menschenverstand.

Das gilt vor allem für die tausendfach abgegriffenen und trotzdem immer wieder herausgekramten Versprechungen aus der sozialistischen Mottenkiste. Der erste Lehrsatz der Ökonomie ist die Knappheit: Es gibt nie eine ausreichende Menge von irgendeinem Wirtschaftsgut, um allen so viel davon zu geben, als sie haben möchten. Der erste Lehrsatz der Politik besteht darin, den ersten Lehrsatz der Ökonomie zu mißachten. Über all dem ist es sehr hilfreich sich immer eines vor Augen zu halten: Die freie Wirtschaft ist keineswegs perfekt, sie ist aber allemal besser als das, was dabei herauskommt, wenn Politiker sich dranmachen, die Wirtschaft zu verbessern. Deutschlands Außenhandels-Imperialismus und der jetzt heranfliegende Bumerang sind ein deutliches Indiz für die Richtigkeit dieser Behauptung.

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